: Muppets on Mars
■ Sebastian Hartmann schickt Schillers „Räuber“ gründlich in den Orbit
Am besten war das Schweigen kurz vor dem Ende. Und nach diesem langen Schweigen, bei dem sich nur das Glitzern in den Augen von Jörg Ratjen verändert, der Satz: Wir können nicht innehalten. Wohl wahr. Auch die Theatermaschinerie muss rattern, wenn keine neuen Stoffe da sind. So hat Sebastian Hartmann zur Spielzeiteröffnung am Schauspielhaus einen Klassiker ausgegraben.
Tatsächlich ist ihm einiges dazu eingefallen. Er dekonstruiert nicht nur, entschlackt und schleudert viel Pathos in den Orbit, er schickt auch die Räuber auf den Mars und steckt den alten Vater Moor in einen Panzer. Und er fügt zusammen, was bei Schiller getrennt war: den „guten“ Räuber Karl und seinen „bösen“ Bruder Franz. Sie verschmelzen bei Hartmann zu einer Person (Alexander Simon).
Besonders neu ist die Erkenntnis, dass in jedem Menschen Gut und Böse steckt, nicht gerade. Wenn Karl/Franz mit Amalia (Maja Schöne) schäkert, geht die Konstruktion immerhin auf. Er reicht der Geliebten die nach oben gewölbte Hand, damit sie ihr Gesicht hineinschmiegen kann. Doch bei der ersten Berührung schlägt er sie. Die wiederum neigt immer wieder den Kopf zu Karl/Franz, um jedes Mal eine Backpfeife zu ernten. Ein Sadomaso-Pärchen? Auf jeden Fall hat Karl/Franz Identitätsprobleme. Karl? fragt er eine Puppe in seiner Hand. Wendet den Kopf zur anderen Seite: Franz? Dann wieder: Karl? Franz? Leider liebt Hartmann die Wiederholung. Was? fragen ständig alle nach. Auch sterben muss Amalia mehrfach: Karl/Franz sticht sie nieder, sie steht auf, Karl/Franz sticht sie nieder, sie steht auf, usw.
Ermüdende Szenen. Indem Hartmann den Räubern Leidenschaft und Pathos nimmt und dafür eine große Portion Lächerlichkeit gibt, bleibt vom Stück nicht viel übrig. Die Räuberbande erinnert zunächst an einen Trupp harmloser Punks. Später verspeisen sie ihren Hauptmann Karl. Dann fliehen sie auf den Mars. Beeindruckend immerhin das Bühnenbild von Jürgen Bäckmann: Auf eine Kraterlandschaft schweben die Räuber in Astronautenanzügen hinab. Wir haben verstanden: Auf der Erde ist kein Platz mehr für Abenteurer-Romantik. Schade auch.
Worum es bei den Räubern eigentlich geht, das wird gleich mit ins All geschickt: Werte wie Freiheit, Vaterliebe und Treue, der ganze alte Käse. Vielleicht sind die Räuber wirklich überholt, doch wozu dann diese Inszenierung? Nur die Verzweiflung bleibt. Maja Schöne, die einzige Frau in diesem Stück, verkörpert sie hautnah: als Unschuld im weißen Kleid, die hysterisch lacht, als sie vom Tod des „guten“ Karl erfährt. Und da fühlt man tatsächlich so etwas wie Mitleid. Das bleibt. Karin Liebe
nächste Vorstellung: Sonnabend, 20 Uhr, Schauspielhaus
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