piwik no script img

Multi-Kulti-Bild-Zeitung

Für nicht Türkisch sprechende Menschen war die Zeitung „Hürriyet“ bisher unverständlich. Wer die neue deutschsprachige Wochenbeilage „Hürriyet Europa“ liest, kommt sehr schnell zu dem Schluss, dass das vielleicht gar nicht so schlecht war

von DEVRIM TUNCEL

Zur Standardausstattung einer jeden gemütlichen Kebab-Bude gehört neben dem rot-gelben Wimpel von Galatasaray über dem Fleischspieß und einem farbenprächtigen Wandgemälde mit Blick auf die Bosporus-Brücke auch eine aktuelle Ausgabe der Hürriyet auf dem Bistrotisch.

War der Inhalt dieser Publikation für Betrachter, die der türkischen Sprache nicht mächtig sind, bislang schwer zugänglich, konnte man sich doch dank der aufregend bunten Gestaltung einen Eindruck machen vom temperamentvollen Innenleben der mit rund 90.000 Exemplaren auflagenstärksten türkischsprachigen Tageszeitung in Deutschland: das obligatorische Porträt von Atatürk links neben dem Logo, die sich am Strand von Antalya räkelnde Touristin auf der letzten Seite, ergreifende Bilder eines Familiendramas auf Seite 3 sowie Schlagzeilen in atemberaubender Größe.

Doch lieber Jogurtsoße

Vom tatsächlichen Informationsgehalt der konservativen Boulevardzeitung kann seit vergangener Woche nun auch die deutschsprachige Leserschaft profitieren. Wer während der Abwägung, ob die Jogurtsoße doch die bessere Wahl gewesen wäre, einen Blick auf das Flaggschiff des türkischen Medien-Magnaten Aydin Dogan riskierte, erlebte eine wahre Überraschung: Hürriyet, die bislang mit einer wöchentlichen deutschsprachigen Seite vorgefühlt hatte, wartet jetzt jeden Freitag gleich mit acht bunten Seiten in Deutsch auf: der Hürriyet Europa.

Ein erster Augenschein der Beiträge bestätigt, dass ein Best of geboten wird, und das in einer mehr oder weniger verständlichen Sprache. Und im Gegensatz zu der wirtschaftspolitisch orientierten Wochenzeitung Dünya, die ebenfalls deutschsprachige Seiten bereitstellt, kann man hier sicher sein, dass der Kebab-Schmaus nicht mit langweiligen Berichten über den türkischen Mittelstand vergällt wird. Schon auf der Titelseite bringt Hürriyet Europa ganz nach Vorbild der Mutterzeitung einen richtigen Schocker: „Essenseinladung für Rassisten – Versöhnliche Geste blieb unerwidert“ heißt es über die gescheiterte Initiative einer Familie Canaydin aus Basdorf, Nazi-Kids zu sich nach Hause einzuladen. Obgleich die Hintergründe der Aktion weitgehend ungeklärt bleiben, kann man zumindest die Enttäuschung des Familienoberhaupts herauslesen: „Doch unsere freundschaftlich ausgestreckte Hand wurde nicht ergriffen“.

Gegen so viel Trübsal hilft nur ein Bild der Bikini-Schönheit Sebnem Schäfer, die sich in einladender Pose am Strand präsentiert. „Das schöne Model Sebnem, dessen Vater Deutscher und dessen Mutter Türkin ist, sagte, dass es in ihrem Liebesleben immer Höhen und immer Tiefen gegeben und sie ihr Herz noch nicht verschenkt habe“, heißt es auf Seite 2. Hoffnungen, die sich so mancher Leser nun machen könnte, sind nicht unbegründet. Denn „Sebnem sagte weiter, dass das Gerücht, sie habe ein Liebesaffäre mit dem Sänger Özcan Deniz, aus der Luft gegriffen sei“.

So eine Chance sollte nicht ungenutzt bleiben, ganz im Sinne des 75-jährigen Ahmet Orhan, der auf Seite 8 „begeistert“ offenbart, wie er und seine Kumpels früher deutsche Frauen angebaggert haben – ohne ein Wort Deutsch zu können. „Wir verwöhnten Sie auf der ganzen Linie“, verrät der Senior und setzt noch eins drauf: „Wir waren die wahren Kavaliere Deutschlands.“. Abgerundet wird die Lektüre durch so etwas wie Politik-Seiten („Helmut Schmidt gilt als weisester Deutscher“, sagt eine Umfrage, dann die Story vom „Skalp-Doktor mit Indianermethoden“ und: „Die besten Bayern sind die Türken“ – weil sie so gut bayrisch sprechen), die den Wochenrückblick im Hinblick auch auf das weltpolitische Geschehen vervollständigen.

Kein Blatt für Özdemir

Während notorische Nörgler das mangelnde publizistische Angebot für türkische Migranten beklagen – so wie der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir, der gegen die Berichterstattung über seine Person in der Hürriyet mit Unterlassungsklagen vorgeht –, geht Hürriyet in die Offensive und bringt in beeindruckender Auflage das erste überregionale multikulturelle Boulevard-Blatt Deutschlands auf den Markt.

Hürryiet erhofft sich wohl, damit die jüngere Generation der Migranten als Leser zu gewinnen, die zwar mindestens so gut Deutsch sprechen wie Türkisch – allerdings lieber türkische Models und Popstars in der Zeitung sehen. Und weil die deutsche Hürriyet in Sprache und Themenauswahl sogar die Bild-Zeitung um ein Vielfaches unterbietet, ist sie für eine kurzweilige Gestaltung des zweiminütigen Aufenthalts am Kebab-Stand einfach nur ideal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen