Mit Toiletten(papier) die Welt retten: Gold das Klo runterspülen
Die Nachfrage nach Toilettenpapier zieht schon wieder an. Ein gute Gelegenheit, mit den Rollen Botschaften zu übermitteln. Etwa: „Klos für alle“.
„Die Idee in Kiel war super, die wollen wir neu beleben“, sagt er. Studiert hat Schremmer in Kiel; wenn er für Goldeimer unterwegs ist, stellt er sich als „Chief Shit Advisor“ vor. Die Firma stellt Komposttoiletten auf Festivals bereit und verkauft soziales Recyclingklopapier. Das heißt: Ein Teil der Gewinne fließt in Aufklärungsarbeit an Schulen, Seminar und die Unterstützung von Sanitärprojekten von Viva con Agua und der Welthungerhilfe weltweit. Der Jahresumsatz 2019 des gesamten Unternehmens betrug nach eigenen Angaben rund 1 Million Euro, 9 Leute teilen sich 7,4 Stellen, hinzu kommen etliche ehrenamtliche Mitarbeitende.
Im laufenden Jahr könnte Goldeimer noch mehr Toilettenpapier verkauft haben: Der Hamsterei zu Beginn der Pandemie, als die Regale bei den Discountern leer waren, folgt angesichts drohender erneuter Einschränkungen wegen Corona aktuell wieder eine erhöhte Nachfrage nach dem Hygieneartikel, berichtet die Wirtschaftswoche.
Laut Schremmer steht das Geld aber nicht im Vordergrund. Goldeimer will so viel wie möglich aufrütteln. Deshalb tragen die Klopapier-Verpackungen und -Rollen tragen Slogans wie „Nur hinsetzen und Abwietschen? Von wegen“ oder „Alle für Klos! Klos für Alle!“.
Soziales Toilettenpapier mit Öko-Siegel
Das Goldeimer-Team wolle darauf aufmerksam machen, dass sanitäre Anlagen kein weltweiter Standard sind, dass viele Menschen vor allem im globalen Süden ganz ohne Toilette auskommen müssen und ihre Notdurft im Freien verrichten, dass es Probleme mit der Trennung von Abwässern und Trinkwasser gibt. Mit der Folge, dass vor allem Kinder Durchfälle bekommen, krank werden, nicht zur Schule gehen können oder gar sterben. „Da braucht es mehr Aufmerksamkeit und Sensibilisierung, damit sich was ändert“, so Schremmer. „Erst wenn die Leute nicht mehr die Nase rümpfen, kann man die eigentlichen Probleme lösen.“ Tatsächlich sei „unser Stuhlgang das wertvollste, was wir haben“, sagt er pathetisch. Er werde viel zu wenig genutzt.
Das Goldeimer-Papier, das auf die Wasser- und Sanitätskrise aufmerksam machen soll, sei selbstverständlich aus Recyclingpapier, so Schremmer. Wie etwa 20 Prozent des Klopapiers in Deutschland trägt es das Umweltzeichen Blauer Engel. Neben diesem bekannten Siegel gibt es zwar auch noch das Forest Stewarship Council-Siegel (FSC) für nachhaltige Waldwirtschaft und auch ein FSC-Recycling-Siegel. Doch deren Umweltstandards seien geringer und während der Coronakrise zusätzlich gesenkt worden, schreibt die Umweltorganisation Robin Wood: Demnach dürften Produkte, die laut Label zu 100 Prozent aus recycelten Fasern bestehen müssen, vorübergehend bis knapp zur Hälfte Primärfasern aus Bäumen enthalten.
Das ist keine Erbsenzählerei. Denn die Papierherstellung ist nicht ohne. Sie benötige zusätzlich zu Holz „viel Wasser, Energie und Chemikalien“, sagt Almut Reichart vom Umweltbundesamt (UBA). Für ein Kilogramm neues Klopapier, werden 50 Liter Wasser und fünf Kilowattstunden Energie gebraucht, bei Recyclingpapier ist es halb so viel Energie, kein frisches Holz und 70 Prozent weniger Wasser. Toilettenpapier kann aber aus hygienischen Gründen selbst nicht recycelt werden. Deshalb empfiehlt das UBA, Hygienepapiere aus mehrfach recycelten Sekundärfasern mittlerer und unterer Altpapierqualitäten zu verwenden. Das Toilettenpapier, das Goldeimer verkauft, wird übrigens von der Firma Wega hergestellt.
Hauptgeschäft Kompostklos
Von Goldeimer selbst stammen die rund 80 Kompostklos, mit denen das Unternehmens über Festivals touren kann, wenn nicht gerade coronabedingte Einschränkungen herrschen. Solche dezentralen, trockenen Systeme brauche es auch gerade in Ländern, wo Wasser knapp ist und Spültoiletten nicht in Frage kommen, erklärt Schremmer.
Er ist überzeugt, dass die Kompostierung von Kot auch helfen könne, die Pariser Klimaziele einzuhalten: „Humus bindet sehr viel Kohlenstoff.“ Kompostiere man den Stuhlgang eines Menschen, ergebe das im Jahr etwa 60 Kilogramm Humus. Dieser darf in Deutschland allerdings nicht verkauft werden – Humus aus menschlichem Kot taucht nicht in der Positiv-Liste der Stoffe auf, die die Düngemittelverordnung zum Düngen freigibt. Ein Ziel von Goldeimer ist es, das zu ändern. Der erste Schritt dazu ist es, möglichst valide Daten über diesen Humus zu sammeln. Man wolle beweisen, dass „ohne Wasser gesammelte menschliche Fäkalien, durch entsprechende Kompostierung oder auch andere Verfahren, wunderbar hygienisiert werden“ können, heißt es auf der Webseite. Gemeinsam mit anderen Firmen der Branche führt Goldeimer deshalb auf Basis von Sondergenehmigungen wissenschaftlich begleitete Kompostierversuche durch.
Bis menschliche Fäkalien die Äcker düngen, dürfte es aber „noch lange dauern“, so Schremmer.
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