Müde von Wirtschaftsnews: Kalter Entzug
Die Deutschen wenden sich von der Börse ab – und brauchen die Überdosis Wirtschaftsnews von „Financial Times Deutschland“ und „Handelsblatt“ nicht mehr.
Dürfen Wirtschaftszeitungen Minus machen? Diese Frage hatte Gabor Steingart ganz schön frech mit einem klaren Nein beantwortet. „Für uns als Wirtschaftsjournalisten ist es eine Frage der Ehre, dass wir Gewinne erwirtschaften“, sagte Steingart, als er Anfang 2010 vom Spiegel als Chefredakteur zum Handelsblatt stieß.
Und ließ damit im Schlagabtausch zwischen Hamburg und Düsseldorf eine ganz schön üble Stinkbombe hochgehen. Damals, als die Medienkrise gerade erst aufzog, war nämlich die etablierte Holtzbrinck-Zeitung Handelsblatt noch eine veritable Goldsau. Und es war klar, dass der Newcomer, die erst 2000 gegründete Financial Times Deutschland, noch nie Gewinn geschrieben hatte.
Bis heute hat sich das nicht geändert. Dennoch hielten viele der 250 Redakteure und etwa 100 Freien der Wirtschaftsmedien im Verlag Gruner + Jahr den Wettlauf der Wirtschaftstitel bis vor wenigen Monaten noch für gewinnbar. Doch der Traum ist aus. Der behäbige Handelsblatt-Igel war einfach immer schneller am Ziel, da konnte sich der FTD-Hase noch so sehr abstrampeln.
Jetzt ist das Häschen wohl kollabiert: Nach eigener Einschätzung steht die FTD vor dem Aus, am Mittwoch traf sich deswegen der Aufsichtsrat von G + J. Auch dem Rest der Wirtschaftsmedien im Hause G + J dräut laut Medienberichten wenig Gutes: Impulse und Börse sollen verkauft werden, einzig der 1962 gegründete Monatstitel Capital bleibt wohl beim Verlag.
Inzwischen schreibt auch der Igel Handelsblatt rote Zahlen. Zwar hat Steingart sein Blatt radikal umgekrempelt, ihm ein neues Format verpasst und die Geschichten bisweilen derart überdreht und damit an die FTD herangerückt, dass sie dort manchmal lachen mussten. Doch umsonst. Die harten, also am Kiosk und per Abo verkauften Auflagen beider Blätter sind in den vergangen zehn Jahren um ein Drittel gesunken, die Anzeigenmärkte für die Zielgruppe der „Entscheider“ haben sich halbiert.
Die Risiko-Droge
Braucht der deutsche Markt also überhaupt noch eine tägliche Wirtschaftszeitung? Als die FTD im Februar 2000 erstmals erschien, fieberte das Land dem Börsengang von Infineon entgegen: 33-fach überzeichnet war die Aktie des Halbleiterherstellers, nur jeder sechste Interessent konnte am 13. März 2000 bedient werden. Deutschland war im Börsenrausch:
Jede/r hatte Aktien. Reich werden ohne Risiko – mit Anteilen an der Telekom, T-Online oder eben Infineon. Der DAX kletterte auf mehr als 8.000 Punkte. Der supertrendige Nemax notierte bei fast 10.000 Punkten.
In diese euphorische Stimmung hinein gründete sich die FTD. Auch trendy, auch neu, das passt, dachten sich die Macher aus Hamburg. Doch dann stürzten die Aktienkurse ab. 2003 erreichte der DAX die Talsohle: 2.203 Punkte. Und warum sollte sich da einer nicht fragen: „Was soll ich mir eine Zeitung voller Schreckensnachrichten über mein Erspartes kaufen?“
Gerade angesichts dessen, dass auch die FAZ, die Welt und die Süddeutsche große Wirtschafts- und Finanzteile boten und bieten, dazu die Wochenkonkurrenz (Wirtschaftswoche, Manager Magazin). Die Leser scheinen nicht mehr abhängig zu sein von der täglichen Überdosis Wirtschaftsnews.
Die Begeisterung für Wirtschaftstitel geht mit der Begeisterung für die Börse einher. Auch ein Grund dafür, warum deutschen Wirtschafts- und Finanzjournalisten immer wieder vorgeworfen wird, lieber einen Hype zu befeuern als vor Risiken zu warnen. Die Deutschen sind nach geplatzter Dotcom-Blase, Banken- und Schuldenkrise zu müde geworden. Für Aktien. Und für Wirtschaftsnachrichten.
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