Montagsinterview Bernadette La Hengst: "Castingshows hätte ich mir in meiner Jugend gewünscht"

Einst hat die Musikerin Bernadette La Hengst den Feminismus auf deutsche Bühnen gerockt. Inzwischen ist die 43-Jährige Mutter, macht Theater und lehrt in den Sophiensælen Angela Merkel das Fürchten.

Bernadette La Hengst im Märchenzug eines Berliner Weihnachtsmarktes Bild: Karsten Thielker

taz: Frau La Hengst, nebenan im Kinderzimmer schläft Ihre Tochter, morgen müssen Sie in aller Frühe zur Schule. Was sind Sie: Rockerbraut oder Mutter?

Bernadette La Hengst: Beides. Dass meine Tochter jeden Morgen um acht in die Schule und ich viertel vor sieben aufstehen muss - das ist echt hart. Da muss ich spätestens um zwölf ins Bett. Aber die Freiheit, das Wilde, das passiert in meinem Kopf, in meinen Stücken und Texten.

Die Mutti-Variante der Rockerin …

Na ja. Der Vater meiner Tochter kümmert sich zur Hälfte um sie - da kann ich meine Musik und meine Projekte machen. Ich gehe auch noch ab und zu auf Tour, kann mich besaufen und muss am nächsten Tag nur darauf achten, dass ich wieder auf die Bühne komme, ohne zu kotzen. Aber ab 40 kann man eh nicht mehr so viel trinken, das hält mein Magen nicht mehr aus.

In den 90ern haben Sie rotzigen Frauenrock in einer männerdominierten Branche gemacht - mit dem Anspruch, anderen Frauen den Weg zu bahnen. Viel weiblicher ist es aber seitdem nicht geworden auf deutschen Bühnen. Rocken die Männer doch mehr als die Frauen?

Pah, das wage ich zu bezweifeln. Ich habe unglaublich tolle Musikerinnen kennengelernt. Es war immer mein Verständnis von Feminismus, sie aufzuspüren und Netzwerke zu bilden, statt über den Mangel zu jammern.

Wen denn zum Beispiel?

Als ich die Punkband L 7 in Hamburg in den 90ern auf der Bühne gesehen habe, da bin ich durchgedreht: tätowierte, männliche Rockerposen, total krank und abartig haben die ins Publikum gerotzt - das war toll.

Das ist schon eine Weile her …

Ja. Zuletzt hatte ich das bei Gossip, der Band der dicken, lesbischen Sängerin Beth Ditto. Ich war vor drei Jahren auf einem Konzert, da war ich richtig aufgeregt. Ich war selbst mal wieder Fan, das hat mich gefreut. Inzwischen sind die aber so kommerziell - da weiß ich gar nicht, ob ich die noch gut finden kann.

Die Straßenmusikerin: In Bad Salzuflen, musikalische Wiege der Hamburger Schule, absolviert die 1967 geborene Bernadette Hengst ihre ersten Gehversuche als Künstlerin. Gitarre und Akkordeon bringt sie sich selbst bei und spielt auf der Straße.

Die Pop-Feministin: Inspiriert von den feministischen Hardcore-Punkerinnen der amerikanischen Riot-Grrrl-Bewegung, gründet sie 1990 die Rockpopband "Die Braut haut ins Auge" - die einzige Frauenband der Hamburger Schule. 2000 löst sich die Gruppe auf. Seitdem ist sie solo unterwegs und nennt sich Bernadette La Hengst. Nach "Der beste Augenblick in deinem Leben" (2002), "La Beat" (2005) und "Machinette" (2008) soll nächstes Jahr das vierte Soloalbum erscheinen.

Die Theaterkünstlerin: 2004 wurde Bernadette La Hengst Mutter einer Tochter, seitdem lebt sie in Berlin. Zuletzt realisierte sie in Freiburg, Hamburg und Istanbul musikalische Projekte und Theaterstücke. Am 17. Dezember ist Premiere von "Deutschlandmärchen", das sie zusammen mit Till Müller-Klug auf die Bühne der Sophiensæle bringt.

Ach kommen Sie: Sie wären doch auch gern so berühmt.

Das werde ich ja vielleicht noch. Mit meiner Band "Die Braut haut ins Auge" hätte das damals auch klappen können mit dem großen Erfolg - aber irgendwie waren wir zu sperrig. Wenn der Produzent gesagt hat: "Ich hör den Hit nicht, da muss man noch mal nachbessern", hat uns das eher abgetörnt. Die Band "Wir sind Helden", die hat das wenig später perfektioniert. Die hatten mehr kommerzielles Gespür.

Wie schwer war es, sich einen Platz im männlichen Rockbusiness zu erarbeiten?

Ich hatte oft das Gefühl, dass ich Dinge zum ersten Mal mache. Ich hatte keine weiblichen Vorbilder, keine Role Models. Ich habe mir das selber erschaffen. Ich fühle heute manchmal noch das Kribbeln im Bauch, als ich mit 13 beschlossen habe, ich will auf die Bühne. Ich hatte eine wahnsinnige Sehnsucht danach - die haben ja viele 13-Jährige.

Deswegen boomen heute die Castingshows …

So was hätte ich mir damals gewünscht. Aber das gab es nicht und in Bad Salzuflen sowieso nicht. Also bin ich in die Theatergruppe der Schule. Dann habe ich Gitarre gelernt und mit 14 oder 15 angefangen, Straßenmusik zu machen. Später habe ich beim Label "Fast Weltweit" in Bad Salzuflen - alles Männer - angefangen, Songs zu schreiben.

Worum ging es da?

Um Freunde, ums Weggehen aus der Kleinstadt. So typische Jugendthemen, das war alles noch sehr unbewusst. Wenn ich die Lieder heute anhöre - die waren nicht wirklich gut. Aber ich habe mich etwas getraut.

Sind Sie damit angeeckt?

Schon. Wenn ich an die ganze Junge-Union-Fraktion aus Bad Salzuflen denke, die behauptet hat, ich würde auf den Strich gehen, weil sie mich beim Trampen gesehen haben - das war nicht lustig. In Hamburg, wo ich später gelebt habe, spielte ich jahrelang in der U-Bahn und wurde als Pennerin beschimpft. Die Nähe zur Straße, zu den vermeintlichen Verlierern, die ist mir nicht fremd. Es war ein harter Weg bis auf die Bühne.

Bis zu "Die Braut haut ins Auge"…

Genau. Das war der erste ernsthafte Versuch, mit einer Band - einer Frauenband - auf der Bühne zu stehen und Platten rauszubringen.

Und wem hat die Braut ins Auge gehauen?

Ich war damals frisch geschieden.

Mit Anfang 20?

Ich habe mit 19 heimlich geheiratet, weil wir dachten, das wäre ein exzentrisches Zeichen von Romantik. Mit 21 war ich wieder geschieden. Barbara aus der Band war auch kurz vor der Scheidung. Das musste im Bandnamen verarbeitet werden. Aber vor allem ging es um die Erwartungen, wie Mädchen zu sein hatten.

Wie denn?

In der Musik waren die immer die Freundinnen von irgendwem, ganz selten die Macherinnen. Während sich junge Frauen kaum trauen, eine E-Gitarre in die Hand zu nehmen, haben die Jungs schon ihre ganze Pubertät lang Riffs hoch und runter gespielt. Mädchen waren dazu da, zu warten, bis die Jungs fertig gerockt haben. Wir wollten aber selber rocken.

Mit allem Drum und Dran?

Wir haben uns in jeder Hinsicht die gleichen Rechte rausgenommen wie die Typen aus den Indierockbands: Wir haben auf die Kacke gehauen, gesoffen, uns auf der Bühne gewälzt, Groupies mit nach Hause genommen. Als wir einmal nackt, nur mit Körperbemalung, aufgetreten sind, haben uns die Veranstalter von der Bühne geschmissen.

Vor zehn Jahren hat sich die Band aufgelöst, seit sechs Jahren sind Sie Mutter. Ein harter Schnitt?

Ja. Ich habe damals in einer WG direkt über der Reeperbahn gewohnt. Als meine Tochter da war, bin ich zu ihrem Vater nach Berlin in eine Dreizimmerwohnung gezogen. Diesen Kontrast hat meine Beziehung nicht verkraftet.

Aber mit der Musik ging es weiter?

Ich habe meine Tochter recht spät bekommen, weil ich mich vorher nicht sicher genug gefühlt habe als Künstlerin. Ich hatte Angst, ich höre einfach auf und werde unglücklich. Mit Mitte 30 war das anders. Aber auch dann hätte mich das zurückgeworfen, wenn ich zwei Jahre ausgesetzt hätte. Da hätten mich doch alle vergessen. Ich habe in der Zeit, als meine Tochter noch ganz klein war, die zweite Soloplatte produziert. "Rockerbraut und Mutter" hieß eines der Lieder. Die Frage, wie das zusammengeht, hat mich schon beschäftigt.

Mit den Kindern kommt die Vernunft, oder nicht?

Klar habe ich mich als Mutter verändert. Ich kaufe nur Bio und achte darauf, was wir essen. Wir fahren Fahrrad, weil das gesünder ist. Ich rauche nur abends in der Küche. Ich will nicht, dass meine Tochter mitkriegt, wenn ich betrunken bin. Aber vor Kurzem war meine Tochter bei einem Konzert dabei und hat sich gewundert, warum ich so schwitze. Sie darf also ruhig sehen, dass ich auf der Bühne rumschreie und mich auf den Boden schmeiße - und nicht nur ihr Frühstück mache und den Ranzen packe.

Inzwischen arbeiten Sie aber vor allem fürs Theater und an Hörspielen. Weil es vernünftiger ist?

Nicht nur. Vor einer Menschenmenge zu spielen, wo sich alle amüsieren wollen und schweißgebadet mit den Köpfen nicken, ist toll. Aber heute mute ich mir und meinem Publikum inhaltlich mehr zu. Vergangenes Jahr habe ich in Freiburg die "Bettleroper" mit ehemaligen Obdachlosen auf die Bühne gebracht. Dieses Jahr war ich für ein Projekt im Hamburger Jugendknast. Da war ich am Rande meiner Kräfte. Ich wusste nicht, ob ich es schaffe, dort immer wieder rauszugehen und zu wissen: Die bleiben noch für Jahre hinter Gittern. In solchen Projekten die richtige Mischung aus Emotionalität und Distanz zu finden und das künstlerisch zu verarbeiten - das geht doch viel weiter als die Lieder von früher, die sich vor allem um mein persönliches Umfeld gedreht haben.

In Ihrem aktuellen Stück geht es um Märchen, die die Bundeskanzlerin auftischt.

Wir mixen Schauspiel mit O-Tönen von Angela Merkel. Dafür habe ich mir ein halbes Jahr Audiodateien von ihr angehört - ihren Videoblog, ihre Neujahrsansprachen. Und bin echt fast eingeschlafen. Aber genau das ist ihre Masche: Ein zuckersüßer Tonfall, der auch meine Tochter denken lässt: Das ist doch eine ganz nette Politikerin.

Eine Märchentante …

Genau. Meine Tochter findet es ganz lustig, wenn jetzt aus Merkels Mund so Sachen kommen wie: "Knusper Knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen …?" Aber das passt zu ihrer Stimme. So lullt sie uns ein. Eigentlich hat sie eine ganz ähnliche Stimme wie ich: so leicht heiser, da läuft ganz viel Luft durch den Hals beim Reden. Mir sagt man auch nach, dass ich manchmal noch wie eine 15-Jährige klinge, wenn ich singe. Und teilweise hat Angela Merkel etwas ähnlich Naives. Deswegen hat Kohl sie ja auch immer "mein Mädchen" genannt. Aber genau wie er wird sie unterschätzt.

Welche Märchen erzählt denn die Kanzlerin?

Sie verkauft uns ihre Politik als soziale Marktwirtschaft, aber im Prinzip ist es knallharter Neoliberalismus. Mit einer Ministerin Ursula von der Leyen, die allen wahnsinnig sympathisch ist und die sagt, sie macht etwas für die Frauen, damit die Kinder und Beruf vereinen können. Dann gilt das aber nur für die reichen und gut ausgebildeten Frauen. Die anderen können sehen, wo sie bleiben. Das ist bittersüße Politik, da muss man ganz genau hinhören. Und das versuchen wir mit dem Stück.

Geht es um politische Veränderung?

Na ja. Ich bin nicht Christoph Schlingensief. Aber ich versuche, die Leute da zu packen, wo es etwas mit ihrem Leben zu tun hat. Man könnte ja sagen, das Stück ist nur Polemik gegen Merkel. Dann könnte sich das Publikum zurücklehnen und denken: "Mit uns hat das nichts zu tun, wir wählen eh nicht CDU, sind alle taz-Leser und wissen, dass Merkels Gerede neoliberaler Müll ist." So einfach ist es nicht. Da müssen wir Autoren was finden, was den Leuten auch wehtut.

Zum Beispiel?

Klar regen sich alle angeblich Linken auf, wenn Merkel sagt "Multikulti ist tot". Aber was ist denn, wenn sie vor der Entscheidung stehen, in welche Schule sie ihre Kinder schicken? Sind sie dann bereit, Multikulti zu leben?

Würden Sie Ihre Tochter in eine "Problemschule" geben?

Ich mache das. Wir wohnen an der Grenze von Wedding und Mitte. Die Schule im Wedding war die nächste, die Schulen in Mitte sind voll. Meine Tochter geht in eine Klasse, in der 90 Prozent der Kinder Migrationshintergrund haben. Aber ich habe ein gutes Gefühl. Ich glaube, dass ein selbstbewusstes Kind da ganz normal seinen Weg gehen kann. Mich ärgert, dass viele Eltern das nicht wenigstens ausprobieren. Da denkt jeder nur an sein eigenes Kind, anstatt sich als Gruppe zusammenzuschließen. Der sogenannte Mangel an Integration geht doch auch von den Menschen ohne Migrationshintergrund aus, die sich dieser Seite von Berlin nicht öffnen.

Das hören manche Eltern nicht gern.

Stimmt, da ecke ich wieder an. Einige werfen mir Intoleranz vor. So ist es aber nicht gemeint. Ich mache Projekte mit Jugendlichen, die im Knast sitzen, weil sie immer auf der anderen Seite standen, immer unter sich geblieben sind, sich immer als Außenseiter gefühlt haben. Gerade ich kann doch nicht über diese Wahrheit hinwegsehen und mein Kind auf eine Mitte-Schule mogeln. Vielleicht ziehen da einige Eltern nach, das wäre toll.

Ist es heute leichter oder schwerer, so zu leben, wie Sie wollen?

Leichter. Früher hatte ich so oft depressive Phasen, in denen ich nicht wusste, wie zahle ich die Miete, wann kommt die nächste Platte, wer ist mein Freund. Nee, ich möchte nicht zurück in die 90er. Es gab zwar tolle Zeiten, aber jetzt ist mein Leben viel erfüllter, meine Arbeit hat Sinn, ich bin nicht mehr so einsam.

Und wie steht es nun um die rockenden Frauen?

Tja. Mir ging es immer darum, dass es selbstverständlich wird, dass ich als Künstlerin auf der Bühne stehe. Das habe ich geschafft, ich kann davon leben. Aber um mich herum sehe ich immer noch 90 Prozent männliche Musiker.

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