piwik no script img

Mysteriöser Todesfall in RusslandSt. Petersburger Fenstersturz

Der Musiker Wadim Stroikin fällt während einer Wohnungsdurchsuchung aus dem neunten Stock eines Wohnhauses. Er hatte den Ukraine-Krieg kritisiert.

Der russische Staat sieht alles, weiß alles und vor allem weiß er, wo das nächste offene Fenster ist Foto: Dmitri Lovetsky/ap

Berlin taz | Der Musiker Wadim Stroikin wäre nicht der erste Mensch in Russland, der durch einen Sturz aus dem Fenster ums Leben kommt. Doch während bei kritischen und dem Regime lästigen Zeitgenossen in der Regel nachgeholfen wird, um sie auf diese Art ins Jenseits zu befördern, könnten die Dinge bei Stroikin anders liegen.

Russischen Medienberichten zufolge soll der 58-jährige Sänger und Komponist am vergangenen Mittwoch während einer Durchsuchung seines Apartments durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden aus dem neunten Stock eines Wohnhauses in St. Petersburg gesprungen sein.

Die Vertreter der Staatsmacht waren zwecks Ermittlungen wegen angeblicher Beteiligung an einer „extremistischen Organisation“ bei Stroikin angerückt. Diese soll Gelder an die die Streitkräfte der Ukraine gespendet haben. Dem Musiker hätten bis zu 20 Jahren Haft gedroht.

Die Petersburger Onlinezeitung Fontanka will erfahren haben, dass Stroikin zum letzten Mal lebend gesehen wurde, als er in die Küche gegangen sei, um ein Glas Wasser zu trinken. Wenig später sei sein lebloser Körper im Innenhof der Wohnanlage gefunden worden.

Stroikin wurde in Sneschinsk geboren. Die Stadt im Ural ist Teil des militärisch-industriellen Komplexes und kann nur mit einer Sondererlaubnis besucht werden. Bereits als Schüler begeisterte er sich für Musik und brachte sich die Grundlagen selbst bei. Seine Gitarre bezeichnete er einmal als seinen ewigen Begleiter.

Moderator beim Radio

In den 1990er Jahren absolvierte Stroikin die Britische Journalistenschule und moderierte dann die Sendung „Liedermacher stellen sich vor“ beim kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy in Jekaterinburg. In den letzten zehn Jahren und nach einem Umzug nach St. Petersburg widmete er sich dem Schreiben neuer Songs, gab Konzerte und Gitarrenunterricht.

Nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 postete er auf seiner Seite bei VKontakte (das russische Pendant zu Facebook) Beiträge, in denen er die russische Führung wegen des Krieges scharf kritisierte. In einem von ihnen bezeichnete er Kremlchef Wladimir Putin als einen „Bastard“, weil der nicht nur gegen ein brüderliches Volk in den Krieg gezogen sei, sondern auch seinem eigenen Volk den Krieg erklärt habe.

Mittlerweile haben Freunde von Stroikin mit eigenen Gedichten auf dessen Tod reagiert. Sergei Iwkin, Dichter und Künstler aus Jekaterinburg, widmete Stroikin ein „Sonett des Gedenkens“. Die beiden letzten Zeilen lauten: „Jemand wie er konnte nicht alt bleiben. Jetzt ist er ein freie Wind über der Newa.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ja ja die Fenster in Russland, die sollte man meiden!

  • Und wieso wird russischen Medienberichten plötzlich geglaubt? In einer Diktatur lügen nicht nur die Machthaber sondern auch die Medien. Oder müssen wir heute etwa unsere Sicht auf den "Völkischen Beobachter" revidieren?