: Mit den Genossen an Oder und Neiße
Täglich versuchen Menschen, die Ostgrenze zu Polen zu überwinden. Eine PDS-Delegation wollte vor Ort wissen, wie die Parteibasis darüber denkt. Viele sind für die Abschottung ■ Aus Frankfurt (Oder) Marina Mai
Das Thema, zu dem die PDS- Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke und Abgeordnete dreier ostdeutscher Landtage zur Diskussion luden, war unangenehm: Mit der eigenen Parteibasis wollten sie über das Zusammenleben im Grenzland zu Polen, über Ausländerpolitik und die Ursachen von Flucht diskutieren. Gut ein Dutzend der knapp 1.000 Genossen in Frankfurt (Oder) folgten der Einladung. Die Frankfurter PDSler, die beim Bundesgrenzschutz „in zum Teil erheblichen Positionen arbeiten“, blieben der Einladung fern. Einen Tag später kamen in Guben ganze acht Diskutierer. „Wenn sich Gregor Gysi angesagt hätte“, war der Frankfurter Axel Henschke sicher, „wären die Räume voll gewesen.“
Auf einer fünftägigen Reise ins Grenzland wollten die PDS-Abgeordneten das Grenzland beiderseits von Oder und Neiße in Augenschein nehmen. 6.500 BGS-Beamte und weitere 1.500 Helfer bewachen die deutsche Ostgrenze vor Grenzgängern. In Bonn wird über Personalaufstockung, den Einsatz von 650 Hunden und die Anschaffung weiterer Wärmebildkameras geredet. Ein „Bürgertelefon“ und „Bürgerwehren“ geben den Bewohnern der Grenzorte Gelegenheit, Flüchtlinge beim BGS zu denunzieren. Fast täglich, so Eckhard Wache vom BGS Frankfurt, riefen Bürger dort an.
„Unsere Erfahrung ist“, so die sächsische Landtagsabgeordnete Ingrid Mattern, „daß die PDS im grenznahen Raum zwar nicht in den Bürgerwehren gegen Flüchtlinge mitmacht, denen aber recht hilflos und zum Teil desinteressiert gegenübersteht.“ Die Genossen wüßten zu wenig über Fluchtursachen und die Situation von Flüchtlingen. „Aber wenn man zwei Stunden mit ihnen diskutiert, weichen die Vorurteile oft auf.“
Ulla Jelpke sähe das Geld für die Grenzsicherung besser in grenzüberschreitenden Wirtschaftsprojekten der Region angebracht. Offene Grenzen für Menschen in Not ist eine Forderung aus dem PDS-Parteiprogramm. Jelpke gibt zu, daß das eine Vision ist. Aber dennoch, bessere Chancen für Flüchtlinge, dazu stehe sie.
Die Genossen im Grenzland haben andere Sorgen. „Aus Gründen, die aus lokaler Sicht einen Sinn machen“, so die Berliner Abgeordnete Karin Hopfmann, „sprachen sie sich in Mecklenburg- Vorpommern gegen zusätzliche Grenzübergänge aus.“ Der aus Frankfurt stammende Bundesschatzmeister Uwe Hobler bezeichnete die deutsch-polnische Grenze als „eine ganz normale Grenze, die wir zur Kenntnis nehmen müssen“. Die Bürger hätten ein „natürliches Sicherheitsbedürfnis vor Kriminalität“. Flüchtlinge seien für ihn, ähnlich wie für Bundesinnenminister Kanther (CDU), „in der Mehrheit Menschen, die aus materiellen Gründen hier auf ein besseres Leben hoffen“. Und eine Gubener Genossin war sicher, daß „wir nicht die Probleme der Welt lösen können. Wir haben hier 22 Prozent Arbeitslose.“
Christian Gehlsen, als Theologe der Kanarienvogel in der Brandenburger PDS- Fraktion, fordert von seiner Partei, die Widersprüche endlich einmal auszudiskutieren. „Die Interessen von Flüchtlingen, die aus materieller Not hierherkommen, sind gegen die Interessen der relativ Wohlhabenden nach Besitzstandswahrung abzuwägen. Beiden kann man es nicht recht machen. In der Kirche sagen wir, hier muß man eine Option setzen – für die Flüchtlinge.“ Wenn die PDS über Flüchtlinge diskutiert, schwingt stets die Parteigeschichte mit. Der Frankfurter Axel Henschke ist sicher, „mit dem Repertoire an DDR- Propaganda wäre ich ein guter Politoffizier beim Bundesgrenzschutz geworden“.
Er hätte erklären können, daß Fluchthelfer Kriminelle sind, daß Flüchtlinge nicht ihre Heimat hätten verlassen müssen. Und auch die 56 Menschen, die seit der faktischen Abschaffung des Asylrechtes bei der Flucht über Oder und Neiße ihr Leben ließen, könnte man mit DDR-Propaganda schnell wegbügeln. Schließlich hätten die Menschen ja von der Grenzbewachung wissen müssen und gingen bewußt ein Risiko sein. Selbst für die wenigen PDSler, die sich der Flüchtlingsdiskussion stellen, sei das oft ein Tabu. Der 24jährige Parteireformer Matthias Gärtner aus Sachsen-Anhalt folgerte: „Wer die unmenschliche Flüchtlingspolitik von Kanther kritisiert, kann über Flüchtlingspolitik und Grenzregime der DDR nicht schweigen.“
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