NPD-V-Mann wollte Linke ausspionieren: Der Doppelagent aus Thüringen
Ein Ex-V-Mann aus der NPD soll in Thüringen versucht haben, einen Neonazi in die Linksfraktion einzuschleusen. Was wusste der Verfassungsschutz?
DRESDEN taz | Thüringen und seine Landesregierung werden von einer neuen V-Mann-Affäre erschüttert. Der 2008 aus der NPD ausgeschlossene ehemalige Erfurter Kreisvorsitzende Kai-Uwe Trinkaus hat offenbar in den Jahren 2006 und 2007 unter dem Decknamen „Ares“ auch für das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz gearbeitet und dafür insgesamt 16.200 Euro erhalten.
Trinkaus hat sich in der Vorwoche durch ein Interview mit dem MDR Thüringen selbst enttarnt. Er behauptet, angeworben worden zu sein. Nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz soll er sich aber schon ein Jahr nach seinem NPD-Beitritt 2006 als Spitzel angeboten haben.
Frakionsübergreifend war die Empörung im Erfurter Landtag vor allem in einer Aktuellen Stunde am Mittwoch so groß, weil auch Parlamentarier von den Aktivitäten des umtriebigen NPD-Funktionärs tangiert waren. Die Linksfraktion hat dazu eine umfangreiche Chronik zusammengestellt. Demnach beschränkte sich Trinkaus nicht nur auf die Führung des Kreisverbandes Erfurt-Sömmerda und die Herausgabe der Zeitung Bürgerstimme.
Er selbst wurde Mitglied in zahlreichen Vereinen, unter anderem Vorstandsmitglied des Bundes der Vertriebenen in Erfurt, bevor ihn dieser hinauswarf. Dafür sorgte maßgeblich der CDU-Abgeordnete Bodo Primas, dem sich Trinkaus zuvor angebiedert hatte.
Nazi als Praktikant
Von Anbiederungsversuchen, Belästigungen und Denunziationen war vor allem die Linke im Landtag betroffen. Trinkaus lancierte Falschberichte über angebliche „braun-rote Kungeleien“ an Medien. Er ließ sich auf linken Abgeordnetenplätzen fotografieren und belästigte die Abgeordnete Susanne Hennig mit Einladungen. Den größten Coup landete Trinkaus mit der kurzzeitigen Einschleusung des Gesinnungsfreundes Andy Freitag als Praktikant in die Fraktion. Nach seinen Angaben geschah dies mit Wissen seines Führungsmannes beim Verfassungsschutz, was dieser dementiert.
Durch Trinkaus soll außerdem Material des Verfassungsschutzes an die NPD gelangt sein, so die Namensliste von Linksautonomen, die an einem Überfall auf einen Nazi-Szenetreff in Erfurt beteiligt waren. Andererseits initiierte Trinkaus Übergriffe auf linke Kundgebungen.
Unter Druck geraten nun Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) und sein Staatssekretär Bernhard Rieder, der zur fraglichen Zeit als Abteilungsleiter im Innenministerium für den Verfassungsschutz zuständig war. Geibert räumte ein, dass Trinkaus unter heutigen Gesichtspunkten nicht mehr hätte angeworben werden dürfen. Der VS erklärte, Material von Trinkaus sei nicht für ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren relevant. Dennoch sprach sogar der CDU-Abgeordnete Wolfgang Fiedler von einer „Sauerei“.
Alle fünf Landtagsfraktionen forderten umfassende Aufklärung. Die Einsetzung eines eigenen Untersuchungsausschusses ist bereits im Gespräch.
Leser*innenkommentare
Detlev
Gast
Das Ganze klingt so unglaublich, dass es gut in den NSU-Rahmen passt. Hier ist doch keine Dummheit, keine Verrücktheit schlimm genug, dass sie nicht doch wahr sein könnte. Dass der Stadt diese Szene im Grunde genommen mitfinanziert und damit auch Leben gehalten hat, ist das eigentliche Problem. Auch hier wird aber nie die volle Wahrheit ans Licht kommen, weil die Verfassungsschützer eben lügen, dementieren dürften, die sollen die Verfassung schützen und sich selbst dem Rechtsstaat entziehen.
mdarge
Gast
Sätze wie "..Material von Trinkaus sei nicht für ein neuerliches NPD-Verbotsverfahren relevant." machen mich traurig. Wenn die ermittelnden Behörden von den Beschuldigten unterwandert werden, beweist das die Bedrohlichkeit der Situation. Es soll "aggressiv kämpferisch" nachgewiesen werden. Was, bitte, ist kämpferischer, als direkt gegen den Staatsschutz vorzugehen? Wenn einem Trinkaus Namensliste von Linksautonomen übergeben werden, mit dem Hinweis, sie seien an einem Überfall auf einen Nazi-Szenetreff in Erfurt beteiligt gewesen, welche Dokumente wurden noch weitergegeben, vor allem von wem? Bekam die NPD von einzelnen Kontaktleuten solche Informationen oder war das übliche Praxis? Der Verfassungsschutz wurde aus der Erfahrung des Dritten Reiches gegründet. Wie stellt man sich die Bedrohung der Verfassung überhaupt vor? Hilter hat sich zum Beispiel stets halb-legal verhalten. In entscheidenden Schlüsselpositionen saßen seine Anhänger. Die Methode der Wahl war ein Putsch. Heute werden vor allem die Antifa, sowie Selbstorganisationen von Flüchtlingen und Migranten bespitzelt.
Kopierte Agenturmeldung?
Gast
Der Begriff "Linksautonome" wurde vor 20 Jahren von korrupten Journalisten - auf "Verfassung" schwören und dicke Autos fahren - erfunden bevor es überhaupt so was wie "Rechtsautonome" gab, um "links" und "rechts" gleichzusetzen.
Autonomia ist eine linksradikale Arbeiterbewegung.
Alexandra
Gast
Das ist Deutschland in der Gegenwart:
Im Auftrag des Verfassungsschutzes wird von Neonazis die Linkspartei ausspioniert, unterwandert und Falschmeldungen in die Medien lanciert, während gleichzeig über mehr als ein Jahrzehnt hinweg ein Nazi-Trio unbeachtet durch den Verfassungsschutz als Massenmörder durch ganz Deutschland zieht während andere Nazi-Banden, wie jetzt bekannt wurde, schon in Wartestellung stehen.
Gegen die Partei, die als einzige Oppositionspartei überzeugend gegen die menschenfeindliche Politik (Kriegseinsätze, Sozialabbau, Waffenexporte) der Bundesregierung auftriit, werden alle Mittel genutzt, um sie von Staatsseite aus zum Schweigen zu bringen.
Nazi-Schläger und Brandstifter dagegen werden von den Gerichten freigesprochen und anschließend vom Verfassungsschutz bezahlt, um Antifaschisten zu bespitzeln.
Das ist die "deutsche Demokratie" in Aktion.
vic
Gast
Nazis sind eben so. Aber der VS wird zunehmend zur Bürde für die vielgepriesene FDGO.
Jemand (warum nicht wir?) sollte diese staatsfeindliche Behörde abschaffen.