Mögliche Koalitionen in Berlin: SPD und Grüne ringen um die Macht
Eine Ampel oder wieder SPD, Grüne und Linke? In Berlin hat sich die Frage nach der Koalition zu einem Machtkampf entwickelt. Der Ausgang ist ungewiss.
Diese Frage hat sich inzwischen zu einem Machtkampf entwickelt, der auf offener Bühne ausgetragen wird. Auf der einen Seite steht SPD-Spitzenkandidatin und Exfamilienministerin Franziska Giffey. Auf der anderen die grüne Frontfrau Bettina Jarasch.
Am Dienstag haben SPD, Grüne und Linke sieben Stunden lang sondiert. Jarasch sprach im Anschluss von „klärenden“ Gesprächen. Giffey schwieg. Natürlich haben alle Parteien Stillschweigen vereinbart.
Tags zuvor, nach siebeneinhalb Stunden Verhandlungen mit SPD und FDP, betonte Jarasch, es seien „extrem intensive Gespräche“ gewesen. Das klang, trotz des Stillschweigens, nach großem Klärungsbedarf, den die Grünen mit den Linken offenbar schon hinter sich haben.
Eine Pattsituation
Ohnehin macht Bettina Jarasch, die bei den Wahlen am 26. September 18,9 Prozent für die Grünen geholt hatte, keinen Hehl daraus, dass sie das Bündnis mit SPD und Linken fortsetzen will. Auch am vergangenen Freitag, als eine Entscheidung über die Koalitionsbildung schon mit Händen greifbar war, hatte sich Jarasch für Rot-Grün-Rot ausgesprochen. Zuvor hatten Grüne und SPD mehrere Stunden lang miteinander verhandelt. Gerne hätten beide Parteien anschließend bekannt gegeben, mit wem sie Koalitionsverhandlungen aufnehmen wollen.
Doch zu einer Einigung war es dann doch nicht gekommen. Stattdessen hatten sich Grüne und SPD, die beide unabhängig voneinander zu Pressestatements eingeladen hatten, in eine Pattsituation manövriert. Denn während Jarasch ihre bekannte Präferenz nur wiederholen musste, ließ Giffey überraschend die Katze aus dem Sack. „Die Präferenz liegt auf dem Ampel-Bündnis“, twitterte sie am Freitag.
An der Pattsituation haben auch die beiden Dreiersondierungen am Montag und Dienstag nichts geändert. Nun diskutieren beide Spitzenfrauen erst einmal in ihren Parteien die Lage. Den größten Klärungsbedarf wird dabei Franziska Giffey haben. Ihre Vorliebe für eine Ampel teilen längst nicht alle in der Berliner SPD.
Schon kurz nach der Wahl haben sich vier einflussreiche Kreisverbände für weitere fünf Jahre Zusammenarbeit mit Grünen und Linken ausgesprochen. Inzwischen hat sich auch der Co-Vorsitzende des Kreisverbandes Neukölln dafür stark gemacht. Selbst in ihrem Heimatbezirk, in dem Giffey als Stadträtin und Bezirksbürgermeisterin ihre politische Karriere begonnen hatte, kann sie sich einer Mehrheit also nicht mehr sicher sein.
Giffey ist das Druckmittel weggebrochen
Nichts fürchtet Giffey deshalb so sehr wie einen Landesparteitag, der über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheidet. Eine entsprechende Forderung der vier Kreisverbände hat sie deshalb barsch abgelehnt. Stattdessen soll die Entscheidung im Landesvorstand fallen. Dort hat Giffey, die seit vergangenem November auch Co-Landesvorsitzende ist, eine komfortable Mehrheit.
Doch auch zwischen Landesvorstand und Giffey läuft nicht alles rund. Nach dem Giffey-Tweet vom Freitag legte der stellvertretende SPD-Landeschef Julian Zado Wert darauf, dass es Giffey war, die sich für eine Ampel ausgesprochen hatte und nicht der Landesvorstand. „Es ist gut, dass für die @spdberlin eine Koalition mit der #cdu jetzt vom Tisch ist“, schrieb Zado ebenfalls auf Twitter. „Der geschäftsführende Landesvorstand der SPD Berlin hat gleichrangige und ergebnisoffene Sondierungen von #R2G und #ampel beschlossen.“
Zumindest darüber scheint in der SPD Klarheit zu herrschen: Eine Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP ist vom Tisch. „Ich halte das für unrealistisch“, sagte die Berliner Jusochefin Sinem Taşan-Funke der taz.
Damit entfällt aber ein wichtiges Druckmittel für Giffey, die Grünen in eine Ampel zu zwingen. Nur wenn Giffey damit drohen kann, dass die Grünen bei einem Ampel-Veto aus dem Spiel sind, hat die SPD noch die Fäden in der Hand. Ohne die Alternative Deutschland-Koalition liegt die Entscheidung bei den Grünen.
Die Ampel dürfte für SPD und Grüne sportlich werden
Bleibt Berlin also rot-grün-rot regiert? Am Donnerstag oder Freitag, so heißt es, soll eine Entscheidung für Koalitionsverhandlungen fallen. Bis dahin wollen auch SPD und Grüne noch einmal miteinander reden. Dabei dürfte das Gespräch auch auf die Mehrheiten im Berliner Abgeordnetenhaus kommen, auf die die verschiedenen Bündnisse zählen können.
Während Rot-Grün-Rot auf eine satte Mehrheit von 18 Abgeordneten zählen könnte, hätte die von Giffey favorisierte Ampel nur eine Mehrheit von sechs Abgeordneten. Noch knapper wäre es bei einem Bündnis von SPD, CDU und FDP – es käme auf eine Mehrheit von vier Stimmen im Landesparlament.
Eine Ampel mit der FDP dürfte für SPD und Grüne sportlich werden. Nicht nur wegen der großen politischen Differenzen. So spricht sich die Berliner FDP sowohl gegen Mindestlöhne als auch für die Abschaffung des Umwandlungsverbots von Miet- in Eigentumswohnungen aus. Unsicher ist auch, welche Rolle die Fraktionen spielen. Die grüne Fraktion ist nicht nur jünger, sondern auch linker geworden. Sie auf ein Bündnis mit der FDP einzuschwören wäre für die Partei eine Zerreißprobe.
Aber auch bei der SPD sind die Mehrheiten in der Fraktion alles andere als sicher. Bei seiner Wiederwahl zum Fraktionsvorsitzenden hat Co-Landeschef Raed Saleh, obwohl ohne Gegenkandidat, drei Gegenstimmen bekommen. Die werden in der SPD auch als Votum gegen Giffey gewertet.
Das einzige Argument, das Giffey noch in der Hand hält, ist der erfolgreiche Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co enteignen. Die Linke hat ihn unterstützt, während Giffey Enteignungen schon im Wahlkampf als „rote Linie“ bezeichnet hat. Mit der FDP wäre das Thema sicher einfacher abzuräumen als mit der Linken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin