: Mit Türkisch zum guten Deutsch
Schulexperten fordern Umdenken beim Umgang mit Migrantenkindern. Ein Vorschlag: reine Ausländerklassen
Das deutsche Schulsystem hat bei der Integration von Migrantenkindern versagt. Diese Erkennis hat die Schülervergleichsstudie Pisa gerade dramatisch belegt. Berliner Experten forden daher einen „Paradigmenwechsel beim Umgang von Kindern mit Migrationshintergrund“, wie Jörg Ramsauer, Erziehungswissenschaftler an der Freien Universität, es nennt. Auch der Ex-GEW-Chef Erhard Laube sprach sich am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung der Grünen für ein „Umdenken“ aus. Laube leitet heute die Spreewald-Grundschule im nördlichen Schöneberg.
Ramsauer fordert zweisprachigen Unterricht für alle nichtdeutschen Kinder, die mit mangelhaften Deutschkenntnissen eingeschult werden. Wenn für entsprechende Klassen keine oder nicht genügend deutsche Kinder zu finden seien, dann müsse es für eine gewisse Zeit eben reine Ausländerklassen geben – zumindest in den Hauptmigrantensprachen. Konkret heißt das: Alle Kinder, deren Muttersprache Türkisch – oder eben Arabisch, Serbokroatisch oder Polnisch – ist, würden in eine Klasse gehen. Dort würden sie von zwei Lehrern, einem deutschen und einem nichtdeutschen Muttersprachler, in beiden Sprachen alphabetisiert.
„Die Schulen gehen vom falschen Grundsatz aus“, sagte Ramsauer. „Unsinn“ sei es, Kindern, die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen, auf Deutsch Lesen und Schreiben beizubringen. „Sie müssen zuerst in ihrer Muttersprache alphabetisiert werden, sonst wird das nichts.“ Das sei wissenschaftlich eindeutig belegt.
An Laubes Spreewald-Grundschule sind 82 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache. Ein Drittel der deutschen Eltern, für die Spreewald-Grundschule eigentlich zuständig ist, melden ihre Kinder an anderen Schulen an. „Die wollen ihre Kinder nicht auf eine Ausländerschule geben.“ Weil eine Mischung der Schülerschaft aber dringend notwendig sei, fordert Laube strukturelle Veränderungen. Einer davon: die Gründung von Schulverbünden. Wenn seine Grundschule, so Laube, mit zwei benachbarten Schulen Schüler austausche, dann sei für alle drei eine akzeptable Mischung erreicht. Denn die beiden benachbarten Schulen haben einen Ausländeranteil von 30 bzw. 20 Prozent. Für einen solchen Austausch müsse ein Anreizsystem geschaffen werden. Außerdem, so Laube weiter, müsse man über die teilweise Aufhebung der Schuleinzugsgebiete nachdenken.
Unbestritten blieben diese Vorschläge nicht. Besonders Ramsauers Vorstoß für reine Ausländerklassen stieß auf Kritik. „Einer multikulturellen Gesellschaft nicht angemessen“, hieß es im Publikum und: „Ausländerregelklassen haben wir doch schon gehabt.“ Gleichzeitig aber war allen klar: Im Umgang mit Migrantenkindern sind in der Schule dringend neue Wege gefragt. SABINE AM ORDE
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