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Modernes AntiquariatIm Sog der Zukunft

Generation 55: „Am grünen Strand der Spree“, ein Berlinroman von Hans Scholz

Eine durchzechte Nacht in einer Bar in der Fasanenstraße. Sechs Menschen, Künstler, Film- und Werbeleute, die sich lange kennen und angefeuert vom Alkohol ins Reden kommen. Sie sprechen über ihr Leben, ihre Liebesversuche, über angesagte Musik.

Könnte alles in einem Berlinroman der Achtziger- oder Neunzigerjahre stehen, doch das Buch, um das hier geht, erschien 1955. Es hat den für heutige Ohren eher betulich klingenden Titel „Am grünen Strand der Spree“. Der Titel zitiert einen alten Schlager, der damals so alt noch gar nicht war. So alt vielleicht wie ein Lied von Billy Holiday aus der Sicht von heute.

Und um Musik und Leute, deren Lebensgefühl von einer bestimmten Musik geprägt wird, geht es schließlich auch bei Hans Scholz, dem 1911 in Berlin geborenen Autor von „Am grünen Strand der Spree“. Das Buch und sein Autor sind in Vergessenheit geraten, was nicht an der Qualität des Romans liegt, sondern eher daran, dass jede Nachkriegsgeneration für sich eine eigene Stunde null definierte. 1989, 1978, 1968, die Zahlen sind bekannt. Alles, was jenseits der jeweilig relevanten Jahre liegt, ist schon Mythos geworden.

Aber zum Roman. In der „Jockey-Bar“ treffen sich am Abend des 26. April 1954 sechs alte Freunde wieder. Sie kamen hier auch schon vor dem Krieg her, hörten Jazzmusik, tanzten und tranken. Einer von ihnen, Hans-Joachim Lepsius, ist gerade aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Man kommt ins Reden. Fragt nach verlorenen Freunden und deren Schicksal. Lepsius beginnt schließlich aus dem geretteten Tagebuch eines in Russland verschollenen Freundes zu lesen. Es sind Berichte von der Ostfront, von den Verbrechen der Wehrmacht an den Juden – all das, wovon man heute glaubt, frühestens der Frankfurter Auschwitzprozess in den Sechzigerjahren habe diese Dinge ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht. Doch es stand schon in diesem Beststeller der Fünfzigerjahre.

Trotzdem ist das Thema des Buches ein anderes. Es geht um die vielen verlorenen Generationen des 20. Jahrhunderts – geprägt von Krieg und Naziherrschaft, durch Emigration, zerrissene Freundschaften oder Tod, vom Swing, Jazz und der Erfahrung, zu feige gewesen zu sein für den Widerstand.

In dieser Nacht vom 26. auf den 27. April, die erst nach fünfhundert Romanseiten zu Ende ist, reiht sich Erzählung an Erzählung. Es geht durch Jahrhunderte und Kontinente, und immer wieder landet man doch in der Gegenwart und in Berlin.

Irgendwann präsentiert der Maler Hesselbarth eine zweite Frontgeschichte. Aber sie ist schon nicht mehr authentisch, sondern bereits die Verarbeitung einer Geschichte als Filmskript. Die Zeit geht weiter, die Erinnerung ist in den Sog der Zukunft geraten.

Hans Scholz hat einen Moment festgehalten, in dem man noch die Hoffnung spürt, trotz allem könne man in Berlin anknüpfen an die Vorkriegszeit. An das kosmopolitische Berlin der Weimarer Zeit, an das Berlin Fontanes oder Friedrichs II. Aber es hatten ja nicht einmal die Liebesgeschichten sich fortschreiben lassen! Jürgen Wilms war zu feige gewesen um Esther Ruth Loria zu lieben. Mit Jutta klappte es später auch nicht, zu blond war sie, zu deutsch. Und wen liebte überhaupt die schöne Barbara Bibiena?

„Am grünen Strand der Spree“ blieb Hans Scholz' einziger Roman. Eigentlich war er Maler, später wurde er Journalist. Von 1963 bis 1976 hat er das Feuilleton des Tagesspiegels geleitet. Manchmal trat er in der „Jockey-Bar“ als Jazz-Saxofonist auf, eine Bar, die es wirklich gab und die für die Generation von Scholz vielleicht ähnlich legendär war wie der „Dschungel“ für die letzte Westberliner Generation. Hans Scholz ist im November 1988 gestorben Esther Slevogt

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