Museumsführung per Telefon: Die Versuchung auf der Couch
Die Staatlichen Museen Berlin bieten nun auch Telefonführungen an. Unsere Autorin besuchte „das Museum an der Strippe“ im Bademantel.
I m Bademantel ins Museum? Nie hätte ich mir das träumen lassen, aber seit Corona verschwimmen eben Grenzen. Nun sitze ich in meiner Wohnung, die neben Herberge schon so lange auch Büro, Sportstudio und Ort der Freizeitgestaltung ist, und warte darauf, dass sich mein Sofa in die Ausstellungsräume der Alten Nationalgalerie verwandelt.
Statt auf den Bildschirm meines Computers starre ich auf das Handy in meiner Hand. Denn was die Staatlichen Museen zu Berlin seit Neuestem anbieten, ist „das Museum an der Strippe“. Hat man sich einmal angemeldet, erreicht einen per Mail die zu wählende Telefonnummer, die nach Eingabe eines Codes zu einer Telefonkonferenz leitet. Anders als erwartet ist es kein automatischer Guide, der dann die circa einstündige Telefonführung hält, sondern ein echter Mensch – Kunsthistoriker in diesem Falle.
Mit dem Angebot gehen natürlich feste Termine einher, sodass ich betrübt feststellen muss, dass ich die „Reise nach Italien“ in der Gemäldegalerie bereits verpasst habe. Den zweiten Termin für einen telefonischen Italientrip am 24. Februar merke ich mir aber schon mal vor, denn auch dann wird die Pandemie noch walten und mich der trübe Februar sicher in ein akutes Fernweh gestürzt haben.
Zwei weitere Frauen an der Strippe
Für jetzt heißt es „Dekadenz und dunkle Träume“ – von Letzteren habe ich zwar gerade auch so genug, dennoch ziehen mich die Bilder der belgischen Symbolisten sofort in ihren Bann.
Jean Delville, Fernand Khnopff, Félicien Rops, James Ensor und einige mehr hingen bis vor Kurzem noch im ersten Obergeschoss der Alten Nationalgalerie, so der Mann am Telefon, der sich als Lutz Stöppler vorstellt und dessen Stimme mir unweigerlich sympathisch ist. Mit mir an der Strippe hängen noch zwei weitere Frauen, deren Anwesenheit ich aber bis zur abschließenden Fragerunde beinahe vergesse.
„Museum an der Strippe“: Anmeldung unter www.smb.museum/veranstaltungen, Kosten 5 Euro
Stöppler beginnt mit einer Beschreibung des tempelartigen Baus der Alten Nationalgalerie, auf deren breiter Freitreppe Friedrich Wilhelm IV. in Bronze auf seinem Pferde thront. Weiter geht es die Treppen hoch in den Ausstellungsraum und zu einem Bild des Malers und Theosophen Jean Delville. „Die Liebe der Seelen“ zeigt zwei nackte Leiber, die sich in einem Strom aus Luft oder Wasser der Sonne entgegenstrecken.
Auditiver Rundgang für Blinde
Für seinen auditiven Rundgang wählt Stöppler vier der rund 80 Gemälde aus; sie nur mit Worten zu umschreiben braucht Zeit und die nimmt er sich. Er beginnt mit einer Formatbeschreibung, etwas, auf dass man bei einem gewöhnlichen Museumsbesuch vielleicht gar nicht gesondert achten würde. Doch hier wird das eigentliche Anliegen dieser besonderen Führungsart deutlich, „Das Museum an der Strippe“ richtet sich nämlich (auch) an blinde und sehbeeinträchtigte Menschen.
Es ist ungewohnt und erfordert Konzentration, sich auf diese Weise entführen zu lassen. Die Versuchung, zu googeln und die Vorstellung mit der Realität abzugleichen, ist groß. Während die Maltechnik der Symbolisten klassisch blieb, erzählt Stöppler, sich an der realistischen Malerei und Jugendstilelementen orientierte, sind die Motive oft abstrus: mal der Mythologie entlehnt, wie bei Fernand Khnopffs „Die Zärtlichkeit der Sphinx“, oder an christlichen Legenden orientiert, wie Félicien Rops mit seiner sadomasochistisch angehauchten Interpretation von „Die Versuchung des heiligen Antonius“.
Als Stöppler ein Schwein erwähnt, das die Szenerie auf Letzterem beobachtet, siegt bei mir die Neugierde. Doch das Googeln erweist sich als Fehler, denn so verlasse ich diese Imaginationsreise und lande unsanft wieder in der Realität auf meinem Sofa mit dem Handy in der Hand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles