Mögliche Auslieferung von Assange: Zurück in den „Hort der Freiheit“?
Auf Julian Assange wartet in Schweden eine U-Haft-Zelle. Selbst wenn gegen ihn Anklage erhoben würde, wäre er wohl bald ein freier Mann.
STOCKHOLM taz | Ein Platz in der Zelle einer Untersuchungshaftanstalt und ein „Verhör wegen der Tatvorwürfe“. Das erwartet Julian Assange der schwedischen Anklagebehörde zufolge, wenn er sich in Großbritannien stellt und an Schweden ausgeliefert wird.
Als Häftling würde er dann das Land wiedersehen, das er im August 2010 zu Beginn einer Vortragsreise als „Hort der Freiheit“ gelobt hatte und dessen Staatsangehörigkeit er damals sogar annehmen wollte. Wovon aber keine Rede mehr war, als dieser Besuch eine dramatische Wendung nahm. Zwei Frauen zeigten ihn damals wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung an. Weil Assange das Land verließ und nicht freiwillig zurückkehren wollte, wurde ein europaweiter Haftbefehl ausgeschrieben.
Wie es nach einer Überstellung nach Schweden weitergeht, hängt vom Ergebnis der Verhöre mit Assange ab. Bestreitet er die ihm zur Last gelegten Taten, dürfte nach Einschätzung vieler Strafrechtsexperten aufgrund der derzeit bekannten Beweislage der Vergewaltigungsvorwurf kaum beweisbar sein. Dann müsste die Anklagebehörde das Verfahren entweder mangels ausreichenden Tatverdachts ganz einstellen oder sie könnte zumindest zum Vorwurf der sexuellen Nötigung Anklage erheben.
In diesem Fall – Schwedens Justiz ist schnell – würde es binnen weniger Wochen ein entsprechendes Gerichtsverfahren geben. Auf eine mögliche Strafe, die Assange bei Verurteilung wegen sexueller Nötigung – Höchststrafe 2 Jahre Haft – drohen könnte, würden aber aller Wahrscheinlichkeit nach die eineinhalb Jahre gerichtlichen Hausarrest in Großbritannien vor seiner Flucht in die Botschaft Ecuadors am 19. Juni 2012 angerechnet werden. Ähnlich wie im Falle einer vollständigen Einstellung des Verfahrens würde er Schweden vermutlich als freier Mann verlassen.
Was aber würde passieren, sollten sich tatsächlich Assanges Befürchtungen bewahrheiten und die USA würden von Stockholm seine Auslieferung begehren? Ein solches Auslieferungsgesuch müsste an das schwedische Justizministerium gerichtet werden. Nach schwedischem Recht darf jedenfalls dann niemand in ein anderes Land ausgeliefert werden, wenn ihm aufgrund der Tatvorwürfe dort möglicherweise die Todesstrafe droht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!