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Münchner Streit um StolpersteineWer gedenkt am besten?

Die jüdische Gemeinde in München lässt Stolpersteine entfernen, und schreibt damit Holocaust-Überlebenden vor, wie sie ihrer ermordeten Verwandten zu gedenken haben.

Zwischen Kaugummis und Zigarettenstummeln: Stolpersteine im Berliner Scheunenviertel. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Da wohnte der Schorschi. Da drüben sind sie in die Isar gestiegen, was allerdings ein zweifelhaftes Vergnügen war, weil Peter Jordan danach einen Ausschlag am ganzen Körper bekam. Und am Straßenende, am Kufsteiner Platz, wo die Kinder von Thomas Mann in die Tram stiegen und sich geheime Handzeichen gaben, dort drüben saßen sie immer auf den ruhenden Hirschen des Diana-Brunnens; auf den Rücken der steinernen Tiere, festgeklammert an deren Ohren, die irgendwann abfielen. Und hier, erzählt Jordan mit einer Geste Richtung Boden, ja hier vor der Mauerkircherstraße 13 waren im Trottoir die Gedenksteine an seine ermordeten Eltern angebracht - bis die Stadt München diese "Stolpersteine" herausreißen ließ. Vor dem Elternhaus des 85-jährigen Briten erinnert nichts mehr an seinen Vater und seine Mutter, die von den Nazis umgebracht wurden. Die Eltern tot, die Erinnerung beseitigt.

Jordan ist ein Münchner Kindl, und das hört man ihm auch an. Der pensionierte Architekt wurde 1939 im Alter von 16 Jahren nach Großbritannien verschickt. Den Eltern gelang die Flucht nicht mehr. Siegfried und Paula Jordan wurden 1941 im litauischen Kaunas ermordet. Nach dem Abschied im schlichten Jahrhundertwendebau an der Mauerkircherstraße in München-Bogenhausen sah er sie nie wieder.

Die jüdische Gemeinde hat ihre Namen auf Gedenktafeln unterhalb des neuen Gemeindezentrums am Jakobsplatz verzeichnet. Das aber will Jordan nicht. Er streitet sich deshalb mit Charlotte Knobloch, der Chefin der Münchener Gemeinde und Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Nun hat er sie getroffen, um den Streit über die rechte Art des Trauerns aus der Welt zu schaffen.

Aber wie kann das sein: Warum streiten sich zwei Münchner Holocaust-Überlebende, die beide so viele Angehörige in der Shoah verloren haben und selbst nur knapp dem Tod entgingen, so öffentlich und so erbittert um das richtige Gedenken an die Opfer? Und warum ist dies mehr als eine traurige Provinzposse? Die Antwort hat viel mit Knobloch, einiges mit München und noch mehr mit der Erinnerungskultur in Deutschland zu tun.

Wolfgang Brix, Vorstandsmitglied der "Initiative Stolpersteine für München", bemüht sich in der Hochschule für Musik und Theater am Münchner Königsplatz darum, dieses Gedenkknäuel zu entwirren. In Hitlers früherer Residenz erläutert der ehemalige Bankmanager im Gewusel vorbei laufender Studentinnen und Studenten, wie es dazu kam, dass die Gedenksteine für Jordans Eltern hier gelandet sind.

Die 10 mal 10 Zentimeter großen Messingplatten wurden wie über 14.000 andere Stolpersteine vom Kölner Künstler Gunter Demnig und einem Mitarbeiter in Handarbeit gefertigt. In mehr als 300 Städten und Gemeinden, überall in Deutschland, mittlerweile sogar auch in Österreich, Polen und Ungarn, sollen die schlichten Gedenktafeln an die deportierten und ermordeten Juden erinnern. Demnig wurde für dieses künstlerische Mammutwerk im öffentlichen Raum national und international mit Preisen überhäuft.

Nur in München hat sich das Stadtparlament, das hier Stadtrat heißt, im Jahr 2004 mit großer Mehrheit dazu entschlossen, die Verlegung von Stolpersteine in der Landeshauptstadt generell zu verbieten - auf Wunsch der jüdischen Gemeinde. Schon am Morgen nach diesem Beschluss entfernten städtische Bedienstete die Gedenksteine für Jordans Eltern aus dem Bürgersteig der Mauerkircherstraße. Es waren die ersten und einzigen Stolpersteine, die überhaupt auf öffentlichem Grund in München verlegt wurden. Nach einer Zwischenstation auf dem jüdischen Friedhof sind die Jordan'schen Steine nun Teil einer künstlerischen Installation in der Münchner Musikhochschule, wenige Meter von Hitlers Kaminzimmer entfernt. Was für eine Pointe!

Es sollte nicht die letzte sein.

Denn nach der Entfernung der Gedenksteine fing der Streit zwischen Jordan und Knobloch erst richtig an. Obwohl damit im Zentralrat, ja selbst in den jüdischen Gemeinden Bayerns isoliert, machte die resolute Gemeindevorsitzende aus ihrer Empörung über die Stolpersteine nie einen Hehl. Sie empfindet sie als entwürdigend, unter anderem weil Nazis auf ihnen rumtrampeln und Hunde auf sie pinkeln könnten. Vor zwei Jahren schimpfte sie auf dem Chanukka-Fest im Hinblick auf die Stolpersteine über die "Gedenktäter", die solche Steine verlegen wollten.

Diese Ansicht wiederum empörte Jordan. Anfang 2005 schrieb er aus seiner neuen Heimatstadt Manchester an Knobloch einen Brief, in dem er sie aufforderte, dafür zu sorgen, dass in einer geplanten Gedenkstätte zugunsten der 4.500 Münchner Opfer der Shoah unterhalb des entstehenden neuen jüdischem Gemeindezentrums die Namen seiner Angehörigen nicht verzeichnet werden. Mit Bezug auf die ganz offiziell heraus gerissenen Stolpersteine schrieb er: "Ich könnte an nichts Schlimmeres denken, als das Gedächtnis meiner Verwandten in einem stets von der Polizei bewachten und der Öffentlichkeit nur beschränkt zugänglichem Gebäude einsperren zu lassen. Der Gedanke ist mir, um Ihren eigenen Ausdruck zu benutzen, unerträglich."

In einem knappen Antwortschreiben sicherte Knobloch drei Wochen später zu, seiner Bitte zu entsprechen. Doch im "Gang der Erinnerung", dem Gedenkort unter dem neuen Gemeindezentrum, waren die Namen der Familie Jordan dann doch zu lesen. Daraufhin schaltete er einen Anwalt ein; schließlich wurde ein Treffen vereinbart.

Nun sitzt Jordan neben seiner 89-jährigen Cousine Ursula Gebhardt auf deren Balkon in einem schicken Münchner Viertel und genießt die kleinen Törtchen, die Urschl mit Beeren aus dem eigenen Garten gezaubert hat. Jordan hat die Ruhe und Selbstsicherheit eines Mannes, der recht zufrieden auf sein Lebenswerk zurückblicken kann. Er ist viel zu sehr Gentleman, um zu sagen: Von einer Knobloch lasse ich mich nicht wie ein Schuljunge behandeln. Aber sein Ton ist in der Sache knapp und klar, fast wortgleich wiederholt er, was er schon in dem Brief an Knobloch geschrieben hat: "Ich muss Sie fragen, wie Sie eigentlich dazu kommen, sich öffentlich darüber zu äußern, was ich für meine Eltern und andere Familienangehörige als richtig finde. Es geht Sie doch so wenig an, wie es mich etwas angeht, was Sie für Ihre Familienangehörigen als richtig finden."

Über 120 Stolpersteine für Münchner Juden sind bereits fertiggestellt und lagern meist in den Wohnungen der Spender. Am 1. September 2007 wurde in der Schwabinger Viktor-Scheffel-Straße ein weiterer Stolperstein angebracht - allerdings nur auf Privatgrund. Am Ende dieser Straße, am Kaiserplatz, wohnt übrigens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der die Stolpersteine ebenfalls ablehnt. Wolfgang Brix sagt, man werde mit den Stolpersteinen "so lange auf Privatgrund ausweichen, bis es auf offiziellem Grund möglich ist". Und dann wagt er, leicht verzweifelt, sogar einen Witz: "Wir woll'n ,ne Duldung!" ruft er lachend.

Zum Lachen ist Marian Offman im Jüdischen Museum gegenüber dem neuen Gemeindezentrum überhaupt nicht zumute. Es ist der Morgen vor dem Treffen zwischen Knobloch und Jordan. Offman ist der Vizechef der jüdischen Gemeinde, im Gegensatz zu Knobloch spricht er mit den Medien über die Stolpersteine. Das CSU-Stadtratsmitglied hielt bei der Entscheidung des Stadtparlaments gegen die Stolpersteine eine Rede, die diesen Beschluss stützte. Der 60-jährige Unternehmer ist ein freundlicher Herr, dem man abnimmt, dass ihm das deutsch-jüdische Miteinander eine Herzenssache ist. Jede Woche macht er Führungen durch die neue Synagoge, erklärt den Nicht-Juden das Judentum, im "Bayern Journal" von SAT 1 hat er sogar eine Sendung, die sich der desselben Aufgabe widmet. Der Name der Sendung: "Miteinander". Er erzählt: "Den Menschen, die den ,Gang der Erinnerung' begehen, stehen nicht selten Tränen in den Augen - Juden wie Nicht-Juden." Dass nun auch die Namen der Jordans dort verzeichnet seien, leicht zu finden unter den Namen mit "J", "war bestimmt keine Absicht von Charlotte Knobloch", meint er.

Offman berichtet mit warmen Worten von einem Treffen mit Jordan vor zwei, drei Jahren, genauer weiß er es nicht mehr. Damals habe er den alten Mann umarmt und gesagt: "Herr Jordan, wir sollten uns vertragen." Im Gespräch sagt Offman: "Ich verstehe seinen Schmerz, es ist mir schwer, ihm zu widersprechen." In der Sache aber bleibt er hart: "Mir läuft es eiskalt den Rücken runter, wenn Menschen, denen vollends die Würde genommen wurde, im Straßenschmutz verewigt werden." Dann huscht Offman noch schnell durch die neueste Ausstellung des Jüdischen Museums, gelegen im Obergeschoss des Hauses. Besucherinnen und Besucher des Museums konnten für die Schau "ein gewisses jüdisches Etwas" mitbringen, einen persönlichen Gegenstand, der ihn oder sie mit dem Judentum verbindet. Offman hat sein "Bayern Journal"-Mikro mitgebracht, oben wird es ausgestellt.

Am Mittwoch nun trafen sich Knobloch und Jordan, dabei war außerdem dessen Anwalt und ein Rabbiner. Zwar deutete Knobloch an, dass sie in diesem Fall zu einem Kompromiss bereit sei: Ein Gedenken an Jordans Eltern könne an der Mauerkircherstraße vielleicht doch stattfinden, etwa in Form einer Tafel am Haus. Doch Jordan ist das zu wenig. Charlotte Knobloch wolle keine Stolpersteine, berichtet er nach Treffen, weder in München noch irgendwo anders. Der angedeutete Kompromiss ist ihm zu wenig: "Entweder kommen alle Stolpersteine in Müchen auf den Gehweg oder keine. Ich will keine Sonderlösung."

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17 Kommentare

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  • M
    Münchner

    Die Äusserung von Fr. Knobloch über "Menschen, denen schon vollends die Würde genommen wurde" finde ich entsetzlich.

    Wie kann sie es wagen das Verbrechen der Nationalsozialisten, diesen Menschen ihr Leben zu nehmen, um die Dimension des Nehmens der Würde zu erweitern?

    Entwürdigt haben sich durch den Holocaust die Täter, nicht die Opfer.

    Wenn hier jemand "Gedenktäter" ist, dann ist es sie, nicht Herr Demnig!

    Es ist weiters eine Schande für alle Münchner, dass es hier nicht wie in Krefeld zu einem öffentlichen Aufschrei zugunsten der Stolpersteine gekommen ist.

  • FS
    Franz Schuhwerk

    Es ist der Behutsamkeit des Artikels geschuldet, dass er nicht schon in der Überschrift stärker auf Frau Knobloch und ihre Rolle als Hemm-Stein im Streit um die Stolpersteine hinweist.

    Bei ihrem Widerstand gegen die Stolpersteine übersieht Frau Knobloch wohl zwei Dinge: Bei aller Empörung über Stolpersteine im Straßenschmutz, auf die Hunde pínkeln und auf denen Nazis rumtrampeln – mit den Stolpersteinen ist den Menschen, derer hier gedacht werden soll, ihre Würde nicht (mehr) zu nehmen. Und andersherum lässt sich in der schönsten Gedenkstätte das würdigende Ge-Denken, das „gute Hin-Denken“ (J. Zink) nicht erzwingen – im Gegenteil: auch die würdigste Gedenkstätte können Nazis mit übelsten Gedanken und beleidigenden Handlungen besuchen.

    Und zweitens helfen die schönen, großen, zentralen Gedenkstätten mit, die Opfer an Ort und Stelle zu vergessen, zu verdrängen. Will Frau Knobloch das? Will sie, dass in der großen Namensflut der Gedenktafeln z. B. die beiden Menschen Paula und Siegfried Jordan untergehen?

    Irgendwann wird auch von uns die Frage gestellt werden müssen und dürfen, die derzeit vielleicht nur ein Kind der Opfer stellen darf: was es eigentlich Frau Knobloch angeht, wie wir der Opfer gedenken wollen. Oder will Frau Knobloch uns, den Nachfahren der Täter, vielleicht sogar das Recht nehmen, der Opfer zu gedenken?

  • A
    A.A.

    ‚Sie empfindet sie als entwürdigend, unter anderem weil Nazis auf ihnen rumtrampeln und ...’

     

    Als ich diesen Satz las, habe ich mich spontan gefragt, wie viele Nazis auf der Mauerkircherstraße täglich flanieren. Da ich in München ansäßig bin, glaube ich zu wissen, daß es nicht sehr viele sein können. Die Gefahr des Mißbrauchs dürfte erheblich größer sein, wenn wir an Stolpersteine in Sachsen denken. Diesem Gedankengang folgend, stellt sich mir auch die Frage, was tut der Zentralrat der Juden in puncto aktive Aufklärungsarbeit in Deutschland? Mahnmale wohin das Auge blickt, für einen aufgeklärten Menschen sichtbar - aber erreicht die Botschaft auch die potentiellen Gedankengutträger? Was wird getan, um NPD Anhänger zum Grübeln oder gar ins Stolpern zu bringen? Ich möchte mit diesem Beitrag keineswegs den Eindruck erwecken, daß die Unterdrückung der aufkeimenden Nazibewegung ausschließlich Aufgabe des Zentralrates wäre, aber es dürfte durchaus im Interesse von Frau Knobloch sein. Deshalb wäre es doch ratsam, die Stolpersteine in Würde ruhen zu lassen, denn Zeit und Energie kann man wesentlich effektiver einsetzen - zum Wohle aller, der jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen.

  • A
    Anne

    Am Sonntag den 13.7. um 15.20 Uhr läuft auf ARTE der Dokumentarfilm "Stolperstein" zum Thema:

     

    http://www.arte.tv/de/woche/244,broadcastingNum=861735,day=2,week=29,year=2008.html

  • KD
    Karoline Doernemann

    Der Artikel arbeitet sehr ausfuehrlich die emotionale Seite dieser schwierigen Angelegenheit heraus, lässt die Protagonisten zitatweise zu Wort kommen - die sachliche Recherche kommt dabei ein wenig zu kurz:

     

    "Nur in München" stimmt so nicht. Auch in Krefeld stemmten sich Stadt und Gemeinde gegen die Stolpersteine; ein Buergerbegehren setzte die Verlegung dann durch. Ebenfalls gegen die Stolpersteine entschied sich der Rat der Stadt Gelsenkirchen in Abstimmung mit der einflussreichen Vorsteherin der Jüdischen Gemeinde, Frau Judith Neuwald-Tasbach. Frau Neuwald-Tasbach ist eine enge Vertraute von Frau Charlotte Knobloch: beide stammen aus aehnlichem bildungsbürgerlichen Milieu jener wenigen Shoa-Überlebenden, die nach 45 nach Deutschland zurückkehrten und einflussreiche Stellungen innerhalb des sich neu formierenden organisierten Judentums in Deutschland bekleideten. Beide Frauen bekennen sich zum orthodoxen Judentum. Das wäre vielleicht ein Erklärungsansatz.

     

    Insgesamt vermisse ich in dem Artikel Hintergrundinformationen zum orthodoxen Judentum und zu den Machtkaempfen innerhalb des Zentralrats. Die Position von Frau Knobloch im Vergleich zu anderen jüdischen Positionen (anders interpretierende orthodoxe, konservative, liberale, reformerische, saekulare, ultraorthodoxe, ultra-ultraorthodoxe), die es ja alle auch gibt, hätte klarer herausgearbeitet werden müssen. Warum ist für einen orthodoxen Juden das Betreten einer Platte mit einem jüdischen Namen so unannehmbar? Darüber weiss ich zuwenig, um mir ein Urteil anzumassen.

     

    Schwierig auch: In keinem anderen Land der Welt, noch nicht einmal in Israel, hat eine einzige Gruppe innerhalb des vielgestaltigen Judentums derart die alleinige Deutungshoheit wie der Zentralrat sie in Deutschland hat. Bei uns masst sich der Zentralrat die alleinige Deutungshoheit in allen Fragen der Religionsausuebung und Erinnerungsarbeit an. Ein Unikat innerhalb des Judentums weltweit und geschuldet der komplizierten Geschichte unseres Landes und der Shoa. Alles aeusserst betrueblich.

     

    Mehr Wissen schafft meist auch mehr Verstehen (was nicht Billigen heissen muss). In diesem Artikel werden eher Emotionen geschuert, was mir persoenlich nicht reicht. Wir Nicht-Juden haben noch viel zu viele Defizite, um die Feinheiten und verschiedenen Denkschulen innerhalb des Judentums zu verstehen. Das nutzen dann die Funktionäre des Zentralrats (sehr deutlich hier in Gelsenkirchen und seiner sehr orthodoxen Gemeinde zu erleben) aus, um ihre orthodoxe Auslegung als allein gueltig und nicht verhandelbar in die Oeffentlichkeit zu tragen. Das zu kritisieren traut man sich als nichtjuedischer Deutscher dann nicht - aus Scham, aber auch ganz schlicht aus Unwissenheit. Die Arroganz des Zentralrats finde ich gelegentlich schon grenzwertig.

  • Q
    Quaero

    Sehr geehrte Frau Knobloch, sehr geehrter Herr Ude,

    als sogenannter 'Gedenktäter' bitte ich Sie darüber nachzudenken, wie oft Sie auf das Bodendenkmal für Kurt Eisner getreten sind und wie oft Sie in Kirchen Epithaphe mit Ihren Schuhen 'entwürdigt' haben ohne sich darüber die Gedanken gemacht zu haben, die Sie heute als Argument für das Verbot der Verlegung von STOLPERSTEINEN auf öffentlichem Grund anführen. Warum messen Sie in eigenen Angelegenheiten mit zweierlei Maß?

    Mit freundlichen Grüßen

    Quaero

  • BH
    Benjamin Hickethier

    Ein sehr guter Artikel von Phillip Gessler, so wie man es als taz-Leser von ihm gewohnt ist.

     

    Ich habe leider überhaupt kein Verständnis für die Argumentation der Münchner um Charlotte Knobloch. Wie kann es angehen – wie von Phillip Gessler exakt richtig benannt – dass die Jüdische Gemeinde München Menschen vorschreibt, wie sie ihrer vernichteten Angehörigen gedenken dürfen und wie nicht? Vor allem auf Grundlage von geradezu absurd erscheinenden Argumenten (was ist denn daran besser, wenn auf die Betonstelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin Hakenkreuze gesprüht werden oder dort Hunde ihre Reviere markieren oder Schulklassen völlig besinnungslos zwischen und über den Stelen toben, spielen und krakeelen?).

    Mir scheint die Grundproblematik – wie ebenfalls von Phillip Gessler angedeutet – in der sogenannten ›Erinnerungskultur‹ zu liegen, vielleicht sollte man auch von ›Erinnerungsautorität‹ sprechen: Die vom Vernichtungswahnsinn der Nationalsozialisten ausgelöschten Leben und die Art der Erinnerung an sie, wie sich zeigt sogar die persönlichste, werden kollektiv ›vergesellschaftet‹, über sie zu verfügen und an sie zu gedenken soll allein einer zentralen Stelle, in diesem Fall dem Zentralrat der Juden in Deutschland, überlassen werden. Wird durch solch eine Art der Verfügung nicht entindividualisiert, ja, Tote und deren Angehörige ›entrechtet‹? Gerade in der Rücksichtslosigkeit, mit der über Peter Jordans nachvollziehbaren Wunsch hinweggegangen wurde, seinen Eltern nicht in einer ›zentralen Kranzabwurfstelle‹ gedenken zu wollen, zeitigt sich m.E. ein totales Mißverständnis und Mißverhältnis in Menschenwürde, nämlich dem ›Verklumpen‹ von Menschenleben und Lebensgeschichten zu einer abstrakten Opfermasse, die genau das Gegenteil des gewünschten Effektes erreicht. Eine ungefähre Vorstellung von der Monströsität, Brutalität, Ungeheuerlichkeit und Singularität der Shoah entsteht erfahrungsgemäß doch gerade durch die Betrachtung eines einzelnen Lebens – Kinder, Männer, Frauen, Alte, Lebensfrohe, Kranke, Verliebte, Reiche, Arme, Linke, Rechte, mehr und weniger aktiv einen Glauben praktizierende, ›jüdische‹ Atheisten, Rabbiner, Künstler, Intellektuelle, Straßenbahnschaffner, Konditoren, Straßenpflasterer, Zeitungsleser, Patrioten, Kriegsveteranen, Antimilitaristen, … … , nicht ›nur‹ eine Zahl – über 6 Millionen Jüdinnen und Juden! 6 Millionen individuelle Schicksale, Menschen, an denen jeweils Verwandschafts-, Freundes- und Bekanntenkreise hingen, jede und jeder einzelne von ihnen umgebracht. Wer kann in Anspruch nehmen, über diese Menschen-Leben zu herrschen und Autorität über die Form der Erinnerung an sich reissen?

  • M
    Mikesch

    Ohne das von Präsidentin Knobloch in aller Schärfe verteidigte Monopol und ohne Dominanz des Orthodoxen, gäbe es kein Juden mehr und auch keinen Staat Israel.

  • GW
    Gerd Wittka

    Zu diesem Thema einen Kommentar abzugeben, ist natürlich sehr schwierig, weil hier mit Behutsamkeit vorzugehen ist, um niemanden unabsichtlich zu kränken.

    Dennoch möchte ich - ein wenig provokant auch - sagen: Stolpert München und Frau Knobloch nun über die Münchener "Stolpersteine"??? -

    Ich teile voll und ganz die Meinung von Herrn Jordan, wenn er Frau Knobloch auffordert, ihm seine ganz persönliche Form des Gedenkens zuzugestehen, wie auch er ihr ihre ganz persönliche Form zugestehen will.

    Ich kann Frau Knobloch verstehen, wenn sie meint, diese Form des Gedenkens könnte auch missbraucht werden.

    Ja, Frau Knobloch, da haben Sie Recht!

    Aber Sie könnten es doch auch anders sehen.

    Es gibt viele Deutsche, die mit Respekt, vielleicht sogar mit Ehrfurcht dieses Gedenkprojekt wahrnehmen.

    Da spreche ich für mich persönlich: Wenn ich solche Stolpersteine auf dem Weg sehe, dann bleibe ich nicht selten stehen. Und um die eingravierten Namen und Daten lesen zu können, muss ich mit meiner Körpergröße von gut 190cm schon meinen Rücken krumm machen - im wahrsten Sinne des Wortes.

    Dieses sich "Krumm-Machen" ist für mich persönlich auch zu einer Haltung des ehrfürchtigen Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus geworden. Indem ich versuche, die Inschrift zu lesen, verneige ich mich zwangsläufig vor den Opfern des NS-Regimes.

    Wie wäre es, Frau Knobloch, wenn Sie sich eine solche Sichtweise auch zu eigen machen könnten? Dann könnten Sie Herrn Jordan und vielen Juden, die ebenso unter dem NS-Regime leiden mussten, auch diese Form des Gedenkens zubilligen.

     

    Und was den Rat der Stadt München angeht, so würde mich schon mal interessieren, was sie für inhaltliche Argumente gegen diese Form des Gedenkens haben? Dazu sagt die Reportage leider nichts.

  • KR
    Konrad Rennert

    Was erinnert die Menschen mehr an die Opfer der Nazi-Herrschaft? Zentrale Gedenkorte mit Bewachung damit die Namen an der Wand und die Kränze nicht besudelt werden oder tausende von kleinen Mahnmalen in den Gehwegen an mehr als 300 Orten über welche die Nachgeboren am Wohnort der Opfer täglich gedanklich „stolpern“ und erinnert werden.

  • KR
    Konrad Rennert

    Was erinnert die Menschen mehr an die Opfer der Nazi-Herrschaft? Zentrale Gedenkorte mit Bewachung damit die Namen an der Wand und die Kränze nicht besudelt werden oder tausende von kleinen Mahnmalen in den Gehwegen an mehr als 300 Orten über welche die Nachgeboren am Wohnort der Opfer täglich gedanklich „stolpern“ und erinnert werden …

  • KK
    Karl-Heinz Klaiber

    Da ist der Häuptling der katholischen Kirche nicht so pingelig. Je mehr Touristen im Ptersdom auf die dort unter dem Marmorboden versenkten Sarkophage der "Heiligen" herumgetrampeln,umso mehr erfreut es das "selige Herz" des papa-Ratzi.

  • JP
    Joachim Petrick

    Menschen gedenken, betroffen, gerührt, ungerührt, bewegt, trauernd, die Gefühle überspielend, verdrängend, Gefühle aufdeckend, jeder auf seine individuelle Art und Weise, manchmal wider Erwarten zutiefst angesprochen durch Angebote der Kunst der Stolpersteine.

    Steine des Gedenkens, die zum Stolpern bringen, vergißt kein Mensch mitnichten, eher fängt er, sie, es an zu dichten.

    Die Juden in der Welt frohlocken mit Fug & Recht, ganz vorchristlich, urbi et orbi, frei jedes Anflugs & Versuchs von Missonieren, von Hierarchien der „Unfehlbarkeit des Papstes ex cathedra“ im katholischen Glauben im Vatikan zu Rom zu sein.

    Und nun das!

    Charlotte Knobloch, die Chefin der Münchener Gemeinde und Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland führt sich menschlich holperig, stolperig in Fragen des Gedenkens der Opfer des Holocaust auf, als verfüge Sie unerwartet doch über Anflüge des Missonierens, gar die „Unfehlbarkeit ex cathedra“, die sie uns bisher beschwiegen?

    Geht es hier womöglich um viel fundamentalere Fragen wie:

    “Wer verwaltet als Symbol der Finanzhoheit der Verteilung der Zuwendungen, Gelder, Entschädigungen, Renten an die Opfer und deren Hinterbliebenen das Gedenken an den Holocaust?

    Geschieht da durch den Zentralrat der Juden eher annähernd Gerechtigkeit bei der Verteilung von Zuwendungen, Entschädigungen, Renten oder durch individuelle Geltendmachung von Ansprüchen auf solche?

     

    In Israel leben viele Opfer des Holocaust und deren Hinterbliebene trotz Hoheit der Verteilung von Zuwendungen, Entschädigungen, Renten in den Händen zentraler Organisationen der Judenheit in nahezu zuwendungsfreier, rentenloser Armut.

     

    Soll der Münchner Streit über die Stolpersteine von diesem öffentlichen Skandal des Organisationsverschuldens im Umgang mit den Opfern und deren Hinterbliebene nicht nur in Israel hinwegtäuschen?

     

    Hier in Hamburg verspürt niemand ein solch heilloses Verlangen nach einem Streit über die Stolpersteine des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, der Shoa.

    Woher kommt diese unheilschwangere Streitbarkeit des Zentralrats der Juden in Deutschland?

    Soll Martin Walser, seltsam unterstützt von Klaus von Dohnayi gegen Ignaz Bubis, doch noch per nacheilendem Gehorsam von unerwarteter Seite recht erhalten mit seiner Rede in der Frankfurter Paulskirche 1997? Mitnichten, ich bin hier nur, eher ratlos, am dichten, oder?

  • L
    Lars

    Ich habe von den Stolpersteinen schon früher gehört und fand die Idee sehr gut und den Namen sehr passend.

    Die Einwände, die gegen die Stolpersteine sprechen, kann ich nicht nachvollziehen. Beim "Walk Of Fame" in Hollywood denkt auch niemand daran, dass da Hunde drauf urinieren könnten.

  • JG
    Jürgen Gojny

    Die Argumente beider Seiten sind nachvollziehbar. Hier handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen für ihr Leben Gezeichnete und Verletzte. Außenstehende sollten sich mit Wertungen tunlichst zurückhalten. Das gilt auch für die Printmedien!

  • SE
    Stefan Ernst

    Es kommt mir ja schon ein bisschen merkwürdig vor, dass ausgerechnet im sauberen, gediegenen München gegen die Stolpersteine mobil gemacht wird, während sie im Rest der Republik - und darüber hinaus - als angemessene Form der Erinnerung akzeptiert und sogar begrüßt werden. Da könnte man ja fast den Eindruck gewinnen, dass die Münchener Angst vor der Beschädigung ihres Gehwegpflasters haben. Die Idee der Stolpersteine lebt davon, dass an Ort und Stelle - nämlich dort, wo damals jüdische Mitbürger gelebt haben - an deren Schicksal erinnert wird. Man soll eben "stolpern" - kurz innehalten, wenn man durch den Alltag eilt. Für die Münchener ist das vielleicht schon zu viel des öffentlichen Gedenkens.

  • A
    anke

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Satz beschreibt keinen frommen Wunsch, sondern eine Tatsache. Weder Misshandlungen noch Erniedrigungen oder Mord setzen irgendjemenden in Stand, einem anderen gegen dessen Willen die Würde zu nehmen. Seine Menschenwürde muss schon jeder selbst hergeben, wenn er sie loswerden will. Wer die Menschen an dieser Tatsache absichtlich zweifeln heißt, der ist wohl auch bereit, sich seine eigene Würde (natürlich nur mit Gewalt!) abnehmen zu lassen von Leuten, die schon längst keine mehr besitzen.