Modellrechnung für den Umstieg: Deutschlands Energie 2050
Eine Fraunhofer-Studie zeigt: Ein Ausstoß von 80 Prozent weniger Treibhausgas ist möglich und nicht teurer als das heutige Energiesystem.
Von wegen „teure Energiewende“: Eine Senkung der Treibhausgasemissionen in Deutschland um mindestens 80 Prozent durch die Nutzung erneuerbarer Energien kostet die Volkswirtschaft auf lange Sicht nicht mehr, sondern eher weniger als das heutige System auf Basis fossiler Energien. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg.
In einer ersten Stufe des Simulationsmodells mit dem Namen REMod-D (Regenerative Energien Modell – Deutschland) hatte das ISE schon vor einem Jahr nachgewiesen, dass eine Strom- und Wärmewirtschaft, die sich allein auf regenerative Energien stützt, nach erfolgtem Umbau mit jährlichen Kosten in Höhe von 107 bis 123 Milliarden Euro billiger ist als das heutige Energiesystem. Der Status quo nämlich schlägt mit jährlichen Kosten in Höhe von mindestens 133 Milliarden Euro zu Buche, wobei der Großteil der Kosten für die Brennstoffe anfällt.
In der ersten Studie waren nur die Strom- und Wärmeversorgung analysiert worden, in das neuen Rechenmodell wurde nun auch der Verkehr einbezogen. Dabei zeigt sich, dass eine drastische Senkung der CO2-Emissionen um mindestens 80 Prozent ohne jeglichen Import von erneuerbarer Energie möglich ist, also ohne Wasserkraft aus Norwegen zum Beispiel.
Alle Techniken, die für eine solche Energiewende notwendig sind, seien „grundsätzlich verfügbar und einsatzreif“. Daher sind sich die Forscher schon heute sicher: „Wir stoßen nicht an technische Potenzialgrenzen.“ Aber es müsse natürlich ein massiver Ausbau von Wind auf dem Land und Offshore sowie eine massive Installation von Solaranlagen erfolgen, sagt ISE-Wissenschaftler Hans-Martin Henning.
Ein kostenoptimiertes Energiesystem, das die Emissionen von Kohlendioxid um mindestens 80 Prozent senkt, würde gemäß dem Rechenmodell folgende Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien benötigen: Photovoltaik würde jährlich 143 Terawattstunden (TWh = Milliarden Kilowattstunden) zum Energiemix beitragen (2012: 26 TWh), Wind Onshore 217 TWh (2012: 50 TWh), Wind Offshore 112 TWh (2012: weniger als 1 TWh) und Wasserkraft 21 TWh (das entspricht heutiger Nutzung).
Die Grafik zeigt ein mögliches Energiesystem im Jahr 2050. Damit unser Wirtschaftssystem nachhaltig wird, müssen laut Klimaforschung die Industrieländer ihren Ausstoß an Treibhausgasen um 80 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 verringern. Das Fraunhofer-Institut hat nun errechnet, wie man das finanziell am günstigsten schafft.
Auf der linken Seite: wo die Energie herkommt. Rechts: wofür sie verbraucht wird - mit 420 TWh erstaunlich viel für Hitze bei der Produktion von Gütern in der Industrie, zum Beispiel.
Die Terawattstunden geben die Größe der Energieerzeugung oder des Energieverbrauchs an. Eine Terawattstunde (TWh) sind eine Milliarde Kilowattstunden. Für eine Kilowattstunde wiederum läuft etwa ein Staubsauger eine Stunde. Oder andersherum: Für eine Kilowattstunde muss ein Kilogramm Braunkohle verbrannt werden.
Die gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplung (nutzt Abwärme von Stromgeneratoren zum Heizen von Wohnungen) würde dann noch knapp 16 Prozent zum Strommix liefern, Steinkohlekraftwerke trügen nur noch 4, Braunkohlemeiler gar nur noch 2 Prozent bei.
Was den Verkehr angeht, so kann man Pkws bis 2050 weitgehend auf Wasserstoff- und Elektromotoren umstellen. Von den 357 TWh, die der Verkehr dann an Energie verbraucht, stammen demnach 82 TWh aus Wasserstoff und 55 TWh aus Strommotoren. Ein großer Teil der Energie wird dann also auch aus Elektrizität gewonnen. Der Rest sind Diesel für die Lkws und Kerosin für den Flugverkehr.
Wie könnte Deutschland im Jahr 2050 heizen? Die Solarthermie trägt in dem Zukunftsmodell 87 TWh pro Jahr zur Versorgung bei, sie liegt damit vor der Kraft-Wärme-Kopplung mit 73 TWh. Elektrisch betriebene Wärmepumpen werden fast 40 Prozent des Wärmebedarfs abdecken, worin sich die deutliche Tendenz der zukünftigen Energiewirtschaft zeigt: Der Strom- und der Wärmemarkt wachsen enger zusammen.
Der starke Ausbau der fluktuierenden erneuerbaren Energien, so die Forscher, erfordere „eine sektorübergreifende Optimierung des Gesamtsystems“. Denn in manchen Zeiten werde eine hohe Überproduktion von Strom aus erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind existieren. Daher müssten „alle Optionen für die flexible Nutzung dieses Stroms in allen Verbrauchssektoren erschlossen“ werden. Also auch zur Wärmeerzeugung.
Thermodynamische Wahrheit
So ändern sich die Sichtweisen. Denn in der Vergangenheit galt der Einsatz von Strom zum Wärmen aus ökologischen Gründen als nicht opportun – schließlich bedeutet die Wandlung von Strom in Niedertemperaturwärme die Umsetzung einer hochwertigen Energie in eine minderwertige.
Doch diese thermodynamische Wahrheit verliert an Relevanz, seit Strom durch die erneuerbaren Energien immer stärker zu einem Gut mit schwankendem Zeitwert wird: Wenn Solar- oder Windstrom im Überfluss anfallen, kann es in Zukunft sinnvoll sein, die Energie in Form von Wärme zu speichern. Denn Wärme lässt sich leichter speichern als Strom.
Entsprechend setzt das System auch auf einen moderaten Ausbau von Wärmenetzen mit Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen unterschiedlicher Größe. „Große Wärmespeicher, die an diese Wärmenetze angeschlossen sind, bewirken, dass die Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen überwiegend stromgeführt betrieben werden können“, meinen die Wissenschaftler. Das heißt: Die Stromgeneratoren dieser Anlagen laufen nur dann, wenn Sonne und Wind nicht ausreichend Strom liefern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen