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Mobilität in DeutschlandVerkehrswende sucht Steuermann

Mehr Klimaschutz im Verkehr: Die Analyse eines Think-Tanks zeigt, wie das gehen könnte. Die Regierung plant eine neue Kommission.

Die Zukunft: Elektro Foto: dpa

Berlin taz | Während die Kohlekommission hinter verschlossenen Türen dümpelt, arbeitet die Bundesregierung an der nächsten Kommission. Diese „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ soll Handlungsempfehlungen entwickeln, „die dem Klima- und Umweltschutz dienen und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie gewährleisten“, heißt es aus dem Bundesverkehrsministerium.

Berichte, die Plattform solle unter Leitung des ehemaligen SAP-Vorstandes Henning Kagermann schon im September ihre Arbeit aufnehmen, bestätigte das Ministerium nicht. Die Personalie liegt nahe, weil Kagermann, ein Vertrauter von Kanzlerin Angela Merkel, schon der „Nationalen Plattform Elektromobilität“ vorsteht, die durch die neue Kommission ersetzt werden soll.

Kurzfristig – wohl bis Ende des Jahres – werden von der beschlossenen Plattform konkrete Vorschläge erwartet, wie die Klimaschutzziele der Bundesregierung zu erreichen wären. Sie bedeuten für den Verkehr: 2030 rund 40 Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen im Vergleich zu 1990. Das Ziel sei ambitioniert, aber erreichbar, sagt Christian Hochfeld, Direktor des Think-Tanks Agora Verkehrswende. Wichtig seien gut koordinierte Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen, die die gesamte Bandbreite der Mobilität in den Blick nähmen.

Sie reicht von effizienteren Fahrzeugen über eine höhere Lkw-Maut bis hin zu mehr Rad- und Fußverkehr in den Städten. Derzeit ist der Verkehrssektor laut Bundesumweltministerium für etwa 166 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verantwortlich. Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen werden sie bis 2030 auf 146 Millionen Tonnen sinken – 50 Millionen Tonnen zu wenig, für das Ziel „Minus 40 Prozent“. Nötig seien also zusätzliche Ideen, sagt Wiebke Zimmer, Ressourcenexpertin am Freiburger Öko-Institut.

Im Auftrag der Agora Verkehrswende hat das Institut die Klimaschutz-Wirkungen verschiedener Maßnahmen berechnet. Demnach ließen sich über 25 Millionen Tonnen CO2 mit einer PKW-Maut von 8 Cent pro Kilometer einsparen. Besonders wirkungsvoll sind strenge CO2-Grenzwerte für Autos; die Emissionen müssten zwischen 2021 und 2030 um 75 Prozent sinken. Zu schaffen ist dies laut der Berechnung, wenn die Zahl der Elektroautos auf 10 Millionen ansteigt, bei einem wachsenden Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix.

Routine im Verkünden verfehlter Ziele

Ob solche Vorschläge politisch umsetzbar sind, ist fraglich. So sind beispielsweise die CO2-Grenzwerte in der Großen Koalition umstritten. Während Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) die Verkehrs-Emissionen zwischen 2021 und 2030 halbieren will und damit über die Forderungen der EU-Kommission hinausgeht, wendet sich Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) gegen strengere Grenzwerte.

Das Ministerium Scheuers, der laut eigenem Bekunden den Begriff der „Verkehrswende“ nicht mag, übernimmt die Federführung in der neuen Plattform zur Zukunft der Mobilität. Sie müsse sich darauf konzentrieren, Lösungen für eine fair gestaltete und auch für einkommensschwächere Haushalte erträgliche Verkehrswende zu formulieren, sagt Hochfeld. Dabei seien schnelle Vorschläge noch in dieser Legislaturperiode entscheidend, um „nicht 2028 festzustellen, dass wir die Klimaziele von 2030 nicht erreichen“.

Wir brauchen eine faire Verkehrswende

Christian Hochfeld, Agora Verkehrswende

Allerdings hat die große Koalition inzwischen eine gewisse Routine im Verkünden verfehlter Ziele, etwa bei den Klimaschutzzielen für 2020 oder dem Vorhaben von einer Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen im selben Jahr – zurzeit sind es knapp 54.000.

„Grundsätzlich muss man der neuen Plattform eine Chance geben“, sagt Dietmar Oeliger, Leiter Verkehrspolitik beim Umweltverband Nabu. Schließlich sei neben dem Verkehrs- auch das Umweltministerium mit an Bord. „Es macht aber keinen Sinn, in Berlin in einer Kommission über Maßnahmen zum Klimaschutz im Verkehr zu diskutieren“, so Oeliger, „und in Brüssel setzt sich die Bundesregierung parallel dafür ein, dass strenge Grenzwerte für den CO2-Ausstoß der Fahrzeugflotte verhindert werden.“

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2 Kommentare

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  • Es ist halt ein Dilemma, weniger Co2 bei wachsender Wirtschaftsleistung. Unmöglich. Man kann gewisse Parameter nicht gleichzeitig optimieren. Es sei denn, man lässt alles in Handarbeit machen: alle sind beschäftigt, kein C02 durch Maschinen.

  • Die Aufgabe des Mobilitätswandels besteht meines Erachtens darin, den Bürgern eine ähnlich hohe Mobilität wie heute bei deutlich verringerten Emissionen anbieten zu können.



    Eine sehr effiziente Lösung wäre der langfristige Umstieg vom Individualverkehr bei längeren Reisen (über 50-100km) hinzu qualitativen öffentlichen Verkehrmitteln - also ein gut ausgebautes Bahn- und Busnetz, das günstig genutzt werden kann. Im Nahverkehr können weiterhin Autos verkehren, die ressourceneffizient sind (E-Auto von Microlino wiegt 500kg für 2 Personen) und/oder von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden (=Ridesharing - ist in China bereits sehr groß per einfacher App).



    Die Herausforderung der Politik ist dabei, den Übergang so zu gestalten, dass die Akzeptanz der Bevölkerung hoch ist. Dazu muss viel Aufklärung vor dem tatsächlichen stufenweisen Umstieg erfolgen.



    Durch den Umstieg werden einige Arbeitsplätze bei der Automotive-Industrie verloren gehen, die sich dann in den neuen, wachsenden Branchen wiederfinden müssen. Auch muss die Bahn zuerst durch größere Investitionen vom Bund modernisiert und ausgebaut werden, um ihren gerechtfertigten schlechten Ruf ablegen zu können. All dies erfordert ein entschlossenes und langfristiges Handeln der Politik (worauf wir vielleicht nach all den schlechten Jahren auch mal hoffen dürfen!)