Musikfestival FEMUA in Abidjan: Visionen, Ideen und hohe Zinsen

In Anoumabo, einem Slum der ivoirischen Metropole Abidjan, findet das Musikfestival FEMUA statt. Mit dem Erlös werden neue Schulen gebaut.

Mehrere Musiker in weißer Kleidung performen auf einer Bühne

Les Leaders bei ihrem Konzert beim Festival Femua in Abidjan Foto: Femua Festival

Hohe Zinsen wecken hohe Erwartungen. Umso mehr, weil „hohe Zinsen“ im ivorischen Französisch als Bezeichnung für Geschäftsleute verwendet wird. Und hohe Zinsen mit Geschäftsideen braucht Côte d’Ivoire dringend. Jemand wie Abdoulaye Diakaté.

Der junge Mann hat es sich mit seiner Beratungsfirma „L.M.S.“ zur Aufgabe gemacht, Familien zu helfen, die in die Fänge von Fußballschleusern geraten sind. Solche Typen sind Dutzende in Westafrika unterwegs, geben sich als Talentsucher aus, ziehen den Menschen aber nur Geld aus den Taschen, indem sie behaupten, sie würden aus ihren Kindern Fußballstars formen. Diakaté gibt beim Musikfestival Femua einen Workshop zum Thema „Football d’accord/École d’abord“: Seine Idee, Bildung und Fußball gemeinsam zu stärken, stößt auf breites Interesse. Fußball ist Volkssport in Côte d’Ivoire. Oft wird hier die Abwesenheit von zivilgesellschaftlichem Engagement beklagt, Diakaté zeigt, wie es auch anders geht.

Nach der Entspannung der Jahre 2012 bis 2015 sieht das westafrikanische Land wieder unruhigeren Zeiten entgegen, ersichtlich an den Meutereien unter den Soldaten, die es im letzten Jahr gab. 2020 stehen Präsidentschaftswahlen an. Gerade hat eine dritte Partei verkündet, ins Rennen zu gehen, was der nach wie vor auf wackligen Füßen stehenden Demokratie nur guttun kann. Die Weichen für die Zukunft werden bereits jetzt gestellt. Auch, weil gesellschaftliche Großbaustellen wie Stadtplanung, Bevölkerungsentwicklung und Arbeitsmarktpolitik in Côte d’Ivoire am Anfang stehen.

Platz 171 HDI

Was das bedeutet, verdeutlicht zum Beispiel die Tatsache, dass das Land auf dem „Human Development Index“ (HDI) auf Platz 171 rangiert. Errechnet wird der HDI nach der Lebenserwartung (im Durchschnitt 51 Jahre), dem Pro-Kopf-Einkommen und den Bildungschancen. Müllentsorgung und Verkehrs­aufkommen bereiten in der 4,5-Millio­nen-Einwohner-Metropole Abidjan enorme Probleme. Fast 95 Prozent der Wirtschaft werden informell abgewickelt, das Feilschen um den Fahrpreis im Taxi ist für einen Deutschen gewöhnungsbedürftig, gleichwohl würde man sich zu Hause etwas mehr informelle Wirtschaft wünschen.

Professionell durchgeführt wird das zum elften Mal in Abidjan an vier Tagen stattfindende Musikfestival Femua. Seine Konzerte werden von 65 TV-Kanälen live im afrikanischen Fernsehen übertragen, Millionen Zuschauer sind dabei, wenn Stars und Lokalhelden auftreten. Für die Menschen in Abidjan ist der Eintritt zum Festival frei.

Obwohl diesmal Trickser versucht haben, Eintritt zu kassieren, strömen die Menschen zu Tausenden auf das Festivalgelände, das diesmal auf einem weiträumigen Sportgelände untergebracht ist. Alleinstellungsmerkmal ist nicht nur die Verortung von Femua in dem Slumviertel Anoumabo, aus dem sein künstlerischer Leiter, der Musiker Salif Traoré alias A’Salfo kommt. A’Salfo ist ein Volksheld in Côte d’Ivoire und seine Band Magic System in der gesamten frankophonen Welt bekannt.

„Un Femua, une école“

Anders als vergleichbare europäische Veranstaltungen hat das Festival Femua auch ein bedeutsames Begleitprogramm: Sein soziales Engagement endet nicht, wenn am Samstagmorgen um fünf Uhr früh die letzten KünstlerInnen von der Bühne gehen. Jedes Jahr wird mit dem Erlös aus der TV-Übertragung eine neue Schule in Anoumabo errichtet. „Un Femua, une école“: Neun Einrichtungen gibt es bereits. Die Schule „Ecole Magic System“, in die 300 Kinder von der ersten bis zur vierten Klasse gehen, ist ausgestattet mit Bibliothek und Klimaanlage. Noch mehr gefällt den SchülerInnen, dass „es ist die Schule von Magic System ist“, wie ein Schüler erklärt.

„Éducation“ heißt nicht zufällig auch ein Song der ivorischen Künstlerin Dobet Gna­horé, die als Headlinerin spielt. Gnahoré lebt seit Langem in Frankreich. In Europa wird sie als „Afro-Pop-Sensation“ vermarktet, sich selbst sieht Gna­horé als ivorische Künstlerin. „Kostenloser Schulbesuch muss für Kinder eine Priorität sein“, sagt Gnahoré auf der Bühne und spielt den Rahmen einer Floor-Tom, bevor sie mit ihren Backgroundsängerinnen in ein raffiniertes Call-&-Response-Schema fällt. Ihr dreiköpfige französische Begleitband legt derweil ein analoges Elektronikbett, das manchmal etwas unter dem aufdringlichen Spiel des Gitarristen leidet. Dennoch hat Gnahoré vom ersten Takt an die Zuschauer für sich eingenommen. Ihre somnambulen Bewegungen auf der Bühne erinnern manchmal etwas an Björk.

Die Menschen unterhalten

2018 ist das Femua-Thema „L’immigration clandestine“, man stellt sich der Tatsache, dass in den ersten beiden Monaten des Vorjahres 800 IvorerInnen in Italien registriert wurden und 2016 aus Côte d’Ivoire 13.000 Menschen über das Mittelmeer Richtung Europa geflüchtet sind. A’Salfo sagt im Gespräch mit der taz, sein Festivalprogramm könne nur ein kleiner Beitrag zur Diskussion über die „Flüchtlingskrise“ sein. Migration gebe es seit Langem und die Ursachen der Flucht zu benennen, die ungelösten Probleme zur Sprache zu bringen und aufzuklären, sei auch eine Aufgabe von Femua. Wichtig sei aber auch, die Menschen in Abidjan einfach zu unterhalten. Ihnen Angebote vor Ort zu machen.

Der britische Philosoph Kwame Anthony Appiah hat in seiner Studie „Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums“ Vorschläge zur Verbesserung des Alltagslebens gemacht: „Gespräche, die über Grenzen hinweg geführt werden, können ein Genuss oder eine Qual sein […], aber eins sind sie ganz gewiss: unvermeidlich.“ In der mehrstündigen Debatte beim Femua wird etwa die britische Unicef-Kommissarin Miranda Armstrong mit den Aussagen junger IvorerInnen konfrontiert: Reisefreiheit fordert ein junger Mann. Und, eine junge Frau bemerkt, es sei ungerecht, dass die Gebühren für den Visa-Antrag nicht rückerstattet werden, wenn dieser abgelehnt wird.

„Wir sind keine Sklaven, das Zeitalter des Kolonialismus ist vorbei, wir haben Internetzugang und Smartphones, wir nutzen soziale Medien, das ist unsere afrikanische Gegenwart. Nehmt das endlich zur Kenntnis.“ Mit dem jungen TV-Moderator Charly Tchatch aus Libreville (Gabun) komme ich danach ins Gespräch. Zu Hause arbeitet er für eine TV-Station, nun hofft er auf größere Bekanntheit: „23 Millionen Ivorer, das sind für mich 23 Millionen Chancen“, entgegnet Thatch auf die Frage, ob Bildung eine Antwort auf die Flüchtlingskrise geben könne. Zwischen den Konzerten auf der Bühne macht er aufmunternde Ansagen. In roter Hose und blauem Sakko, mit Porkpie-Hütchen und Aktenkoffer mimt er einen Sapeur mit Geschäftssinn, reißt Witze.

Und ruft immer wieder. „Zouglou“. „Zouglou“ begann als Protestmusik in Abidjan, zuerst wurde der Uptempo-Stil von Studenten gespielt, aus Zorn über die schlechte Jobsituation. Den „Zouglou“ genannten Sound gibt es dann auch beim Femua als Les Leaders, ein Gesangstrio aus Anoumabo, auf die Bühne kommt.

Mitreißende Tanzmusik

Die Lokalhelden treten in Begleitung einer achtköpfigen Band auf und spielen mitreißende Tanzmusik, im Wechsel mit vier TänzerInnen treten vier Trommler nach vorne, spielen perkussive Figuren. Insgesamt überzeugen Les Leaders auch durch ihre kommunikativen Melodien, es wird soliert, aber zumeist brillieren die MusikerInnen gemeinsam. Les Leaders, der Bandname hat symbolische Bedeutung, denn es ist zu merken, dass in Abidjan Kompetenzgerangel herrscht. Ständig wuseln Sicherheitskräfte um die Journalisten, bewaffnete Einheiten der Polizei und des Militärs bewachen das Festivalgelände.

Abidjan ist keine Boomtown. Man merkt das, wenn man im Geschäftsviertel Plateau vor dem Wahrzeichen „La Pyramide“ steht: Dieses in den Jahren 1970 bis 1973 vom italienischen Architekten Rinaldo Olivieri erbaute futuristische Gebäude ist heute dem Verfall preisgegeben. Wenigstens wurde das verblasste Symbol des postkolonialen afrikanischen Selbstbewusstseins aufgrund von Protesten nicht abgerissen. Im Inneren türmen sich Bauschutt, Müll und Hinterlassenschaften des ivorischen Rechnungshofs, der einst in „La Pyramide“ untergebracht war. Jemand mit einer Vision müsste diese Gebäude renovieren und wiederbeleben, aber es fehlt an Investoren.

Salif Traoré ist jemand mit einer Vision, seine Idee, ein Festival für die Menschen in Anoumabo zu organisieren, nur mit afrikanischen Künstlern, hat sich durchgesetzt. Das Viertel ist sicherer geworden, seit 2017 sind einige Straßen geteert, heuer wird eine neue Schule errichtet. In die Politik möchte Traoré aber nicht gehen, sagt der Musiker, „dann würde ich ja meine Unabhängigkeit verlieren“. Unabhängig bleiben: Man wünscht dem ­Femua, dass es weiterhin an Attraktivität gewinnt, dass Côte d’Ivoire, Abidjan und das Festival ein Reiseziel für Menschen aus Europa wird.

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