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Muss es immer Perfekt sein?

Das Präteritum, die schlichte Vergangenheitsform, hat in der modernen Zeitungssprache ausgedient. Eine Sprachkritik

von GUDRUN SCHURY

Es begann mit dem Feuilleton und dort mit der Filmkritik: Truffaut hat einmal gesagt …, Scorsese hat einen neuen Film gedreht …, Tom Tykwer ist geehrt worden … Wie Windpocken verbreitete sich die Modekrankheit „Perfekt“ über den Rest der Ressorts. Kein Roman erschien seither mehr, aber unzählige sind erschienen, keine Sitzung wurde eröffnet, doch viele sind eröffnet worden, niemand widersprach, doch jedermann hat widersprochen.

Offenbar gibt es Wörter, die schwer aus den Tasten kommen: tötete, schossen, brach zusammen, kam ums Leben. Oder: errang, erhob, meldete, genehmigte, gewann, zog. Also schreibt man: hat getötet, haben geschossen, ist zusammengebrochen, ist ums Leben gekommen, hat errungen, erhoben, gemeldet, genehmigt, gewonnen, gezogen. Und dann sind da die vertrackten Zusammensetzungen, die durch die Vergangenheitsform auseinander gerissen werden: rief … aus, bot … an, wies … zurück. Also hat die Nato ausgerufen, hat der Kanzler angeboten, hat Schily zurückgewiesen.

Nicht dass der Perfektismus die Artikel überzöge wie Schuppenflechte. Die heutige politische Nachricht weiß durchaus abzuwechseln. Erster Satz – Perfekt: „Bei den Parlamentswahlen haben die Konservativen den Sieg davongetragen.“ Zweiter Satz – Plusquamperfekt: „Die Partei hatte zuvor ein Bündnis mit den Nationalisten angekündigt.“ Dritter Satz – Präsens: „Das Bündnis verfügt nun über zwei Drittel der Parlamentssitze.“ Dann wieder von vorne anfangen mit dem Tempuswechsel. Da kann nichts schief gehen! Das gilt übrigens auch für den Sportjournalismus, in dem ein wunderbarer erster Satz lautete: „Der Münchner Abendzeitung gegenüber hat Ottmar Hitzfeld ein erschütterndes Geständnis abgelegt.“

Woher aber stammt das Unbehagen am Präteritum? Im mündlichen Alltag ist es Brauch, vergangene Zeiten mit Perfekt auszudrücken, will man nicht als arrogant gelten. Der Kaffeeklatsch lebt vom „Und dann hat sie“-Duktus. Wer dort anrückte mit „letzte Woche buk ich Apfelkuchen“, würde verlacht. Daher kann die grammatikalische Faulheit der Journalisten freilich nicht kommen. Sie wird begünstigt durch zwei Phänomene schriftlichen Ausdrucks.

Zum einen sind sich immer mehr Menschen, ergo auch Reporter und Redakteure, unsicher über Zeitenfolge und Verbformen; aus dem Dilemma helfen sie sich durch die vertraute Konstruktion Hilfsverb plus Partizip Perfekt. Zum anderen meinen sie, eine Aura von Unmittelbarkeit und intimer Vertrautheit mit der Materie zu verbreiten, wenn sie schreiben „Präsident Bush hat in seiner Rede betont …“

Es klingt ja auch nicht direkt falsch. Doch man begibt sich der Möglichkeit von Bedeutungsdifferenz, wenn man nicht zwischen „trat zusammen“ und „ist zusammengetreten“ unterscheidet: Ist der Ausschuss noch immer am Debattieren, ist Perfekt angesagt, liegen die Mitglieder inzwischen im Bett, Imperfekt.

Noch deutlicher als bei der Satzbildung fallen Trends bei den Überschriften ins Auge. Kaum glaubt man die Wortspielmode („Klammer und Sichel“), die Titelverdrehmode („Mit 80 Keimen um die Welt“), die Namenvariiermode („Einsinkende Altbauten“) und die Zitatabwandelmode („Stein oder nicht Stein“) überstanden, bricht eine neue Epidemie aus.

Auch sie verbreitet sich von den Höhen der publizistischen Steilwände aus bis in die Niederungen beschaulicher Lokalblättchen. „Warum Amina Handke leidenschaftlich gerne sammelt“, erfahren wir vom Feuilleton, das auch weiß, „Wie sich Amy Tan und Isabell Allende fühlen“. Ein Regionalteil berichtet, „Wie eines der Skinheadopfer die zunehmende Ausländerfeindlichkeit erlebt und warum er dennoch bleibt“. Ein Wirtschaftsteil wartet auf mit der Erklärung, „Warum die deutschen Banken massiv Stellen streichen“.

Welch seltsames Gebilde, das mit einem Fragewort beginnt, aber nicht mit einem Fragezeichen endet, das daherkommt wie ein Nebensatz, doch keiner ist! Die Ellipse, wie die Sprachforscher den unvollständigen Satz nennen, ist selbstverständlich eine Domäne der Überschrift, welche kurz sein, informieren und in einen Text hineinziehen soll. Das ist aber nicht der Grund für die Beliebtheit des Fragments.

Die dem Relativpronomen ähnlichen Verweiswörter „wie, was, warum, weshalb“ beziehen sich eigentlich auf einen ganzen, vorausgehenden oder nachfolgenden Satz. Den aber spart sich die Oberzeile des genannten Typs, da er immer den gleichen naseweisen Sinn hätte: Mein Artikel enthüllt. Lesen Sie hier. Sollten Sie wissen.

Inzwischen gibt es kein Druckerzeugnis mehr, das von der Krätze, an der besonders die Untertitel laborieren, nicht befallen wäre. Wir durchblättern Zeitung um Zeitung, streifen Seite um Seite, staunen Schlagzeile um Schlagzeile, „Wie der Hundertjährige Krieg um Palästina beendet werden kann“, „Was die Engländer an England immer geliebt haben“, „Wo Jesus echt cool ist“, „Warum wir denken, wie wir denken“, „Wie Konzerne mit ihrer Geschichte umgehen“, „Warum es zwei Geschlechter gibt“, „Wie man in Amerika trotz Arbeit arm bleiben kann“, „Weshalb es die neugriechische Literatur schwer hat“, „Wie man die Freiheit verspielt“, „Wie man über Leichen geht, ohne auf sie zu treten“, „Was mit Sicherheit endlich gesagt werden musste“.

Gewiss, es ist nicht leicht, zum tausendsten Mal eine originelle Titelzeile zu formulieren. Weil auch dem muntersten Redakteur mal die Ideen ausgehen, entstehen Moden – und deren Revivals. Schon sind sie wieder da, die klassischen Kreationen „Vom Leben mit …“, „Das Glück. Oder: …“, „Über die …“, „Die Geburt … aus dem Geist …“, „Von … bis …“, „Zwischen … und …“. Dass der bunt gemixte Retrostil mit aktueller Couture aufgepeppt werden kann, beweist die Miss Headline 2001: „Vom Wegweiser zum Olympier oder Wie ein Gott gemacht wird“.

Und was bringt die neue Überschriftsaison? Prognose: Es wird der packend präsente Subjektlook sein, wie ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung prophetisch bereits bei der Prêt-à-porter-Schau ihrer letztjährigen Buchmessenkollektion vorführte – dynamisch, figurnah, mit einem Hauch Adventure: „Péter Nádas schüttet …, Christoph Peters probt …, Jenny Erpenbeck entzaubert …, Thomas Hettche verteidigt …, Durs Grünbein schafft …, John Updike verführt …, Ulla Hahn trifft …, Lavinia Greenlaw spielt …, António Lobo Antunes geht …, Menis Koumandareas kauft …, John von Düffel geht …, Andrzej Stasiuk greift …, Juli Zeh zieht …, Lawrence Norfolk bläst …, J. Randy Taraborrelli seziert …, Denis Johnson hebt ab …, Walter Kempowski überlebt“.

Sicher auch das.

GUDRUN SCHURY, 42, ist Publizistin und Literaturwissenschaftlerin. Sie lebt in Bamberg. Zuletzt erschien von ihr „Lebensflut. Eine Kulturgeschichte des Blutes“, Reclam, Leipzig 2001, 221 Seiten, 9,90 Euro

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