Multikulturelles Gärtnern: Im Schatten der Bananenstaude
Am Stollenwörthweiher in Mannheim gärtnern Menschen aus aller Welt. Die Fotografin Sabine Kress porträtiert sie mitsamt ihren Lieblingsrezepten.
Ob die beiden Männer mit Kirschlikör anstoßen? Sie stehen an einem Gartenzaun, an dem ein kleines Ablagebrett samt Klingel angebracht ist. „Wer sie betätigt, hat etwas zum Teilen mit dem Nachbarn“, heißt es dazu im Bildband „Angekommen. Kleingärten – wo die Welt sich trifft“, den die Fotografin Sabine Kress herausgegeben hat. 25 Gärten in der Mannheimer Kleingartenanlage am Stollenwörthweiher porträtiert sie hier, begleitet von Texten von Katrin Hentzschel. Im Mittelpunkt stehen dabei die Gärtnernden.
Etwa der Mann links auf dem Foto am Gartenzaun. Ðuro heißt er – alle Beteiligten tauchen hier nur mit dem Vornamen auf, man duzt sich eben im Schrebergarten. Ðuro ist 1988 aus Kroatien nach Deutschland gekommen und seit über 20 Jahren mit seiner Frau Diana zusammen, einer gebürtigen Mannheimerin. Auf ihrer Parzelle hegen die beiden vor allem Obstbäume.
Nashi-Birne, Kirsche, Feige, Pflaume, Quitte und Pfirsich. Letzterer ist aus einem Steckling gezogen. „Er trägt jedes Jahr Früchte. Die Kräuselkrankheit bekommt er nie“, erzählt Ðuro im großen Textporträt zu den Bildern aus seinem Garten – und da schwingt Stolz mit. Aus dem Obst wird Marmelade und Gelee gekocht, das ist Dianas Job, für den Obstlikör ist Ðuro zuständig. Das Paar pflegt ein enges Verhältnis zu ihren Parzellennachbarn. „Für die Kinder waren sie wie Großeltern“, sagt Diana.
Als Werbefotografin reiste Sabine Kress, Jahrgang 1960, viel in der Welt umher. Zwischen den Aufträgen verfolgt sie immer wieder eigene Fotobuch-Projekte. Mal porträtierte sie chinesische Shaolin-Mönche, dann begleitete sie vier Jahre lang Sexarbeiterinnen in der Lupinenstraße, Mannheims Rotlichtmeile. Als ihr jedoch ein Freund anlässlich der Bundesgartenschau 2023 in Mannheim vorschlug, „doch mal was mit Gärten zu machen“, sträubte sich erst mal alles in ihr.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Mit Schleppern nach Deutschland gekommen
Dabei ist Kress mit einem kleinen Garten hinterm Elternhaus aufgewachsen, wie sie der taz erzählt. „Als Kind ist das ja eine großartige Sache“, sagt sie, „aber dann als Jugendliche war mir das Gärtnern zu spießig.“ Das verbreitete Vorurteil von Kleingärtner:innen als engstirnige, angepasste, ordnungsliebende Zeitgenossen, die Gartenzwerge, Regelkataloge und Deutschlandflaggen aufstellen, musste sie erst korrigieren.
„Mit einer Freundin bin ich nur zum Spaß durch eine Gartenanlage gelaufen und habe erkannt, dass das doch ganz anders geworden ist, als es mal war“, sagt Sabine Kress. „Vor allem durch die Leute aus aller Welt, die zu uns gekommen sind.“
Wie zum Beispiel Yahya und Sari, die sich 1993 zur Flucht aus Afghanistan entschlossen hatten. Sie sind mit Schleppern nach Deutschland gekommen. Ihren Garten bewirtschaftet das Paar seit 2004, hier bauen sie unter anderem Rhabarber und Auberginen an. Im Buch stellen sie Bolani vor, das afghanische Nationalgericht: Ein dünner Hefeteig wird zu Teigfladen verarbeitet und mit einer Füllung aus Lauch und Frühlingszwiebeln in einer Pfanne mit etwas Öl gebraten.
Lecker sieht das aus! Auf ihrer Suche nach Protagonist:innen wurde Sabine Kress immer wieder bekocht. Und so ranken sich, neben Bildern einzelner Pflanzen und wertvollen Tipps für Anbau oder Verwendung, immer die passenden Rezepte durch die Porträts und machen „Angekommen“ auch zum Kochbuch.
Fischminze in Currys verwendet
Genau 889.971 Kleingärten gibt es laut dem Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands, genutzt werden sie von mehr als 5 Millionen Menschen. Und wie man sehen kann: Jeder Garten ist anders. Auf der Parzelle einer aus Vietnam stammenden Familie gibt es keine Blumen, und das dient einem höheren Zweck. Denn es handelt sich um einen „Garten zum Aufessen“ voller exotischer Gemüsesorten. Hier wachsen Bittermelone, Wachskürbis, Chayote und Spinatstrauch, gedeihen Wasserfenchel, Sesampflanzen, roter Amaranth und Fischminze.
Long, Sohn von Lanh aus Vietnam
Fischminze? Die wird in vielen Currys verwendet und schmeckt angeblich so, wie sie heißt: stark nach Fisch. Das Kraut, das einer gemeinen Minze ähnelt, soll bei Verdauungsproblemen helfen. Und schon mal von der Käsepflanze gehört? Die Rankpflanze schmeckt, so ist zu lesen, nach Camembert, und wird in Vietnam gern zu eiweißreichen Speisen gegessen, weil sie die Proteinverdauung unterstützt. Entsprechend steuert Lanh ihr Rezept für ein Omelett mit Käsepflanze bei. So eine Mahlzeit stillt mehr als den Hunger. „Für meine Eltern ist der Garten ein Stück Heimat“, sagt ihr Sohn Long.
Das Herkunftsland findet im Garten gewissermaßen eine florale Fortsetzung. Auch bei Mahin ist das so, die sich 2000 auf den Weg von Teheran nach Europa machte und über Umwege in Mannheim landete. Ihre Safrankrokusse stammen ebenfalls aus Iran, sie blühen im Oktober. Die Ernte kostet Zeit, spart aber Geld: Von den getrockneten Krokussen werden die sogenannten Narben – der obere Abschnitt des Stempels am Fruchtblatt einer Blüte – zu Safranpulver verarbeitet.
Gartenhaus im Stil eines Teehauses
Im Garten von Mahin wachsen aber auch Kiwi und Wein. „Das Beste sind die Trauben“, erzählt sie. „Aus ihnen macht mein Nachbar im Herbst Rotwein, dann bekomme ich zwei Flaschen. Den größten Teil lasse ich allerdings zu Rosinen trocknen. In Persien wird viel mit Trockenobst gekocht.“
Ein deutsches Paar ist ebenfalls im Buch mit dabei. Sie posieren vor einer imposanten, etliche Meter hohen, ausladenden Bananenstaude. „Als wir den Garten übernahmen, waren es gerade mal fünf Stängelchen“, erzählt Florian, das war 2019. Davor hatten Michael und er im Mannheimer Schloss geheiratet und planten die Flitterwochen in Südostasien.
Die Leidenschaft für diese Region sieht man ihrer Parzelle an. Das Gartenhaus ist im Stil eines chinesischen Teehauses gestaltet und überall wachsen exotische Pflanzen – hier Seidenakazie und Pfingstrosen samt goldenem Buddha-Kopf, dort Fächerpalmen und Teufelszunge, und auch ein Granatapfelbäumchen ist dabei, das letztes Jahr erstmals Früchte trug. Dazu kommt Gemüse, etwa Artischocken und die mild und fruchtig schmeckende Tomate Auria, die zu den neueren Züchtungen gehört, und auch Penistomate genannt wird (auf einem der Fotos dazu sieht man, warum).
Wie die beiden ihre Bananenstaude so groß bekommen haben? Diese Pflegetipps fehlen leider im Buch. Aber sie ließen sich sicher bei einem Gespräch über den Gartenzaun am Stollenwörthweiher klären.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?