"Moin." - "Moin.": Fisch? Fisch!

Ein Angeltörn auf der Ostsee ist eine Herausforderung für die rauen Kerle unter Klempnern, Sozialarbeitern und Lkw-Fahrern. Ein regnerischer Tag unter Männern auf See mit Anglerglück

Auf Fischfang in der Ostsee Bild: dpa

taz: Wer angelt in Ihrem Verein?

Hein-Jörg Elping: Vom Manager bis zum Hartz-IV-Empfänger sind alle Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen im Deutschen Anglerverband e. V./Landesverband Berlin vertreten. Wir haben 8.800 Mitglieder, davon sind heute nur noch 8 Prozent Frauen.

Woran liegt der Frauenmangel?

Bei Frauen war das Angelinteresse nie groß. Früher sind sie oft beigetreten, weil der Partner Mitglied war. Heute ist alles teurer und man spart sich deshalb lieber den zweiten Beitrag.

Was sind Voraussetzungen zum Angeln?

Der Staat verlangt einen Fischereischein. Den bekommt man nach einer Prüfung am Ende eines 32-Stunden-Lehrgangs. Zusätzlich muss man einen Angelberechtigungsschein für das Gewässer kaufen, in dem man fischen möchte. In Brandenburg darf man seit 2002 ohne Fischereischein Friedfisch angeln.

Was sind begehrte Fische?

Aale, Zander, Karpfen. Weißfische wie Plötze und Blei soll man zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichts im Gewässer fangen. Erstere ist gut essbar, beim Blei stören die vielen Gräten. INTERVIEW: STOR

HEIN-JÖRG ELPING ist Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Anglerverband e. V./Berlin

Ein frischer Nordost pfeift von der See, Regen peitscht schräg aus dem Halbdunkel und hüllt Heiligenhafen in einen grauen Schleier. Schietwetter ist das heute und deshalb ein Morgen für raue Kerle, die passende Kulisse für Salzwasser-Helden und große Taten. Schon um halb sechs huschen ein paar nassglänzende Gestalten an Bord der "MS Karoline", der "MS Ostpreußen" und der "MS Einigkeit" und binden ihre Angeln an der Reling fest. Erfahrene Angler, die ihre Claims abstecken: Wer zuerst kommt, sichert sich die begehrten Plätze an Bug und Heck - es sind die Plätze mit der größeren Bewegungsfreiheit.

So richtig beginnt der Betrieb erst eine Stunde später. In der Kajüte der "MS Monika" sitzen 13 Angler an den Tischen. "Moin." - "Moin." Männer am Meer machen um diese Zeit noch nicht viele Worte. Ein Brötchen mit Käse, eins mit Bierwurst, dazu einen Kaffe - "3,50", sagt Nobby hinter der Theke, ein besonnener Mittfünfziger mit vertrauenswürdig seemännisch tätowierten Armen. Pünktlich um halb acht legt die "MS Monika" ab. Käpten Jens meldet sich im Lautsprecher. Eineinhalb Stunden wird die Anfahrt dauern, zu Fanggründen westlich der Insel Fehmarn soll es heute gehen.

Genug Zeit also, sich die versammelten Petrijünger anzusehen. Die Grauköpfe mit dem ersten Bier kommen aus Bayern und wirken professionell. Drei Polen mit Stoppelköpfen reden wenig und basteln an ihrer Ausrüstung. Die beiden aus dem Ruhrpott outen sich fröhlich als Anfänger. Drei Jungspunde stammen von der Küste. Und jeder von ihnen würde - klammheimlich - die Hundert-Euro-Wette annehmen, dass er am Ende nicht ohne Fisch von Bord geht, sollten auch alle anderen in die Röhre gucken.

Um neun ist das Zielgebiet erreicht. Käpten Jens rät zu "80-Gramm-Pilker und einem Beifänger" und beugt nochmal allzu kühnen Fischzug-Fantasien vor. "Es ist sehr, sehr mühsam geworden."

Dann hupt er, und die erste Runde beginnt. Ringsum schwirren die Leinen in die graue, aber recht ruhige See. Im Grunde ist Pilken eine einfache Sache: Ein Metallfischchen mit Haken wird ins Wasser geworfen, sinkt zu Boden und wird per Schnur immer wieder ruckweise angehoben und zum Boot zurückgeholt. Dieses Trugbild eines verwundeten Fisches soll den Jagdinstinkt des Dorsches wecken. Zusätzlich werden ein paar Zentimeter darüber bunte Gummiwürmer oder Tintenfischchen an die Leine montiert, ebenfalls mit Haken versehen, die der lebende Dorsch in seiner Gier dem künstlichen vor der Nase wegschnappen soll.

An Steuerbord herrscht erst einmal leichte Konfusion. Die professionell wirkenden Bayern, stellt sich heraus, sind zum ersten Mal auf See. Und sie zahlen Lehrgeld - in Form von Schnur, die sich auf der Rolle verheddert und abgeschnitten werden muss, von Pilkern, die am Grund hängenbleiben, von angesäuerten Nachbarn, über deren Leine sie geworfen haben und mit denen sie nun mühselig Schnursalat entwirren müssen.

Nach einer Viertelstunde erneutes Hupen: Angeln einholen, Jens sucht einen anderen Platz. Und dort ertönt zum ersten Mal der ersehnte Ruf: Fisch! Bei einem der Jungspunde biegt sich die Angel, er kurbelt schwer, die Schnur wandert unruhig durchs Wasser, und nach zwei Minuten zeigt sich ein weißer Bauch neben dem Boot. Nobby kommt mit dem Gaff. Mit dem gebogenen Haken spießt er den Fisch auf und holt ihn hoch. Ein schneller Schlag auf den Kopf, ein Schnitt durch die Kehle - drei Kilo bringt der braungrüne Dorsch auf die Waage. Länger als 38 Zentimeter ist er allemal - das Mindestmaß, ansonsten müsste man ihn zurückwerfen.

Es gibt also Fisch da unten - nun erfasst das Angelfieber endgültig alle. Auswerfen, einholen, sanftes Zucken, heftiges Reißen - dazwischen wandern verstohlene Blicke in die Kiste mit dem einzigen Fang. In diesem Moment würde jeder - klammheimlich - die Zweihundert-Euro-Wette annehmen, dass er am Ende mit einem noch viel schwereren Kaliber von Bord gehen wird. Man experimentiert: Silberne Pilker werden gegen goldglitzernde getauscht, grüne Würmer gegen blaue Krabben, auch Gummifische kommen zum Einsatz.

Jens wechselt jede Viertelstunde den Einsatzort. "Ihr müsst zum Grund", mahnt Nobby. "Und räumt die Tannenbäume ab!" Gemeint sind die mit bunten Beifängern überladenen Montagen der Berliner. Und tatsächlich biegt sich während der nächsten Stunde immer wieder mal eine der Ruten. Als der Kapitän um elf die Mittagspause verkündet, liegen sieben Dorsche an Bord.

Stattlicher Dorsch im Hafen von Stahlbrode Bild: dpa

In der Kajüte gibt es Bohnensuppe mit Würstchen. Die Helden sind aufgedreht oder kleinlaut, das Adrenalin löst die Zungen. Nobby, der vor drei Jahren eine gute Stellung als Schiffsausrüster aufgegeben hat für den Job an Bord, hört zu. Er kann das, die "MS Monika" führt auch Seebestattungen durch und er hält die Trauerreden.

Wie geht es weiter mit der Ostsee und der Angelei und dem Fisch, der immer weniger wird? "Wenn alle Kutter die Bestimmungen einhielten, würde sich der Dorschbestand erholen, da bin ich sicher." Es ist die Klage aller Fischer hier oben, und sie ist berechtigt. Eben wurde angeblich wieder ein polnischer Trawler aufgebracht, mit acht Tonnen Fisch zu viel an Bord. "Aber auch die Dänen …", schüttelt Nobby den Kopf. Die Angelkutter fallen neben der Berufsfischerei kaum ins Gewicht. Immer wieder gibt einer auf, weil sich aufgrund steigender Treibstoffpreise das Geschäft nicht mehr lohnt. "Wir achten auf Einhaltung der Mindestgrößen. Und wir fahren auch nicht in die Gebiete der großen Laichdorsche, weil wir die Rekordsucht vieler Angler nicht mitmachen. Dafür sind wir von den sieben Angelkuttern in Heiligenhafen der fröhlichste, bei uns haben auch Anfänger ihren Spaß."

Dies gilt nicht unbedingt für die Bayern an diesem Tag. "Ihr müsst nicht die Ostsee umrühren, Männer, ihr müsst sensibel rangehen", mahnt Nobby. Aber die sind es nach einer weiteren Stunde erfolglosen Pilkerbadens leid. Wenn sich die Angel schon mal biegt, kommt ein Stück Kraut hoch oder ein kleiner Seestern - da widmen sie sich lieber dem Bier vom Fass.

Der Regen setzt wieder ein und jagt waagrechte Duschen in die Gesichter. Am Horizont verschwinden die Windräder von Fehmarn, die Umrisse der "MS Klaus Peter" lösen sich auf im Dunst. Heldenwetter ist jetzt: Die, die weiterkurbeln und ab und zu ins Schlingern geraten, werfen sich anerkennende Blicke zu. Und sie fangen - es ist keiner von diesen ganz schlechten Tagen, an denen 30 Mann ohne einen einzigen Fisch nach Hause gehen. 15 Dorsche, alle zwischen drei und vier Kilo, sind es am Ende. Als "Schneider", wie erfolglose Angler im Fachjargon abgestraft werden, stolpern nur die Bayern von Bord.

Um zwei ist Schluss. Nobby klappt die Stahltische herunter, neun Angler nehmen ihre Fische aus und filetieren sie. Ein letztes Bier, ein Nickerchen, die rauen Kerle verwandeln sich zurück in brave Lkw-Fahrer, Sozialarbeiter, Klempner und Polizisten. Sie sind müde, aber - mit bayrischen Ausnahmen - zufrieden mit sich und der See. Super Tag, das. Ein Tag für Salzwasser-Helden eben.

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