Mitglieder wollen Abspaltung: Freiheit für Berlins Piraten
Die Mitglieder des Berliner Landesverbands wollen eine Trennung von der Bundespartei prüfen lassen. Hintergrund ist ein andauernder Richtungsstreit.
BERLIN taz | Die Piratenpartei droht zu zerfallen: Viele in Berlin aktive Mitglieder wollen mit der Bundespartei nichts mehr zu tun haben. „Abspaltung? Ja“, twitterte der Landesvorsitzende Christopher Lauer. Miriam Seyffarth, die zur Bundestagswahl auf Platz zwei der Landesliste kandidierte, findet: „Eine Abspaltung des Landesverbandes Berlin wäre für mich die beste und sinnvollste Option.“ Bei einer am Montag gestarteten Initiative über das Online-Abstimmungstool "Liquid Feedback" wurden bisher 64 Stimmen für eine Abstimmung über die Prüfung einer Trennung abgegeben, 31 Stimmen dagegen.
Hintergrund ist der Rechtsruck auf dem Bundesparteitag vor zwei Wochen. Nach monatelangem Richtungsstreit wurden in den Bundesvorstand ausschließlich Mitglieder des konservativen Flügels gewählt, die sich auf die ursprünglichen Kernthemen der Piraten fokussieren wollen: Datenschutz und Transparenz, Reform des Urheberrechts, mehr Mitbestimmung der Bürger.
Der Berliner Landesverband gehört dagegen dem linken Parteiflügel an, der sich auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen einsetzt, der Drogen legalisieren will und gegen Neonazis, Rassismus und Sexismus kämpft. Hinzu kommen habituelle Unterschiede: Viele Berliner Parteimitglieder entsprechen dem Typ Antifa-Aktivist, durchgesetzt bei den Wahlen zum Bundesvorstand hat sich der Typ Netzwerk-Administrator.
„Wahlen verkackt“
Landeschef Lauer hatte auf dem Parteitag deutlich gemacht, was er von der anderen Seite hält. „Ich finde es furchtbar, dass wir hier in dieser Partei nach einer verkackten Bundestagswahl und nach einer verkackten Europawahl nicht in der Lage waren, auch nur mal eine Stunde eine Aussprache darüber zu halten, was dort passiert ist“, sagte er und stieß auf lautstarke Ablehnung. Lauer: „Dass ihr jetzt hier so schreit und es nicht ertragen könnt, dass ich die Courage habe, hier mal die Wahrheit anzusprechen, das zeigt doch, was für eine apolitische Veranstaltung das hier ist und wes Geistes Kind ihr seid! So was traut sich noch nicht mal die AfD!“ Daraufhin wurde ihm das Mikrofon abgestellt.
Durch die Abstimmung im Netz erhält der Landesvorstand nun den Auftrag zur Prüfung, „welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine möglichst reibungslose Herauslösung des Landesverbandes aus der Piratenpartei Deutschland im laufenden Betrieb zu gewährleisten“. Der Landesvorstand soll nun unter anderem herausfinden, ob man die Kasse des Landesverbandes und die staatliche Parteienfinanzierung bei einer Abspaltung mitnehmen kann, ob Satzungsänderungen notwendig wären und welche Fristen einzuhalten sind. Wie lange die Prüfung dauert, ist noch unklar.
„Abspaltung aus Notwehr“ nennt das Lauer. Der Fraktionsmitarbeiter Benedict Ugarte Chacón schreibt auf Twitter, durch die Trennung könne man „den konservativen Ballast abwerfen – fortschrittliche Politik machen.“ Fraktionsgeschäftsführerin Katja Dathe schreibt, sie sei „angewidert“ von der Bundespartei. Die Bezirksverordnete aus Friedrichshain-Kreuzberg Jessica Miriam Zinn meint: „Dann werden die restlichen Piraten mal merken, dass ein Großteil der Inhalte aus Berlin kam und wie viele Leute dann fehlen.“
Spaltpilz Bomber Harris
Der Richtungsstreit hatte sich im Februar an einer Aktion der Neuköllner Bezirksverordneten Anne Helm entzündet. Am 13. Februar hatte sie in Dresden im Stil von Femen dem Oberbefehlshaber der britischen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, Arthur Harris, für die Zerstörung der Stadt gedankt. „Thanks Bomber Harris“ war auf ihrem nacktem Oberkörper zu lesen.
Der rechte Flügel der Piraten sah in der Aktion eine Rechtfertigung von Krieg und Gewalt. Der linke Flügel sah darin eine Aktion gegen Neonazis und Geschichtsrevisionismus. Der Ton in der Debatte wurde selbst für Piratenverhältnisse schnell ungewöhnlich scharf. Die Technik-Administratoren traten in einen „Orgastreik“ und legten Mailinglisten und Webseiten lahm. Der NRW-Landtagsabgeordnete Robert Stein trat aus der Partei aus. Drei Mitglieder des Bundesvorstands traten von ihren Ämtern zurück, wodurch der übrig gebliebene Vorstand gemäß Satzung handlungsunfähig wurde und ein kommissarischer Bundesvorstand berufen wurde.
Der Richtungsstreit wurde erst Ende Juni auf dem Bundesparteitag entschieden. Dem Bundesverband der Piraten fehlt nach wie vor ein Instrument, um auch zwischen den Parteitagen verbindliche Entscheidungen zu treffen. Zwar hatte ein Parteitag im Mai 2013 den „Basisentscheid Online“ beschlossen, aber bisher ist die Software dafür noch nicht fertig programmiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei