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Mit Merengue und Samba „aus dem Quark kommen“

■ „Radio MultiKulti“ feiert heute seinen zweiten Geburtstag

„Am Anfang mußte man hier durch den Schlamm waten“, erzählt Jürgen Wiebicke und blickt vom Haus der Kulturen der Welt hinüber zu den grünen Bau-Containern, in denen er seit zwei Jahren die Morgensendung von Radio MultiKulti macht. Mittlerweile ist der Weg zwischen dem Haus der Kulturen der Welt und den Containern gepflastert. Der Standpunkt für das zunächst auf drei Jahre befristete Radio-Modellprojekt sei bewußt gewählt worden, um möglichst „nah am multikulturellen Leben dran zu sein“, wie Programmchef Friedrich Voß erzählt.

Vom Nachbarn profitiert der Sender in vielfacher Weise. Konzerte werden mitgeschnitten, Gäste im Haus der Kulturen werden kurzerhand in die Container zum Interview gebeten, und wenn ein fest eingeplanter Studiogast nicht auftaucht, kann es schon mal passieren, daß der kurdische Kellner aus dem HKW-Café vors Mikro gezerrt wird.

MultiKulti macht Radio nicht nur – aber vor allem – für die über 400.000 hier lebenden Ausländer. Der Sender soll zur Integration beitragen und helfen, die kulturelle Identität der Immigranten zu wahren. Für dieses Konzept hat MultiKulti mehrere Ehrungen eingeheimst und wird international als Vorbild gelobt. Ein MultiKulti nachempfundener Sender soll in Stockholm auf Sendung gehen.

Neben Deutsch sind fast 20 Sprachen im MultiKulti-Programm: von Türkisch und Kurdisch, Arabisch und Persisch über Polnisch bis Vietnamesisch. Der Tag aber beginnt um sechs Uhr mit dem deutschsprachigen Morgenmagazin „Frühstück“. An manchen Tagen wird es mit griechischem, an anderen mit bosnischem Akzent moderiert. Beiträge ausländischer Journalisten haben einen festen Platz in der Sendung. Musikalisch wird den Hörern geholfen, mit Samba, Merengue, nordafrikanischem Rai-Pop, „aus dem Quark zu kommen“, so Frühstücksredakteur Jürgen Wiebicke. Weltmusik, das sind bei MultiKulti nicht Buschtrommeln und lombardische Folklore. Die Musikredaktion versucht, Titel zu bringen, die auch in den Ursprungsländern gehört werden. Das kann dann auch mal Adriano Celentano sein – oder der alte Abba-Schlager „Money Money“ als Coverversion in Hindi. Auch wenn MultiKulti „kein Radio für eine türkische Subkultur“ ist, so brauche der Hörer doch ein „einigermaßen tolerantes Ohr“, räumt Jürgen Wiebicke ein.

Nachmittags sind Fremdsprachenprogramme für die verschiedenen communities der Stadt angesagt. Dreimal die Woche sitzt zum Beispiel Haroun Sweis vor dem Mikro und berichtet über das Weltgeschehen, deutsche Innenpolitik und Lokalthemen. Der in Jordanien aufgewachsene Berliner macht im Hauptberuf Streetwork rund um den Hermannplatz, vor dem Start von MultiKulti hat er nebenher auch schon für Radio 100 und Energy gearbeit. Die starke Resonanz auf seine Sendungen freut ihn. Manche Hörer besuchen Sweis auch beim Sender. So wie der Libyer, der Anfang der Woche vorbeischaute und sich dann kurzerhand ans Studiotelefon setzte, um die Anrufe entgegenzunehmen, als Sweis zwei Freikarten für die Geburtstagsfeier von MultiKulti verlost. Viele Hörer fordern mehr. Die 20 Minuten seien „eine appetitliche Mischung aus verschiedenen Früchten, die aber nicht ausreicht, um satt zu werden“, schrieb ein Hörer.

Daß MultiKulti von den jeweiligen Zielgruppen auch gehört wird, muß der Sender mit eigenen Untersuchungen belegen. Bei den klassischen Quoten-Erfassern bleiben Ausländer nämlich unberücksichtigt. Unter den Deutschen hat der Sender mittlerweile 130.000 Zuhörer gewonnen. Mit der Bekanntheit unter türkischen Berlinern – deren Hörgewohnheiten MultiKulti untersuchen ließ – hapert es noch. Nur 12 Prozent von ihnen kennen den Sender, nur 4 Prozent hören ihn täglich. Das liegt auch daran, daß der extrem schwache Sender ausgerechnet in Bezirken wie Kreuzberg und Wedding nur schlecht oder gar nicht zu empfangen ist. Fast die Hälfte der 430.000 nichtdeutschen Berliner wohnt dort. Versuche des Senders, eine stärkere Frequenz zu bekommen, waren bisher vergeblich.

Auch einen weiteren Ausbau des Programms erlaubt die schlechte finanzielle und personelle Ausstattung der vierten SFB- Welle nicht. Anderen Sendern stünden im Verhältnis zum Wortanteil von MultiKulti viermal so viele Mitarbeiter zur Verfügung. Programmchef Friedrich Voß ist zumindest optimistisch, daß der zur Hälfte von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg und dem Bundesarbeitsministerium finanzierte Sender bestehen bleibt und der dritte Geburtstag im nächsten Jahr nicht der letzte sein wird. Auch SFB-Intendant Günther von Lojewski meint, der SFB „wäre schlecht beraten, ein Programm erst unter Anstrengungen ins Leben zu bringen und es dann sterben zu lassen“. Aber von einem Ausbau des Senders, einer besseren Ausstattung will er nichts wissen. Er meint, „die Mittel sind ausreichend“. Der arabische MultiKulti- Fan wird wohl auch in Zukunft nicht ganz satt werden. Christian Meseth

Geburtstagsfete heute ab 20 Uhr im Haus der Kulturen der Welt.

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