Mögliche Kriegsverbrechen in der Ukraine: Die UN beruft Ermittler ein
Eine UN-Kommission soll Beweismittel zum Ukrainekrieg sammeln. Laut offiziellen Zahlen hat dieser bisher mindestens 1.189 tote Zivilisten gefordert.
Der Präsident des UN-Menschenrechtsrates in Genf hat am Mittwoch die drei Mitglieder der unabhängigen Untersuchungskommission berufen, die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine unter die Lupe nehmen soll.
Präsident der Kommission wird Erik Mose aus Norwegen. Der ehemalige Oberste Richter in Oslo war bereits von 1999 bis 2003 Vizepräsident des Internationalen Ruanda-Völkermordtribunals gewesen und von 2003 bis 2007 dessen Präsident. Ab 2011 gehörte er dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an, bevor er an das Oberste Gericht Norwegens zurückkehrte.
Unterstützung erhält Mose von Jasminka Džumhur aus Bosnien-Herzegowina und Pablo de Greiff aus Kolumbien. Džumhur ist die Menschenrechts-Ombudsfrau von Bosnien-Herzegowina und hat bereits in UN-Kommissionen über die Rechte von Arbeitsmigranten sowie verschwundene Personen gedient. De Greiff war von 2012 bis 2018 UN-Sonderbeauftragter für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Garantien der Nichtwiederholung in Kolumbien.
Nur Russland und Eritrea sind dagegen
Der UN-Menschenrechtsrat hatte am 4. März die Schaffung der Kommission beschlossen, die mutmaßlichen Verletzungen der Menschenrechte sowie des humanitären Völkerrechts in der Ukraine nachgehen soll. Nur Russland und Eritrea stimmten gegen die Untersuchung, 13 Staaten enthielten sich, darunter Russlands traditionelle Verbündete China, Venezuela und Kuba. Die Kommission soll ein Jahr lang arbeiten und in dieser Zeit nicht nur Vorwürfen nachgehen, sondern auch, soweit möglich, Verantwortliche für Verbrechen identifizieren und benennen.
Außerdem, so der UN-Beschluss, soll die Kommission „Beweismittel sammeln, konsolidieren und analysieren“ und „im Einklang mit internationalen Rechtsstandards sämtliche Informationen, Dokumentation und Beweismittel systematisch aufzeichnen und bewahren, einschließlich Interviews, Zeugenaussagen und forensisches Material, im Hinblick auf jedes zukünftige Rechtsverfahren“.
Damit rückt eine internationale juristische Aufarbeitung der Verbrechen des Ukrainekriegs einen Schritt näher. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs hatte am 2. März die Einleitung von Ukraine-Ermittlungen angekündigt.
Die UN-Untersuchungskommission soll im September dem Menschenrechtsrat erstmals mündlich Bericht erstatten und ihren Abschlussbericht im März 2023 vorlegen. Ähnliche Berichte aus anderen Konflikten sind bereits in Strafverfahren eingeflossen.
Seit 2014 gibt es eine UN-Beobachtermission für Menschenrechte in der Ukraine mit einem besonderen Fokus auf die Situation in den russisch besetzten Gebieten. Sie dokumentiert auch zivile Opfer von militärischer Gewalt, insbesondere seit Kriegsbeginn am 24. Februar.
Bislang 108 Kinder getötet
Laut dem neuesten Tagesbericht, den die Mission am Mittwoch veröffentlichte, sind seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine mindestens 1.189 Zivilisten getötet und mindestens 1.901 verletzt worden. Dies sind 10 Tote und 41 Verletzte mehr als am Vortag. Eine Woche vorher lagen die Zahlen bei 977 Toten und 1.594 Verletzten. Unter den Getöteten befinden sich den Angaben zufolge 108 Kinder.
Die tatsächlichen Zahlen dürften wesentlich höher liegen, heißt es regelmäßig. Die meisten Zivilisten seien beim Beschuss mit Explosivwaffen – etwa Artillerie und Raketenwerfer – mit einem weiten Radius getötet oder verletzt geworden. Zudem seien Zivilisten bei Luftschlägen getroffen worden. (mit epd)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker