Multimediale Fotoausstellung: Werkzeug der Metamoderne

Anna Ehrensteins Ausstellung „Tools for Convivialtity“ ist zurzeit im C/O Berlin zu sehen. Sie verbindet Mode, Instagram-Ästhetik und Wachstumskritik.

Eine Frau läuft mit einem Selfie Stick durchs psychedelische Bild. Sie taucht zwei Mal auf

Eine trippige Szene aus Ehrensteins 360° Videoprojektion Foto: Anna Ehrenstein/ C/O Berlin

Ein Mann steht in buntem Batik-T-Shirt in lässiger Pose vor einem knalltürkisfarbenen Swimmingpool-Hintergrund. Um ihn herum regnen riesige goldene Bitcoins durchs Bild. An seinen Fingern zwei große Ringe, auf dem Kopf trägt er eine modische Sonnenbrille.

Was klingt wie der Werbespot einer Luxusmarke oder das Musikvideo eines US-Mumble-Rappers, ist in Wirklichkeit eine Arbeit der deutschalbanischen Medienkünstlerin Anna Ehrenstein. Sie ist die Gewinnerin des C/O Berlin Talent Award 2020 zum Thema „New Documentary Strategies“. In ihrer Ausstellung „Tools for Convivialtity“, die gerade dort zu sehen ist, verbindet Ehrenstein Video, Fotografie, Collage und Textilskulpturen zu einer surrealen Reizüberflutung.

Hochformatige Drucke auf halbdurchsichtigen Kunststoffplatten hängen gekrümmt an überdimensionierten, verchromten Ketten. Allerhand futuristisches Technikspielzeug, Videodrohnen, VR-Brillen und Computerplatinen, kontrastiert hinter stylischen jungen Menschen auf poppig-grellen Hintergründen. Ein riesiges Banner mit dem Titel der Ausstellung in trippiger Heavy-Metal-Schrift spannt sich quer durch den Austellungsraum.

Der Titel, „Tools for Convivialtity“ bezieht sich auf das gleichnamige Buch des österreichisch-US-amerikanischen Philosophen Ivan Illich von 1973. Illich kritisiert darin die westliche Wachstumsökonomie und die Unterwerfung unter die Werkzeuge der marktgesteuerten Innovation. Stattdessen schlägt er solche vor, die der Menschheit ein besseres Zusammenleben, mehr „Konvivialität“, ermöglichen, außerhalb eines profitorientierten Systems. Illich geht es dabei etwa um Werkzeuge der Kommunikation und kollektiven Wissensproduktion, wie zum Beispiel das Telefon, aber auch etwa ein Kondom.

Neue Mittel der Konnektivität

Es sind die Smartphones und Google-Glasses, die futuristischen Gadgets, die in unserer kapitalistischen Welt als jene utopischen Werkzeuge einer globalen Interkonnektivität verkauft werden und diese zu einem globalen Dorf zusammenrücken lassen sollen. Dass Menschen in Nichtindustrienationen dabei häufig ausgeschlossen werden, wird schnell vergessen. Der Berliner Kunsthistoriker Carlos Kong bemerkt in seinem Essay zur Austellung, dass Anna Ehrenstein in ihrer Videoarbeit besonders eine dekoloniale Perspektive von Konvivialität mitdenke.

Zuckerberg erntete einen Shitstorm für seinen kurzsichtigen Voyeurismus

Das Herzstück der Austellung bildet eine 360°-Videoprojektion auf einer konkav gekrümmten Leinwand. Wie in einer Höhle können Be­su­che­r:in­nen auf den mit Batik bespannten Hockern Platz nehmen und ins pulsierende Leben der senegalesischen Hauptstadt Dakar eintauchen. Die wackelige Go Pro wandert dabei durch die Hände von Ehrenstein selbst und verschiedenen wahlsenegalesischen Kreativen und Kulturschaffenden und filmt ihre Bewegungen durch den urbanen Raum. Beim Shopping auf dem ältesten Markt der Stadt, beim Lesen am Pool, beim Lachen, Trinken und Chatten.

Parallel werden Aufnahmen von Zoom Calls collagenartig eingestreut. In den Gesprächen geht es um Migration, Globalisierung, Konsum, Mode und psychische Krankheiten aber vor allem um Kollektivität. Die eingestreuten Glitches – Störeffekte im Bild –, die psychedelisch verfremdeten Farben und Sounds erzeugen den Eindruck eines LSD-Trips in intensivem Grün und Violett. Die Perspektiven und Körper verziehen sich.

In das Leben anderer eintauchen

Ehrenstein tritt zurück vom neokolonialen Anspruch auf authentische Dokumentation Westafrikas. Stattdessen erzeugt sie, durch das Teilen der Kamera und die gemeinschaftliche Bildproduktion einerseits und durch das eigene Auftreten im Werk andererseits eine multiperspektivische, kollektive Autor:innenschaft. Die Kamera verspricht den Be­trach­te­r:in­nen, Teil des Lebens der anderen zu werden.

„Tools for Conviviality“ von Anna Ehrenstein. Bis 2. September, täglich 11–18 Uhr, C/O Berlin, Infos unter co-berlin.org

Etwas Ähnliches verspricht auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der an einer Stelle im Video in Form eines Virtual Reality Avatars auftaucht: Auf dem Dach eines Geländewagens fährt die Figur durch eine von Hurricanes und Überflutungen zerstörte Landschaft in Puerto Rico und ist völlig begeistert von seinem kleinen Ausflug: „One of the things that’s really magical about virtual reality, is you can get the feeling that you’re really in a place.“

Hier tritt die Scheinheiligkeit der Erzählung von globaler Konnektivität in den Vordergrund. Weder befinden wir uns tatsächlich im verwüsteten Puerto Rico, wenn wir die VR-Brille aufsetzen, noch sind unsere Probleme jene der von den Fluten Betroffenen. Das Machtgefälle zwischen Beobachtenden und Beobachteten bleibt bestehen. Als das betreffende Video 2017 viral ging, erntete Zuckerberg zu Recht einen Shitstorm für seinen kurzsichtigen Voyeurismus.

Anna Ehrenstein kommentiert mit ihren Arbeiten die Nutzungshoheit über Mittel zeitgenössischer Kommunikation und Bildproduktion. Gleichsam harmoniert „Tools for Conviviality“ schön mit den parallel gezeigten Ausstellungen im C/O: Nicht nur die ästhetische Ähnlichkeit mit der Modefotografie von Nadine Ijewere, sondern auch die thematischen Gemeinsamkeiten mit „Send me an Image. From Postcards to Social Media“ erzeugen den Eindruck einer metamodernen Gesamtkomposition.

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