piwik no script img

Mit der Finanzkrise auf Du und DuStädte und Landkreise hängen am Tropf

■ Bezirksregierung muß Kommunen in Weser-Ems-Region über Wasser halten

Der Vogel kreist nicht mehr, er greift an. Der Pleitegeier hat zum Sturzflug auf die Kommunen im Regierungsbezirk Weser-Ems angesetzt. Rund 600 Millionen Mark fehlten den Städten und Gemeinden zwischen Nordenham, Delmenhorst und Vechta im vergangenen Jahr zum Haushaltsausgleich - in diesem Jahr rechnet die Landesbehörde mit einem Anstieg des Solls auf rund eine Milliarde Mark. 1995 lag das „Minus“ noch bei 240 Millionen.

Bezirksregierung übernimmt Haushaltsführung

„Deutliche Worte" will Weser-Ems-Regierungspräsident Bernd Theilen daher gegenüber den Verwaltungen finden: Im Klartext droht Kommunen wie Wilhelmshaven oder Baltrum damit die „vorläufige Haushaltsführung" durch die Bezirksregierung - der Sparkommissar aus Oldenburg steht schon mit dem Rotstift bereit.

Dabei ist der Krise allein mit Einsparungen nicht mehr beizukommen. 27 Kommunen in den Landkreisen Aurich, Cloppenburg, Emsland, Friesland, Bent-heim, Osnabrück, Leer und Wesermarsch haben bereits den Notstand ausgerufen und sich im vergangenen Jahr von der Bezirksregierung mit sogenannten „Bedarfszuweisungen" über Wasser halten lassen. Die Bedarfzuweisungen, ehemals Instrument zum Finanzausgleich bei großen Investitionen wie dem Schul- und Kindergartenbau, wurden damit zum ersten Mal ausschließlich zur Deckung von Haushaltsdefiziten genutzt.

Wilhelmshaven ist das Sorgenkind

Allein die Stadt Wilhelmshaven, seit eh und je „Sorgenkind" im Regierungsbezirk Weser-Ems, erhielt wegen einer "außergewöhnlichen Haushaltslage" sechs Millionen Mark. In die Stadt Emden, die unter den Massenentlassungen des VW-Konzerns litt, flossen vier Millionen, der strukturschwache Landkreis Wesermarsch hängt mit 3,8 Millionen Mark am Tropf der Bezirksregierung.

Zweifel an der Kreditwürdigkeit

Und auch das ist ein Novum: Bedarfszuweisungen kamen bislang nur den Kommunen zugute, da die Landkreise Haushaltsdefizite in der Regel durch eine Erhöhung der Kreisumlage ausgleichen können. Doch das ist in der Wesermarsch nicht mehr möglich: Dort hat's sich der Pleitegeier bereits in den Rathäusern bequem gemacht. Höhere Zahlungen an den Landkreis würden die Kommunen in den totalen Ruin treiben. Noch spielen die Banken mit - aber, so Theilen: "Zweifel an der Kreditwürdigkeit der Städte und Gemeinden ist vorhanden."

Der Bund halst Kommunen immer neue Kosten auf

Indes weiß die Landesbehörde, daß die Finanzkrise der Kommunen nur zum Teil hausgemacht und der Pleitegeier eine Bonner Züchtung ist. Der Bund drückt den Städten und Gemeinden immer neue Finanzaufgaben zum Beispiel im Sozialbereich auf: Allein zwischen 1994 und 1995 stiegen die kommunalen Ausgaben für die „soziale Sicherung" im Regierungsbezirk Weser-Ems um 6,5 Prozent..

Außerdem: Die deutsche Einheit wird auch in Ovelgönne und Barel mitfinanziert, Massenarbeitslosigkeit und Konjunkturschwäche reißen weitere Löcher in die Gemeindesäckel. Für Regierungspräsident Theilen kommen daher „Radikallösungen" nicht in Frage: „Über Jahrzehnte gewachsene Strukturen der kulturellen und sozialen Grundausstattung dürfen nicht Hals über Kopf zerstört werden", sagt Bernd Theilen. Jens Breder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen