piwik no script img

Musikspielplatz BerlinDer Laden läuft wieder

Auch Sony Music profitiert von Streaming und kehrt nach Berlin zurück, wo schon alle anderen Akteure des Geschäfts sitzen.

Da spielt eben die Musik Foto: dpa

Sony Music kommt nach Berlin. Zurück, muss man dazu sagen. Bis 2004 hatte das Major-Label seine Deutschland-Dependance im Sony-Center am Potsdamer Platz. Nach der Fusion mit Bertelsmann zog der neugegründete Konzern nach München. Es war dies die Zeit, in der sich die Musikindustrie in einem Jammertal befand. Illegales Downloaden von Musik hatte sich zum Massensport entwickelt, die Umsätze einer Branche, die noch in den 90er-Jahren Dank der CD-Verkäufe aus dem Glücksrausch gar nicht mehr herauskam, brachen spürbar ein.

Sparen war also angesagt für Sony BMG. Die Mietkosten im Sony-Center seien zu hoch, hieß es damals, Stellen sollten abgebaut werden – was sich bei solch einem Umzug besonders effektiv bewerkstelligen lässt.

Jetzt ist alles anders. Es geht wieder aufwärts mit der Musikindustrie. Vor Kurzem erst hat der schottische Autor John Niven mit „Kill ’Em All“ eine Fortsetzung seines Romans „Kill Your Friends“ veröffentlicht. Dessen Hauptfigur Steven Stelfox, ein zynischer Musikmanager, der die Boom-Neunziger als eine einzige dekadente Party erlebte, stieg 2003 aus, lässt Niven mitteilen. Der Spaß war aufgrund des Niedergangs der CD vorbei. Nun aber ist auch Steven Stelfox zurück im Business. Denn seit 2014 steigen die weltweiten Umsätze der Musik­industrie wieder. Stelfox kann sich sein Koks erneut leisten. Streaming, das weltweit inzwischen mehr Umsätze generiert als physische Tonträger, ist zum Rettungsanker der Musikindustrie geworden.

Sony Music und BMG trennten sich schon 2008 wieder. BMG stellte sich mit Sitz in Berlin neu auf und ist heute immerhin das viertgrößte Musikunternehmen der Welt. Sony Music ist die Nummer zwei hinter Universal, dessen Deutschlandzentrale bereits 2002 auch Dank der Bereitstellung von hohen Subventionen von Hamburg nach Berlin gezogen ist.

Die bessere Zukunft

Die Firma, die vor 15 Jahren in depressiver Stimmung die Stadt verlassen hat, kommt nun also gestärkt zurück. Mit den Streamingdienst-Deals in der Tasche, die ihr eine bessere Zukunft versprechen.

Diejenigen, denen man den Aufschwung zu verdanken hat, sitzen dann praktischerweise auch gleich um die Ecke von der neu eingerichteten Sony-Music-Zentrale an der Potsdamer Straße, die im nächsten Jahr bezogen werden soll. Spotify, die Nummer eins unter den Streamingdiensten, hat seinen Deutschlandsitz in Mitte. Und Idagio, eine Art Spotify für klassische Musik, residiert in Kreuzberg.

Die, denen man den Aufschwung verdankt, sitzen dann gleich um die Ecke

Streaming ist mit etwas Verspätung auch für die Klassik-Musikindustrie zur neuen Erfolgsformel geworden, das Interesse daran nimmt von Konsumentenseite ständig zu und damit auch das der Klassiklabels. Und Sony Music hat jede Menge Klassik im Portfolio.

Berlin ist bereits Deutschlands unumstrittene Musikhauptstadt, auch schon vor dem Umzug von Sony Music nach Schöneberg. 1.450 Musikunternehmen sind hier ansässig, 13.300 Erwerbstätige unterhalten diese, fast 2 Millarden Euro Umsatz machen sie im Jahr. Dazu kommen noch Hunderte von Clubs und ein Konzertangebot in allen musikalischen Bereichen, das europaweit seinesgleichen sucht.

Auch dieses kreative Umfeld ist sicherlich ein Grund für eine Firma wie Sony Music, hierher zu ziehen. Doch dort zu sein, wo die „Szene“ ist, das ist für eine große Plattenfirma nicht mehr so wichtig, wie es das in vordigitalen Zeiten war. Coole Bands vor Ort entdecken, interessante Acts mit Potential signen, das machen die Kleinen. Vor allem im Bereich der elektronischen Musik gibt es unzählige Labels in der Stadt, manche Clubs wie das Berghain betreiben selbst welche. Und ein Label wie Staatsakt, bei dem Acts wie Isolation Berlin und Christiane Rösinger beheimatet sind, steht sogar für eine bestimmte Form von Indiepop typisch Berliner Machart. Doch ein Major wie Sony Music ist gar nicht interessiert am langsamen Aufbau bestimmter Acts. Für sperrige Indiebands interessiert man sich eher nicht, für düsteren Berlin-Techno genauso wenig. Rap aus Berlin ist da schon um einiges interessanter. Den nächsten Capital Bra, der heute noch seine Stücke auf Sound­cloud (Hauptsitz der Firma: Berlin) veröffentlicht und morgen schon die Charts anführt, hätte jede große Plattenfirma gerne unter Vertrag.

Wichtiger aber, als sich dort zu befinden, wo die Musik spielt, ist für eine Firma wie Sony Music, dort beheimatet zu sein, wo die Streamingdienste sitzen, von denen man sich abhängig gemacht hat. Ohne die und deren Erfolg wäre auch Steven Stelfox seinen Job sehr schnell wieder los.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!