Mörder der britischen Abgeordneten Cox: In der Bibliothek radikalisiert
In London steht der Mörder der Labour-Abgeordneten Jo Cox vor Gericht. Im Prozess wird dessen Lieblingslektüre enthüllt – Neonazi-Internetseiten.
Vor Gericht schweigt der 53-jährige Mair, an dessen Täterschaft kein Zweifel besteht: er wurde noch am Tatort überwältigt. „Britain First!“ soll er gerufen haben, den Namen einer rechtsextremistischen Gruppe.
In der ersten Woche des Prozesses, der am 14. November begann, ging es um den Tathergang. Augenzeugen berichteten, wie die 42-jährige Cox auf die ersten Schüsse reagierte: „Lasst ihn mir weh tun, ihr lauft weg“, rief sie, um ihre Mitarbeiterinnen zu schützen, die ihr zu Hilfe eilten.
In der zweiten Prozesswoche geht es um den Angeklagten selbst. Mit Fotos beschreibt einer der beiden Staatsanwälte, was man in Mairs Wohnung bei der Hausdurchsuchung vorfand. In einem Schlafzimmer prangen Bilder mit Hakenkreuzen, über einem Bücherregal ein deutscher Adler. In einer Ecke des Zimmers liegt eine weiße Baseballmütze mit der Aufschrift „Deutschland“ neben einer in Tarnfarben.
Gedankengut von Nazis
Die eng geordneten Bücher im Regal beweisen eine klare Faszination Mairs mit dem Gedankengut von Neonazis: ein Lexikon der „weißen Rasse“, und Bücher über die Politik des Holocausts, Werke über die SS.
In einem Aktenordner: Internetausdrucke über den rechtsextremistischen norwegischen Massenmörder Breivik sowie Neonazis in den USA und Südafrika. Mitten drin: ein Ausdruck eines Artikels von Jo Cox aus dem Lokalblatt, in dem sie sich für die EU ausspricht, als patriotische Wahl.
Mair ist eine schmächtige, ergraute und leicht nach vorne gebeugte Gestalt, mit grauer Teilglatze und gestutztem Vollbart. Er verfolgt den Fall von der Anklagebank hinter dickem Sicherheitsglas in dunkelblauem Anzug mit dunkelblauer Krawatte und polierten Schuhen.
Mal blättert er in den Akten, mal blickt er wach und hellhörig auf den in roter Robe gekleideten Richter mit englischer Perücke. Als die Anklage über Mairs Sammlungen berichtet, verkrampft sich seine Haltung etwas, er kreuzt die Beine und verschränkt die Arme.
Internet in der Bibliothek
Computerexperten konnten den Internetzugang Mairs in den Monaten vor dem Mord zurückverfolgen. Mair hatte dies nicht etwa von zu Hause getan, sondern aus vier verschiedenen lokalen Stadtbüchereien, darunter auch jener, vor welcher er später Cox ermorden sollte. Der häufig arbeitslose Mair besuchte die Bücherei oft bereits morgens. Mit seiner Bibliothekskartennummer buchte er seinen Internetzugang.
Zwei Monate vor dem Mord las er ein US-Neonazi-Internet-Magazin und informierte sich über Dylan Roof, der in Charleston in einer Kirche neun Menschen ermordet hatte. Danach suchte er nach Reinhard Heydrich. An anderen Tagen ging es um Neonazis in Belgien, um britische Neonazis sowie um „extreme Linke und Zionisten“.
Am 6. Juni, zehn Tage vor der Mordtat, sucht Mair zum ersten Mal im Internet nach Jo Cox. Gleichzeitig will er herausfinden, wie man mit einer 22-Kaliber-Waffe umgeht. Nebenbei schlägt er die britischen Waffengesetze nach und die Definition von „Landesverrat“.
Er findet ein YouTube-Video darüber, wie man mit einer 22-Kaliber-Waffe schießt, und beschäftigt sich mit der Frage, ob so eine Waffe tödlich ist, wenn man mit ihr auf einen Kopf zielt. Drei Tage vor dem Mord guckt er nach, wie im Jahr 1990 der Politiker Ian Gow von der IRA ermordet wurde.
Informationen über Särge
Am Tag vor dem Mord stärkt sich Mair mit Seiten zur Waffen-SS, KKK-Morden an US-Bürgerrechtlern und Einzelheiten seiner Waffe. Er sucht Informationen über Särge, Israel, Palästina und Südafrikas Neonazis. Als diese Präsentation der Staatsanwaltschaft vorüber ist, gibt Richter Alan Wilkie der Verteidigung zu verstehen, dass er den Prozess möglicherweise frühzeitig beendet.
Zwölf Geschworene – acht Männer und vier Frauen – müssen das Urteil fällen.
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