Müller, Wulff und der Mindestlohn: Der Druck auf Merkel wächst
Die CDU-Wahlkämpfer stöhnen über die offizielle Parteilinie beim Mindestlohn. Manche knicken bereits ein.
BERLIN taz "Ich, Angela Merkel, habe einen Fehler gemacht", könnte die Kanzlerin in ihrer Silvester-TV-Ansprache sagen. "Meine Entscheidung, für jede Berufsgruppe einzeln über Mindestlöhne zu verhandeln, war falsch. Das führt zu endlosen Debatten und bringt meine CDU immer wieder in die Defensive. Deshalb korrigiere ich mich hiermit und plädiere jetzt auch, wie die SPD, für einen allgemeinen Mindestlohn."
Nein, eine solche Erklärung wird Merkel nicht abgeben. Noch scheint es undenkbar, dass die Kanzlerin eine Kehrtwende vollzieht. Aber früher oder später könnte sie dazu gezwungen werden. Schon jetzt haben viele Unionspolitiker keine Lust mehr, die gültige Parteilinie zu vertreten. Ihnen graust davor, im neuen Jahr nach der Post erneut über weitere branchenspezifische Mindestlohn-Forderungen zu beraten. "Den Leuten schwant auch bei uns, dass das eigentlich schlimmer ist als ein flächendeckender Mindestlohn von etwa sechs Euro", sagte ein CDU-Regierungsmitglied der taz. Im Moment sei es noch unmöglich, den Kurs zu ändern. Dies wäre "ein Triumph für die SPD", den man kurz vor den Landtagswahlen im Januar nicht zulassen könne. Aber "danach", so der Merkel-Freund, "sehen wir weiter."
Der saarländische CDU-Ministerpräsident Peter Müller meldete sich bereits mit einem Rat an Merkel: "Ich empfehle sehr, die Frage des Mindestlohns nicht zu einer ideologischen Grundsatzfrage zu machen." Wie soll man es auch erklären, dass die Union bei Briefzustellern 9,80 Euro gesetzlich vorschreibt, aber bei anderen Berufen keinen Handlungsbedarf sieht? Die Ministerpräsidenten, die im Januar Wahlen bestehen müssen, stöhnen hörbar auf, wenn sie auf das Thema angesprochen werden. Manche knicken sogar ein. Der Niedersachse Christian Wulff sagte, man könne nicht ignorieren, dass 21 von 27 Ländern in Europa Mindestlöhne hätten - er ließ sich mit dem Satz zitieren: "Auch wir Christdemokraten sind für Mindestlöhne."
Der Hesse Roland Koch verteidigt bisher tapfer die branchenspezifische Herangehensweise. Ein genereller Mindestlohn von 7,50 Euro, wie ihn die SPD in Unterschriftenaktionen fordert, vernichte Arbeitsplätze, sagte Koch im Deutschlandfunk. Ein Mindestlohn von 4,50 Euro aber, wie ihn der Wirtschaftsweise Bert Rürup vorschlägt, liege "jenseits von Gut und Böse, was die Höhe angeht" und sei "in Deutschland gar nicht argumentierbar".
Merkel selbst hält sich derzeit zurück. Dass sie ihre Position zumindest überdenkt, ließ die Kanzlerin jedoch bereits anklingen - andeutungsweise. So wies sie Mitte Dezember auf dem Arbeitgebertag darauf hin, Länder wie Großbritannien seien an Mindestlöhnen "nicht zugrunde gegangen". Was daraus folgt, verriet sie nicht. Es dürfte auch vom Ausgang der Landtagswahlen Ende Januar abhängen.
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