NGO-Geschäftsführer über Tierschutz: „Das erfolgreichste Programm“
Ist seine Initiative Tierwohl Betrug am Verbraucher? Geschäftsführer Alexander Hinrichs wehrt sich gegen die Vorwürfe.
taz: Herr Hinrichs, über Ihre Initiative bezahlen Aldi, Edeka und andere Ketten 3.000 Bauern dafür, dass sie Schweine und Geflügel etwas besser halten als vorgeschrieben. Kritiker sprechen vom größten Verbraucher- und Tierschutzbetrug, den es in Deutschland je gegeben habe. Sind Sie ein Betrüger?
Alexander Hinrichs: Ganz sicher nicht. Die Initiative Tierwohl ist das bisher erfolgreichste Programm, damit möglichst viele Tierhalter die ersten Schritte in Richtung Tierwohl tun. Seit dem Start 2015 profitieren davon jährlich 14 Millionen Schweine und 235 Millionen Hähnchen und Puten. Das sind so viele wie in keinem anderen Tierwohlprogramm: rund 12 Prozent der in Deutschland gehaltenen Schweine und 35 Prozent des Geflügels. Ab 2018 werden wir bei Schweinen auf 20 Prozent plus x und bei Geflügel auf ungefähr 60 Prozent kommen. Dafür wird der Lebensmitteleinzelhandel über die Hälfte mehr als die bisherigen 85 Millionen Euro pro Jahr an die Initiative abführen.
Die Supermarktketten kleben das Zeichen der Initiative Tierwohl auch auf Fleisch, das gar nicht von teilnehmenden Höfen kommt – ist das Irreführung?
Wir kommunizieren eindeutig, was der Verbraucher erwarten kann: Wenn er in einem Geschäft einkauft, das an der Initiative teilnimmt, wird für dieses Produkt ein Entgelt an unseren Fonds abgeführt. Der finanziert dann Tierhalter, die mehr fürs Tierwohl tun. Das ist nicht unbedingt der Betrieb, aus dem das erworbene Stück Fleisch kommt.
Aber auf den Packungen steht das nur im Kleingedruckten.
Deswegen verweisen wir in der Kennzeichnung auch auf unsere Internetseite, wo wir das nicht nur im Text, sondern auch in einem leicht verständlichen Video dargestellt haben. Gleichwohl nehmen wir die Vorwürfe ernst. Das ist einer der Gründe, weshalb wir ab Januar 2018 zunächst bei Geflügel sagen werden: Genau diese Hähnchenbrust etwa kommt von einem unserer Tierwohlbetriebe. Das gilt für sämtliches Hühner- und Putenfleisch, egal ob gefroren oder nicht, das unbehandelt ist, also nicht mariniert und nicht als Wurst verkauft wird.
Tierschützer sehen kaum Vorteile fürs Vieh: bei Schweinen nur 10 Prozent mehr Platz im Stall, ein Stück Holz reicht als „organisches Beschäftigungsmaterial“. Verlangen Sie im Vergleich etwa zum Bio-Siegel zu wenig?
Der 42 Jahre alte Agrarökonom ist Geschäftsführer der Initiative Tierwohl. An sie überweisen alle großen Supermarktketten pro Kilogramm Schweine- und Geflügelfleisch 4 Cent. Damit werden Bauern für bestimmte Tierwohlmaßnahmen bezahlt.
Es geht ja nicht nur um ein Stück Holz oder mehr Platz, sondern es gibt eine ganze Reihe von sehr wichtigen Grundanforderungen. Zum Beispiel eine Kontrolle, dass die Tiere wirklich sauberes, unbedenkliches Wasser zu trinken bekommen. Man kann andererseits natürlich auch ein sehr hohes Anforderungsniveau von Anfang an vorgeben mit dem Ergebnis, dass im Zweifel kaum ein Landwirt teilnehmen kann. Das wäre uns zu wenig.
Die meisten Ihrer Tiere kommen nie an die frische Luft. Sauen dürfen in Käfige gesperrt werden, in denen sie sich kaum bewegen können. Ferkeln werden die Ringelschwänze abgeschnitten. Gibt es überhaupt einen substanziellen Fortschritt?
Alle unsere Anforderungen liegen über dem gesetzlichen Standard und wurden von Experten erarbeitet. Deshalb gehen wir fest davon aus, dass diese Kriterien auch ein Mehr an Tierwohl bringen. Ab Januar 2018 werden höhere Anforderungen gelten. Bislang musste ein Betrieb entweder mehr Platz umsetzen oder Raufutter wie Stroh oder Heu anbieten. Im nächsten Schritt müssen alle schweinehaltenden Betriebe mehr Platz und zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial haben. Alle Geflügelbetriebe müssen das Stallklima und das Wasser überprüfen lassen, mehr Platz und Beschäftigungsmaterial anbieten. Zusätzlich zu den regulären jährlichen Kontrollen führen wir bei allen Schweine- und Geflügelhaltern jetzt unangekündigte Stall-Checks ein. Das heißt: Einmal jährlich klingelt ein Kontrolleur unangemeldet an der Tür und überprüft die Gesundheit der Tiere und die Umsetzung der Anforderungen.
Wie viele Betriebe sind schon aus der Initiative geflogen, weil sie bei Kontrollen durchgefallen sind?
Alle Betriebe, die unsere Anforderungen nicht erfüllen, dürfen nicht mehr teilnehmen und müssen bereits erhaltene Tierwohlentgelte zurückerstatten. Bislang haben wir über 9.400 Audits durchgeführt. Wir haben so Größenordnungen von rund 240 Betrieben, die in unseren Kontrollen aufgefallen sind und dann aus der Initiative aussteigen mussten.
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