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Musik-Klassiker aus SüdafrikaÜber die Straße in Soweto

Unter Sammlern ist das Album der Heshoo Beshoo Group schon lange so etwas wie der Heilige Gral. Nach fünfzig Jahren wird es jetzt neu veröffentlicht.

Hoch­interessante Einzelkönner in Südafrika: die Heshoo Beshoo Group Foto: Jörg Genzmer

Am 8. August 1969 um 10 Uhr morgens gingen vier Engländer im Londoner St. John’s Wood über einen Zebrastreifen. Ein Fotograf hielt die Szene im Bild fest, und da es sich bei den vier Herren um die seinerzeit berühmteste Popgruppe der Welt handelte und das Foto für das Cover ihres letzten gemeinsam eingespielten Albums verwendet wurde, errang es in kürzester Zeit Ikonenstatus.

Ein paar clevere Design­entscheidungen trugen womöglich das Ihre dazu bei: Auf der Vorderseite des Covers verzichtete man revolutionärerweise – und gegen den eindringlichen Hinweis der Plattenfirma, dies würde die Verkaufszahlen erheblich senken – komplett auf Schrift. Erst auf der Rückseite las man: „Beatles“ und „Abbey Road“.

So wurde quasi nochmals das ein paar Jahre zuvor von John Lennon geäußerte Statement untermauert, die Beatles seien berühmter als Jesus Christus. Es führte außerdem die betonte No-Frills-Ästhetik fort, mit der die Beatles nach ihrem in seiner Pracht und Fülle von Details und Verweisen ebenfalls ikonischen „Sgt. Pepper“-Cover ihre Musik verpackten. Nach der ganz in Weiß und ohne Fotos gehaltenen Hülle des namenlosen ­Doppelalbums von 1968 nun also die lässige Alltäglichkeit eines Londoner Sommertags. Normal.

1970 erschien das Album „McLemore Avenue“ des US-R&B-Instrumentalquartetts Booker T. & The M.G.’s, das Coverversionen sämtlicher Songs des „Abbey Road“-Albums enthält. Auch das Cover war ein Cover: Die vier Musiker überquerten wie die Beatles die Straße, an der das Aufnahmestudio lag, in diesem Fall die McLemore Avenue in Memphis im US-Bundesstaat Tennessee.

Das Album

The Heshoo Beshoo Group: „Armitage Road“ (We Are Busy Bodies/Red Eye)

Und auch in Südafrika wurde die Vorlage aus dem Vereinigten Königreich dankend aufgenommen: Ebenfalls 1970 erschien „Armitage Road“, das erste und einzige Album der Heshoo Beshoo Group, und auch hier überqueren die Musiker auf dem Coverfoto die namengebende Straße.

Normalität in London und in Soweto

Ansonsten könnte das Bild allerdings nicht gegensätzlicher sein: Die Armitage Road in der zu Soweto gehörenden Township Orlando ist staubig und nicht asphaltiert, links und rechts der Straße sieht man armselige Wellblechhütten, volle Wäscheleinen und neugierige Gesichter, und von den fünf Musikern, die mit deutlich kürzeren Schritten unterwegs sind als die britischen Multimil­lio­näre, lassen zwei schwermütig die Köpfe hängen, während ein dritter im Rollstuhl sitzt.

Die ganze Inszenierung ist in sepiagetöntem Schwarz-Weiß gehalten und scheint die Beatles daran erinnern zu wollen, dass die Normalität eines Vormittags in St. John’s Wood für einen Großteil der Weltbevölkerung eine unerreichbare Traumvorstellung ist. Für die schwarze Bevölkerung im Südafrika der Apartheid allemal.

Für das Coverkonzept wie für die Veröffentlichung und Produktion des Albums zeichnete der südafrikanische Jazzfan John Norwell verantwortlich, der sich all dies erlauben konnte, weil sein Vater im Vorstand der südafrikanischen Plattenfirma EMI saß, auf deren Sub­label Little Giant das ­Album schließlich erschien.

Ungeschliffen und intensiv

„Es war damals eine große Sache, ein Album zu veröffentlichen“, erinnert sich der Journalist Rafs Mayet auf der Website des kanadischen Reissue-Labels We Are Busy Bodies, das jetzt nach 50 Jahren „Armitage Road“ wiederveröffentlicht hat, an die musikgeschäftliche Realität des Süd­afri­ka jener Jahre. „Und die wenigen Alben, die herauskamen, hatten auf dem Cover Schönheitsköniginnen, die in irgendeinem Park saßen.“

Südafrikanischer Jazz klang zu jener Zeit ausgesprochen rau und direkt, ungeschliffen, aber existenziell-intensiv. Die Repressionen durch das Apartheidregime hatten 1970 allerdings dazu geführt, dass etliche Musiker das Land verließen bzw. verlassen mussten, darunter künftige Weltstars wie Hugh Masekela und der Pianist Dollar Brand alias Abdullah Ibrahim sowie Chris McGregor und Dudu Pukwana.

Vor allem mit der explosiven Big Band Chris McGregor’s Brotherhood Of Breath mischten sie die britische und europäische Szene auf und schufen nebenbei Aufmerksamkeit für die Zustände in ihrem Heimatland.

Im Schwebezustand zwischen funky und relaxt

Die Daheimgebliebenen hatten es dadurch nicht leichter. Dass ein Album wie „Armitage Road“ mit diesem Cover 1970 erscheinen konnte, ist daher eine umso größere Überraschung. Die Musik ist nicht wie das Cover. Man könnte sogar sagen: Sie ist dem Cover widersprechend entspannt und bedacht.

Anspielung an „Abbey Road“ von den Beatles: Cover der Heshoo Beshoo Group Foto: Promo

Beim zweiten Hören stellt man fest, dass sie sich meistens in einem eigentümlichen Schwebezustand befindet, zwischen funky und relaxt, zwischen aggressiv und melancholisch, zwischen souverän-virtuos und angestrengt. Man hört die Bezüge auf das reichhaltige traditionelle Material, das auch bei den im Exil aktiven Kollegen immer präsent war, aber auch Einflüsse des aktuellen Jazzgeschehens in anderen Teilen der Welt, man hört funky Beats und brasilianische Harmonien.

Und man hört hochinteressante Einzelkönner, allen voran den an Wes Montgomery geschulten Gitarristen, Hauptkomponisten und Arrangeur der Songs, Cyril Magubane, der als Dreijähriger an Polio erkrankte und deswegen nunmehr an den Rollstuhl gefesselt war. Er steuert nicht nur die interessantesten, weil wagemutigsten und über den zeitgenössischen Prä-Fusion-Kanon hinausreichenden Soli bei, sondern ist auch als Rhythmusgitarrist dank Norwells Abmischung das ganze Album über extrem präsent und sozusagen das Herz der Musik. Magubane war es auch, der zur Zeit der Aufnahmen in der Armitage Road wohnte.

Nachhaltige Musikerkarrieren

Die Brüder Henry und Stanley Sithole liefern beherzte Soli und Ensemblepassagen an Alt- bzw. Tenorsaxofon, und nach „Armitage Road“ gründeten sie zusammen mit Heshoo-Beshoo-Drummer Nelson Magwaza und ihrem Trompete spielenden Bruder Danny die Band The Drive, die zu den erfolgreichsten südafrikanischen Jazzbands der 1970er avancieren sollte.

Nicht zuletzt dank ihres brillanten jungen Pianisten Bheki Mseleku, der in den 1990ern zu einem international gefeierten und preisgekrönten Verve Recording Artist werden sollte (und 2008 mit gerade mal 53 Jahren verstarb). Henry Sithole starb zusammen mit The-Drive-Bandleader Bunny Luthuli 1977 bei einem Autounfall.

Die nachhaltigste Karriere unter allen Heshoo Beshoos hatte Bassist Ernest Mothle: 1972 ging er nach Großbritannien, spielte in Exilbands wie Jabula und Chris McGregor’s Brotherhood of Breath, aber auch auf Popproduktionen von Mike Oldfield, Talk Talk und Robert ­Wyatt. 2011 starb auch er. Von Cyril Magubane hörte man nach „Armitage Road“ leider nicht mehr viel: Im Internetwerkkatalog Discogs finden sich nur noch zwei spätere Beteiligungen an Sessions. Laut We Are Busy Bodies ist heute keiner der fünf Heshoo Beshoos mehr am Leben.

Globale Werkgeschichte

„Armitage Road“ erschien 1971 in Frankreich und wurde 1974 in Südafrika ein zweites Mal veröffentlicht. Seitdem avancierte das Werk zu einem der heiligen Grale unter Plattensammlern: Selbst schlecht erhaltene Exemplare wechselten zu einer dreistelligen Eurosumme den Besitzer.

Die globale Werkgeschichte ging nun damit weiter, dass 2010 ein Track des Albums auf der zweiten Ausgabe der exzellenten Compilation-Reihe „Next Stop… Soweto“ des Berliner Strut-Labels erschien. Dieser wiederum weckte die Neugierde des kanadischen Betreibers von We Are Busy Bodies, der das 50-jährige Jubiläum nun zum Anlass nahm, „Armitage Road“ auf Vinyl (ikonisches Cover!) und CD (aufbewahrt für die digitale Ewigkeit) wiederzuveröffentlichen – allerdings in limitierter Auflage: Bandcamp meldet, dass von den ursprünglich 1.500 gepressten Exemplaren noch ganze 70 übrig sind.

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6 Kommentare

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  • anschließe mich - meinen Vorrednern.

    Mal sehn - ob meine Hausfirma noch was für mich übrig hat - 🤫 -

    • @Lowandorder:

      Reingehört - echt stark.

      (to buy - a little bit tricky - or much better - I‘m a little bit too stupid - 😎-

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Danke - gleich auf Vinyl geordert! Wie so oft ein inspirierender, tiefgründiger und feinsinniger Test von Herrn Diedrichsen. Merci nochmal.

    Und ja, einen Nachhall der südafrikanischen 70er Jazzszene hört man auch immer noch auf den Platten von Robert Wyatt.

    • 0G
      02881 (Profil gelöscht)
      @02881 (Profil gelöscht):

      Sollte "feinsinniger Text" heißen. Und der Autor heiß natürlich Diederichsen. Sorry.

  • Danke für die erfrischende Info.

  • Den sehr guten Bericht gelesen, Heshoo Beshoo Grroup gehört, begeistert. Gut, dass ich nichts von den politschen Verbrechen und Lügen, von Kriegen, Corona und Verleugneridioten gelesen habe. Das brauche ich heute nicht. Ein Dank an Detlef Diederichsen!