Mobiles Banking auf dem Land in Indien: Aus dem Eckladen wird eine Eckbank
Für Menschen im ländlichen Indien ist die Eröffnung eines Bankkontos mühselig. Sie können nun ein Konto per Handy einrichten und das Geld am Kiosk holen.
NEU-DELHI | Es ist früher Morgen in einer geschäftigen, staubigen Nebenstraße, und in Jitender Goyals Handyshop drängen sich schon die Kunden. Der Rikschafahrer Mohammed Samit Alam schiebt sich mit einem Packen zerknitterter Rupienscheine durch den Pulk Richtung Ladentisch. Aber er ist nicht gekommen, um etwas zu kaufen. Wie die anderen Wartenden ist er Wanderarbeiter – er will Geld nach Hause schicken. Und der kleine Eckladen ist seit vier Jahren eine virtuelle Bank.
Mohammed reicht seinen Ausweis über den Ladentisch, die 2.100 Rupien, die er verschicken will, umgerechnet 37 Dollar, und seine Kontonummer, die in seinem Handy gespeichert ist. Der Mann hinter dem Ladentisch tippt die Daten in ein mobiles Telefon, das mit der Partnerbank des Ladens, der State Bank of India, verbunden ist. Nach einigen Minuten piept Mohammeds Handy und ihm wird per SMS seine Einzahlung bestätigt.
Mohammed überweist seit drei Monaten über Goyals Laden Geld an seine Mutter, eine Bäuerin im nördlichen Bundesstaat Bihar. „Früher habe ich das Geld immer mit einem Kurier geschickt“, sagt Mohammed, „aber Kuriere sind teuer, sie nehmen fünf Prozent, und es kann zehn Tage dauern, bis das Geld ankommt.“ In Goyals Laden kostet es nur ein Prozent. „Und meine Mutter holt sich das Geld von der Bank, für sie ein Fußweg von ungefähr einem Kilometer.“
Diesen Text lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Juni 2013. Darin außerdem: „Das ist die Lösung!" Es gibt viele Ideen für eine bessere Welt. Man muss sie nur suchen – und aufschreiben. Ein Spezial der taz und 21 weiterer Zeitungen. Die Transsexuelle Jane Thomas und ihre älteste Tochter über die CSU und Familie. Und: Der Gezi-Park ist geräumt, aber der Protest geht schweigend weiter. Aus alten Feinden sind neue Freunde geworden. Unterwegs mit den Fußballfans von Besiktas Istanbul. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Goyals Laden gehört zu den 1.200 virtuellen Banken, die von dem Start-up-Unternehmen EKO India Financial Services betrieben werden. EKO wurde von zwei Brüdern erfunden: Abhishek und Abhinav Sharma.
Millionen Landbewohner ohne Konto
Viele Inder leben auf dem Land, weit weg von Banken und Geldautomaten. Viele sind arm, können nicht lesen und schreiben, die Formalitäten für die Eröffnung eines Bankkontos sind für sie sehr mühselig. Aber die Marktforschungsfirma iSuppli meint, dass im Jahr 2014 erstaunliche 97 Prozent der Bevölkerung ein Handy besitzen werden.
Angeregt von ähnlichen Projekten in Kenia und den Philippinen, nutzten die Sharma-Brüder die Technik der Prepaidhandys: „Leute, die ihr Guthaben aufladen wollen, gehen in einen Laden, zahlen 500 Rupien und bekommen eine SMS über das neue Guthaben“, erklärt Abhinav Sharma. „Sie haben im Grunde auf eine Art Konto eingezahlt.“
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Obwohl Indiens Wirtschaft in den letzten zwanzig Jahren boomte, haben die Banken mehrere hundert Millionen Landbewohner ohne Konto nicht zur Kenntnis genommen und sich auf die reicheren, lukrativeren Kunden in den Städten konzentriert. „Die Armen haben ein starkes Bedürfnis zu sparen, und sie haben immer Wege gefunden, ihr Geld zu Hause aufzubewahren“, sagt Mudita Tiwari, leitender Marktforscher im Centre for Micro Finance in Chennai, der das EKO-Modell geprüft hat. „Also muss man ihnen eigentlich nur den richtigen Service anbieten, damit sie am Bankwesen teilhaben können.“
Die Brüder mussten die traditionellen Bankhäuser zur Zusammenarbeit bewegen. „Das war schwierig“, sagt Sharma. „Wir wollten etwas tun, was es in Indien noch nie zuvor gegeben hatte, nämlich Finanzdienstleistungen über ein simples Handy und nicht über ein teures Blackberry abwickeln.“
Täglich 9.000 Dollar Umsatz
Heute arbeiten die Brüder mit drei großen Kreditanstalten zusammen: State Bank of India, ICICI und YES Bank. Der nächste Schritt bestand darin, Geschäfte zur Zusammenarbeit zu bewegen. Ladenbesitzer gelten in der Nachbarschaft zumeist als vertrauenswürdig und konnten ihren Kunden erklären, wie EKO funktioniert.
Goyal, der Inhaber des Ladens in South Dehli, sagt, ihm gefalle das Ansehen, das ihm die Verbindung mit Indiens größter Publikumsbank bringt. Und die Zahl seiner KundInnen habe sich erhöht: „Als ich nur Telefone verkaufte, hatte ich etwa 60 bis 70 KundInnen am Tag“, sagt Goyal. „Jetzt kommen mehr als 100 Leute.“ Er transferiert im Schnitt 500.000 Rupien täglich, 8.862 Dollar.
Empfohlener externer Inhalt
EKO hat nach fünf Jahren bereits drei Millionen KundInnen, hauptsächlich in Delhi, Mumbai und den Bundesstaaten Bihar und Uttar Pradesh. Die Firma bewegt etwa 1,5 Millionen Dollar am Tag. Die meisten KundInnen benutzen den Dienst zum Geldverschicken, aber inzwischen hat auch nahezu ein Fünftel ein Bankkonto eröffnet, auf das per Handy eingezahlt werden kann.
EKO plant jetzt, in allen großen Städten Indiens virtuelle Banken zu eröffnen, und denkt darüber nach, das Netzwerk auf ländliche Gegenden auszuweiten, damit die Empfänger der Überweisungen das Geld in Dorfläden abholen können. Zusätzlich sollen auch andere Produkte angeboten werden, wie zum Beispiel Versicherungen, an die arme Leute bislang nicht ohne Weiteres herankommen. Ihr Erfolg hat die Sharma-Brüder zu Vorbildern für soziale Innovation gemacht. Vor ein paar Jahren hat Bill Gates sie in ihrem Büro besucht.
Aus dem Englischen von Heike Brandt
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