Mutter im Rentenalter: Zu den Dritten das Erste
Eine 64-jährige hat nach künstlicher Befruchtung in Aschaffenburg ihr erstes Kind geboren. Beide sind wohlauf. Aber ist, was technisch machbar ist, auch moralisch wünschenswert?
"Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran", sang der Schlagerstar Udo Jürgens (73) einst und landete damit einen seiner größten Hits. Für eine 64-jährige Frau aus Aschaffenburg haben diese Zeilen jetzt wohl eine ganz besondere Bedeutung: Denn die Türkin hat letzte Woche ihr erstes Kind zur Welt gebracht und ist damit die älteste bekannte Spätgebärende Deutschlands. In einem Alter, in dem andere gemütliche Kreuzfahrten buchen, hat diese Frau sich für das Windelnwechseln entschieden.
Das kleine Mädchen ist gesund, und auch der Mutter geht es nach dem Kaiserschnitt gut. Die Frau hatte sich eine mit den Spermien ihres Mannes befruchtete Eizelle einer jungen Frau im Ausland einsetzen lassen. In welchem Land die Frau die Eizellenspende erhalten hat, ist nicht bekannt. Das türkische Ehepaar kennt die Spenderin nicht. Es war keine Hauruckentscheidung. Die Frau hat alles ausgeschöpft, alles versucht und nichts ist gelungen. Das Ehepaar hat sich nach mehreren Fehlgeburten den Kinderwunsch jetzt doch noch erfüllen können.
Aber darf das sein? Eine Mutter im Oma-Alter, eine Rentnerin, die ein Kind gebärt? In Internetforen wütet schon ein Flächenbrand der Empörung. "Ich habe es nie verstanden, dass Frauen ab einem bestimmten Alter sich noch vermehren wollen. Natürlich ist das purer Egoismus", schreibt ein User mit dem Namen Bulgariana. "Wie groß muss der Egoismus sein, um einen solchen Wahnsinn durchzuziehen?", fragt ein anderer User.
Egoismus? Wahnsinn? Es gibt viele reife Männer, die noch ein Kind zeugen. Diese gelten dann als besonders potent und genießen die gesellschaftliche Achtung. Der älteste bekannte Vater der Welt war der Arzt John Hullinger aus Iowa. Der wurde mit 93 Jahren Vater eines gesunden Sohnes. Pablo Picasso war bei der Geburt seiner Tochter Paloma schon ganze 68. Mit seinem Altersbauch, der Glatze und den wenigen weißen Haaren sah er eher wie ihr Großvater aus. Anthony Quinn war 81, als sein jüngster Sohn Ryan auf die Welt kam. Es gibt aber auch ältere Frauen, die sich noch für ein Kind entscheiden.
So brachte 2005 in Rumänien eine 66-Jährige eine Tochter zur Welt. Die Frau hatte sich einer Fruchtbarkeitsbehandlung unterzogen und sich künstlich befruchten lassen. Die Zwillingsschwester des Babys starb im Mutterleib. Zuvor galten eine Italienerin und eine Amerikanerin, die mit 63 Jahren Kinder zur Welt gebracht hatten, als älteste Gebärende. Warum sollte also eine 64-Jährige nicht auch noch einmal Mutter werden? Das Ehepaar genießt seine Rente und hat damit ausgiebig Zeit für sein Neugeborenes. "Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss. Mit 66 Jahren, ist doch lang noch nicht Schluss", sang auch Jürgens einst.
Viele Kinder wachsen heute in einem emotionalen Notstandsgebiet auf. Das kleine Mädchen aber ist ein Herzenskind, wahrscheinlich wird es ihm an nichts fehlen. Trotzdem stellt sich die Frage, ob alles, was erlaubt, auch zumutbar ist? Vor allem für das Neugeborene. Denn die Frau aus Aschaffenburg hat wahrscheinlich graue Haare und die ersten Altersflecken, vielleicht trägt sie auch ihre dritten Zähne, die Haut wird nicht mehr allzu frisch sein. Sollte dies alles nicht so sein, wird zumindest in absehbarer Zeit der erste Zerfall eintreten. Natürlich sind äußere Merkmale kein Kriterium fürs Kinderkriegen, aber mit dem Alter ändert sich bekanntlich nicht nur das Aussehen, auch körperliche Beeinträchtigungen nehmen zu.
Wird einem Kind damit nicht die eigene Jugend geraubt, wenn sich schon sehr früh die Rollen umkehren und das Kind für die Eltern sorgen muss. Die Eltern werden mit dem Kind schwerlich auf Sportplätzen umherflitzen können, sie werden eher am Rand sitzen. Auch die Aussage eines des Klinikleiters, die Frau wirke wesentlich jünger, beruhigt nicht wirklich.
Haben die Eltern rücksichtslos dem Kind gegenüber gehandelt? Denn die Wahrscheinlichkeit, dass die Eltern die Volljährigkeit des Kindes erleben, ist doch geringer als bei Jüngeren - und wenn Eltern sterben, ist die Kindheit vorbei. Das Ehepaar zumindest hat beschlossen, dass beides geht: die Rente zu genießen und ein erstes Kind.
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