NAHOSTGIPFEL: WIEDER UNTER AUSSCHLUSS DER BEVÖLKERUNG: Diplomatie in Bataillonsstärke
Wenn Barak und Arafat sich heute treffen, sind sie zum Erfolg verdammt. Denn die Alternative wäre nicht nur, dass Palästina und möglicherweise auch Israel in einem Bürgerkrieg versinken und eine ganze Region destabilisiert wird. Es geht auch um die Macht der beiden. Es mag strittig sein, ob Arafat seine Kämpfer noch kontrollieren kann. Fest steht indes, dass der Aufstand Arafats Autorität bei den Palästinensern zunehmend unterhöhlt. Es sind die radikalislamischen Kräfte, die profitieren.
Auch Barak ist schon angeschlagen genug: Er hat keine Mehrheit in der Knesset, seine Umfrageergebnisse sind miserabel und der Misserfolg seiner Verhandlungen mit den Palästinensern ist offensichtlich. Bleiben die Gespräche im ägyptischen Scharm el Scheich ergebnislos, dann dokumentiert das sein endgültiges politisches Scheitern.
So gesehen sollten die Gespräche zumindest dazu führen, dass die unmittelbare Gewalt eingedämmt wird. Mehr ist ohnehin nicht zu erwarten. Doch trotz dieser eigentlich geringen Hoffnung: Selbst daran könnten die Verhandlungen scheitern – so schwach sind Barak und Arafat längst. Denn um überhaupt irgendeinen Erfolg zu erzielen, müssten beide zunächst ihre eigene Position in Frage stellen. Jedes Zurückweichen könnte jedoch von der internen Opposition in Israel wie in Palästina als Verrat interpretiert werden.
Daher hat sich Arafat bisher geweigert – ganz unabhängig davon, ob er dazu noch die nötige Autorität besitzt –, ein Ende der Gewalt zu befehlen. Er würde von seiner Opposition als Lakai des Feindes gebrandmarkt. Ebenso fällt es Barak schwer, die israelischen Panzer wieder in die Depots zu beordern. Das würde vom oppositionellen Likud als einseitiges Zurückweichen interpretiert. Es wird die Aufgabe von UN-Generalsekretär Kofi Annan und US-Präsident Bill Clinton sein, ein Regelwerk der Deeskalation zu finden, ohne dass Arafat und Barak ihr Gesicht verlieren. Dass die internationalen Vermittler gleich in Bataillonsstärke anreisen, zeigt, wie schwierig das werden wird.
Doch auch ein Verhandlungserfolg wird keine Garantie sein, dass der Friedensprozess neu beginnt. Es wäre zunächst nicht mehr als eine Atempause. Zu viel ist passiert: rund 100 tote Palästinenser und tausende Verletzte, zwei vom Mob gelynchte israelische Soldaten, eine palästinensische Polizei, die sich unfähig oder unwillig zeigt, das zu verhindern, ein geschändetes jüdisches Heiligtum, in Brand gesetzte Moscheen – wenn es überhaupt Vertrauen gegenüber dem anderen Volk gegeben hätte, so ist es jetzt verschwunden.
Welchen Grund sollte es für Palästinenser und Israelis noch geben, einen Friedensprozess fortzusetzen, der in Mord und Totschlag zu enden scheint? Warum sollten die Bewohner von Westjordanland und Gazastreifen Friedensgespräche mit Israel unterstützen, wenn das bisschen Frieden, das es bis vor zwei Wochen noch gab, keinen Wohlstand, sondern nur Verarmung gebracht hat? Weshalb sollten Israelis etwas von Verhandlungen erhoffen, wenn eines ihrer Ergebnisse ist, dass die Palästinenser nicht mehr nur Steine werfen, sondern Maschinenpistolen zur Verfügung haben?
Schon in den letzten Jahren war es ein zentrales Problem des Friedensprozesses, dass er weitgehend ohne die Bevölkerung vorangetrieben worden ist. Man hat sich erfolglos mit Grundsatzfragen herumgeschlagen, wie dem zukünftigen Status von Jerusalem. Kaum gekümmert hat, ob Israelis und Palästinenser Verbesserungen im Alltag genießen konnten – sie konnten es in aller Regel nicht. Man hat Konferenzen ohne Zahl abgehalten – und die Menschen vergessen.
Insbesondere der palästinensischen Bevölkerung hat der Friedensprozess bisher keine Perspektive für ein besseres Leben gegeben. Auch darum konnte der provokante Besuch von Scharon auf dem Tempelberg überhaupt als Auslöser für den Aufstand der Palästinenser fungieren. Wenn der Friedensprozess überhaupt noch eine Chance hat: Er darf nicht wie bisher fortgesetzt werden.
Die einzige Chance für einen weiteren Friedensprozess ist, dass eine Alternative nicht vorhanden ist. Die Palästinenser können keinen Krieg gegen Israel gewinnen. Die Israelis müssen mit den Palästinensern leben. Beide müssen Angst haben: vor einer scharf schießenden Armee die Palästinenser, vor neuen Selbstmordanschlägen die Israelis. Doch Logik hat im Nahen Osten nicht immer die Oberhand behalten. KLAUS HILLENBRAND
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