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Mordprozess im Fall Lübcke„Es hat uns innerlich zerrissen“

Im Prozess um den Lübcke-Mord schildert dessen Sohn am Dienstag den tiefen Schmerz der Familie. Indes entpflichtet das Gericht einen Verteidiger.

Die Söhne von Walter Lübcke am ersten Prozesstag Foto: Thomas Lohnes/dpa

Frankfurt am Main taz | Jan-Hendrik Lübcke lehnt sich auf dem Zeugenstuhl nach hinten, zeigt dem Richter, wie er seinen Vater Walter damals fand, in der Nacht zum 2. Juni 2019. Er legt den Kopf nach hinten, öffnet den Mund, breitet die Arme aus. So habe er sein Vater damals auf dem Terrassenstuhl gesessen, in der linken Hand noch eine Zigarette haltend. Der Sohn schildert es gefasst, spricht ruhig. Ganz still ist es da im Gerichtssaal. „Ich dachte, er hat geschlafen.“

Aber Walter Lübcke war nicht eingeschlafen. Er war erschossen worden. Es war wohl der erste Mord an einem Politiker durch einen Rechtsextremisten in der Nachkriegszeit. An Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten und CDU-Politiker.

Am Dienstag sagte dazu Jan-Hendrik Lübcke, sein Sohn, im Prozess vor dem Frankfurter Oberlandesgericht aus. Es wird ein emotionaler Moment dieser Verhandlung. Seit Juni läuft der Prozess, Jan-Hendrik Lübcke besucht diesen mit seinem älteren Bruder und seiner Mutter seit Beginn als Nebenkläger. Am Dienstag nun spricht er selbst, als Zeuge, im grauen Anzug und schwarzem Hemd.

Denn Jan-Hendrik Lübcke war der Erste, der am 2. Juni 2019 den sterbenden Walter Lübcke fand. Im Wohnort, dem kleinen Istha bei Kassel, wurde damals die Weizenkirmes gefeiert, ein Dorffest. Walter Lübcke war zu Hause geblieben, er setzte sich noch für eine Zigarette und mit einem Tablet nach draußen. Dann traf ihn gegen 23.20 Uhr ein Kopfschuss.

Rettungskräfte erkannten Mord zunächst nicht

Vor Gericht schildert Jan-Hendrik Lübcke nun, wie sein Vater damals tagsüber noch im Garten des gemeinsamen Hauses Unkraut gejätet hatte, mit Latzhose, Karohemd und Sandalen. Der 30-Jährige erzählt dies mit akkurater Erinnerung, gesetzt. Am Abend sollten die Großeltern dann auf den Enkel aufpassen, den Sohn von Jan-Hendrik Lübckes Bruder. Er selbst sei mit Freunden auf die Weizenkirmes gegangen, erzählt der Sohn.

Schon bei seiner Rückkehr, gegen 0.30 Uhr, aber habe er gestutzt. In der Küche brannte Licht, die Terrassentür stand offen. Dann habe er seinen Vater auf dem Terrassenstuhl gesehen. Er habe ihn am Arm gerüttelt, bemerkt, dass er sich kühl anfühlte. Dann sei Panik aufgestiegen. „Ich dachte an einen Herzinfarkt.“ Der Sohn rief Sanitäter, wollte den Vater auf den Boden hieven, ihn reanimieren. Jan-Hendrik Lübcke schildert, wie überfordert er war, wie allein und angsterfüllt. Nun zittern seine Hände am Zeugenpult, er atmet schwer.

Dass sein Vater erschossen wurde, erkannten auch die herbeigerufenen Rettungskräfte zunächst nicht. Aber plötzlich war Blut auf der Terrasse, floss dem Vater aus Mund und Nase. „Die Sanitäter konnten sich das auch nicht erklären“, sagt Jan-Hendrik Lübcke.

Mit Familienmitgliedern sei man dann ins Krankenhaus gefahren, wo schließlich der Tod des Vaters festgestellt wurde. Erst hinzugekommene Polizisten hätten ihnen dort am frühen Morgen mitgeteilt, dass bei Walter Lübcke „ein Gegenstand“ im Kopf gefunden wurde. Die Revolverkugel.

Walter Lübcke vermisste Rückendeckung

So gefasst der Sohn den Tat­abend zunächst schildert, so emotional wird er, als Richter Thomas Sagebiel ihn nach den Folgen des Mordes fragt. „Es hat uns innerlich zerrissen. Wir werden niemals damit fertig werden, was unserem Vater angetan wurde. Es bleibt unbegreiflich.“ Jan-Hendrik Lübcke schildert, wie er bis heute nicht wieder voll arbeiten könne. „Von Alltag bin ich noch ganz weit entfernt.“ Auch seine Mutter leide, sie war vierzig Jahre mit Walter Lübcke verheiratet. „Sie hat es noch schwerer getroffen.“

Stephan E., der Angeklagte, verfolgt all dies ohne Regung. Er starrt wie versteinert in den Saal. Dort lässt Jan-Hendrik Lübcke seinen Vater noch einmal aufleben. Er schildert ihn als guten Vater, lebensfroh, weltoffenen, gesprächsbereit. „Das Amt des Regierungspräsidenten war seine Berufung.“ Im Herbst 2019 wäre er in Rente gegangen. „Er wollte Zeit für die Familie, er hat sich so darauf gefreut.“

Im Herbst 2019 wäre Walter Lübcke in Rente gegangen, er wollte Zeit für die Familie haben

Jan-Hendrik Lübcke schildert aber auch den Moment, in dem die Sache kippte: eine Bürgerversammlung in Kassel-Lohfelden, im Oktober 2015. Lübcke informiert dort über eine geplante Erstaufnahmestelle für Geflüchtete – und kritisierte anwesende Pöbler scharf. Der in Frankfurt Mitangeklagte Markus H. verbreitete eine Videoszene davon im Internet, auch Stephan E. war vor Ort.

In einem Geständnis nannte dieser Lübckes Kritik später als Tatmotiv. Jan-Hendrik Lübcke berichtet, wie er nach der Versammlung von Morddrohungen gegen den Vater erfuhr. Wie dieser damals erstmals beunruhigt war und politische Rückendeckung vermisste. Aber der Vater habe den Geflüchteten in jedem Fall helfen wollen. „Werte hat er hochgehalten.“

Verteidiger wegen zerrüttetem Vertrauen entpflichtet

Weder die Bundesanwaltschaft noch die Verteidiger von Stephan E. stellen Fragen an Jan-Hendrik Lübcke. Der Anwalt des Mitangeklagten Markus H. nur eine. Es hätte anders kommen können. Denn im Vorfeld hatte einer der Verteidiger von Stephan E. angekündigt, er habe „viele Fragen“ an den Sohn: der Dresdner Frank Hannig, der als Pegida-nah gilt. Aber Hannig wird am Morgen vom Gericht als Verteidiger entpflichtet. Ein kleiner Paukenschlag.

Am Vortag hatte Hannig unabgesprochen mehrere Beweisanträge gestellt: für Vernehmungen weiterer möglicher Mittäter oder zu einem Einbruch im Kasseler Regierungspräsidium im Juli 2019, bei dem Akten verschwunden waren. Hannig legte nahe, dass diese mit der Solarenergie-Firma der Lübcke-Söhne zu tun haben könnten, womöglich gebe es krumme Geschäfte – und damit vielleicht auch ein anderes Motiv für den Mord an Walter Lübcke. Richter Sagebiel nannte die Anträge „gequirlten Unsinn“.

Tatsächlich hatte Stephan E. in Vernehmungen nie ein anderes als ein rechtsextremes Motiv erwähnt. Auch Hannigs Mitverteidiger Mustafa Kaplan, einst NSU-Opferanwalt, distanzierte sich von Hannig, auch im Namen von Stephan E.: Man wolle die Lübckes nicht mit Dreck bewerfen. Stephan E. beantragte die Entpflichtung von Hannig.

Am Dienstagmorgen erscheint Hannig dennoch im Gerichtssaal, redet minutenlang auf Stephan E. ein – bevor er von Kaplan verscheucht wird. Wenig später kommt Richter Sagebiel E.s Gesuch nach: Dessen Vertrauensverhältnis zu Hannig sei „endgültig zerstört“. Der Angeklagte müsse befürchten, dass ihm sein eigener Anwalt schade.

Lübcke-Sohn fordert mehr Engagement gegen den Hass

Nachdem Hannig sich am Vortrag noch zu erklären versuchte, er sei dem Gericht wohl mit seinen Anträgen zu unbequem, zieht er nun seine Robe aus und verlässt wortlos den Saal. Für ihn rückt Jörg Hardies als neuer Verteidiger nach, Kaplans Kölner Kanzleikollege. Und Kaplan verkündet: Am Mittwoch in einer Woche wolle Stephan E. nun im Prozess aussagen.

Jan-Hendrik Lübcke äußert sich zu der Rochade nicht. Er wolle eine vollständige Aufklärung des Mordes an seinem Vater und eine Bestrafung der Täter, erklärte er mit seiner Familie zum Prozessbeginn.

Sein Kampf aber weist inzwischen über den Gerichtssaal hinaus. Auf einer Gedenkverstaltung für seinen Vater forderte Jan-Hendrik Lübcke zuletzt, im Sinne seines Vater mehr Engagement gegen den Hass ein. Es sei der Auftrag aller, „diesem schrecklichen Ungeist“ entgegenzuwirken. „Die Unkultur der Hetze und Diffamierung darf sich nicht ver­festigen.“

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