piwik no script img

Mögliches Strafverfahren gegen UngarnOrbán fordert EU-Parlament heraus

Für ein Strafverfahren gegen Ungarn müssten auch konservative Abgeordnete zustimmen. Spitzenkandidat Weber (CSU) gerät unter Druck.

Mögliche Premiere: Am Mittwoch könnte das EU-Parlament ein Artikel-7-Verfahren einleiten Foto: dpa

BRÜSSEL taz | Er ignoriert die EU-Beschlüsse zur Flüchtlingspolitik, legt die Presse an die Leine und behindert die Arbeit von Stiftungen und Hilfsorganisationen. Dennoch lässt die EU den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán gewähren. Mehrere Strafverfahren und Klagen verliefen im Sande.

Doch damit soll nun Schluss sein: Das Europaparlament will den Ministerrat auffordern, „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der EU-Grundwerte in Ungarn festzustellen, ein Artikel-7-Verfahren. Der Beschluss – eine Premiere in der Parlamentsgeschichte – soll am Mittwoch in Straßburg fallen.

Doch bis zuletzt war unklar, ob die nötige Zweidrittelmehrheit zustande kommen würde. Dafür wäre die Unterstützung der konservativen Europäische Volkspartei (EVP) nötig, in der CDU und CSU den Ton angeben. Noch vor Kurzem sprach nichts dafür, dass die EVP von Orbán abrücken könnte – im Gegenteil.

Orbáns rechtsnationale Partei Fidesz arbeitet sogar in der EVP-Fraktion im Europaparlament mit. Fraktionschef Manfred Weber (CSU), der sich mit dem Segen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Spitzenkandidaten für die Europawahl küren lassen will, rechtfertigte dies mit der Notwendigkeit, den Dialog zu suchen.

„Demagogen wie Orbán hofiert“

Doch nun ist Weber selbst unter Druck geraten. Abgeordnete aller etablierten Parteien greifen ihn an. „Der wahre Spitzenkandidat der EVP ist Orbán“, schimpft der Chef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt. „Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die EVP Demagogen und Autokraten wie Orbán hofiert“, kritisiert Udo Bullmann, Präsident der Sozialdemokraten.

Auch die Grünen gehen zum Angriff über. „Manfred Weber und die gesamte konservative Fraktion müssen sich entscheiden, ob sie auf der Seite von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stehen, oder lieber zu ihrem Parteifreund halten“, sagt Fraktionschefin Ska Keller. Die Verteidigung europäischer Werte sei „der Eignungstest für jeden, der Kommissionspräsident werden will“.

Manfred Weber und die gesamte konservative Fraktion müssen sich entscheiden, ob sie auf der Seite von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stehen, oder lieber zu ihrem Parteifreund halten

Grünen-Politikerin Ska Keller

Die Angriffe wirken: Kurz vor der entscheidenden Abstimmung ist Weber auf Distanz zu Ungarn gegangen. Orbán müsse die Sorgen der EU anerkennen und handeln, sagte der CSU-Politiker am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. „Wenn es keine Bewegung gibt in der Sache, wird es für die ungarische Regierung schwierig.“

Allerdings legte sich Weber noch nicht fest – anders als Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz, der sich für ein Artikel-7-Verfahren aussprach. Auch Merkel hält sich alle Optionen offen. Ein Appell des französischen Staatschefs Emmanuel Macron, ein Machtwort zu sprechen und Orbán zu isolieren, zeigte zunächst keine Wirkung.

„Schlag ins Gesicht dieser Union“

Orban selbst zeigte sich uneinsichtig. Das geplante Artikel-7-Verfahren sei ein „Schlag ins Gesicht dieser Union“ und verletze Ungarns Ehre, sagte Orban am Dienstag in der Straßburger Kammer, in die er sich selbst eingeladen hatte. In der Flüchtlingskrise habe Ungarn nicht nur seine eigenen, sondern auch Europas Grenzen verteidigt – und werde dies auch künftig tun.

Das letzte Wort würden ohnehin die Bürger haben, so Orban: Bei der Europawahl im Mai 2019. Diese Abstimmung will der Star der Rechtspopulisten zum Referendum gegen die Flüchtlingspolitik der EU umfunktionieren. Aber zunächst einmal haben die Europaabgeordneten das Wort.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Orban selbst zeigte sich uneinsichtig."

    Vielleicht ja, weil er der demokratisch gewählte Präsident seines Landes ist und kein kleiner Schuljunge, der auf dem Pausenhof beim Rauchen erwischt wurde.



    Wenn sich EU an Ungarn heranmacht, werden die Visegradstaaten folgen - womöglich noch Italien, Dänemark und Österreich: Die EU zündelt und scheint gar nicht bemerkt zu haben, dass sie kurz davor ist, auseinander zu fliegen!

  • "Allerdings legte sich Weber noch nicht fest...auch Merkel hält sich alle Optionen offen"

    so handeln keine Menschen mit einem festen Wertesystem... oder noch schlimmer, insgeheim stimmen die mit Orban überein!

    • @danny schneider:

      Politkerinnen und Politker haben ein Wertesystem, für das diese einstehen?

      Dass jeder sich von Fakten überzeugen lassen sollte, sollte doch ein Grundsatz sein. Wir müssen nicht alles mögen, aber vieles akzeptieren. Für Politikerinnen und Politker hingegen ist der einzige gültige Fakt ein Machterhalt oder-gewinn. Anderes zählt nicht.

  • Wenn Polen und Ungarn weiterhin die europäischen Werte mit Füssen treten können, ohne dass es eine klare Abstrafung dafür gibt, werden sich irgendwann auch die Letzten resigniert zurückziehen. Dann wars das mit der schönen europäischen Idee. Dann findet auf der Ebene das statt, was in den Nationen schon passiert: Politikverdrossenheit auf der ganzen Linie bei gleichzeitigem erstarken der antidemokratischen Scharfmacher. Merkt das eigentlich keiner?

    • @ Christoph:

      Das schlimme ist, alle merken es und erinnern sich auch an die selben Vorzeichen die es in den 30er Jahren schon einmal gab.



      Schockstarre?

    • @ Christoph:

      In Spanien wurden 460 Menschen von Rajoys Polizei verletzt, die an einem legalen Referendum teilnahmen

      www.irishtimes.com...-clashes-1.3239957

      Wo waren die Befürworter der "europäischen Werte" dann?

    • @ Christoph:

      Polen hat in den letzten drei/vier Jahren 1-1,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Soviel zu ihren "europäischen Werten"...