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Misshandlungen in Augsburger GefängnisSchon länger Indizien für Folter

Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hatte wohl früh Hinweise zur JVA Augsburg-Gablingen. Dort sollen Gefangene schwer misshandelt worden sein.

Mitarbeitern der JVA Augsburg-Gablingen wird die Misshandlung von Häftlingen vorgeworfen Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

Berlin taz | Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hatte mutmaßlich schon im Sommer Hinweise auf Folter im Gefängnis in Augsburg-Gablingen. Im August besuchten Mitglieder des unabhängigen Gremiums die Justizvollzugsanstalt, obwohl sie erst Ende 2022 dort gewesen waren. Zwei Besuche innerhalb von zwei Jahren – das ist ungewöhnlich.

Die Nationale Stelle beschäftigt sich mit der menschenwürdigen Behandlung und Unterbringung in rund 1.300 staatlichen Einrichtungen. Ihr Fokus liegt auf Justizvollzugsanstalten. Dafür hat sie zehn ehrenamtliche Mitglieder, die nicht mehr als 60 Besuche im Jahr bewältigen.

Auskunft über den Besuch im August in der JVA Augsburg-Gablingen möchte die Nationale Stelle nicht geben. Der Bericht werde zeitnah fertiggestellt, sagte ein Mitarbeiter der Geschäftsstelle der taz. Danach hat das Justizministerium in Bayern als Aufsichtsbehörde zwei Monate Zeit, um Stellung zum Bericht zu nehmen. Erst dann wird das Papier inklusive Stellungnahme des Ministeriums veröffentlicht – etwa Mitte Februar also. So ist das reguläre Prozedere.

Ende Oktober hatten Medien berichtet, dass Gefangene in Gablingen in sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“ (bgH) nackt auf dem Fußboden schlafen mussten. Als Klo diente ein Loch im Boden. Der Raum – inklusive Toilettenloch – war unter ständiger Kameraüberwachung. Seitdem kamen immer mehr Details an die Öffentlichkeit. Ehemalige Insassen der JVA Gablingen berichteten der taz unter anderem von Schlägertrupps, die Gefangene vor der Unterbringung in den besonders gesicherten Hafträumen zusammengeschlagen hätten.

Missstände auch in anderen Gefängnissen

Nach den Medienberichten wurde die Leiterin der JVA freigestellt. Am Freitag wurde bekannt, dass gegen sie nun „wegen des Tatvorwurfs der Körperverletzung im Amt“ ermittelt wird. Die Zahl der Beschuldigten liegt inzwischen bei 17, teilte die Staatsanwaltschaft Augsburg mit.

Gefangene kommen in solche Krisenräume, wenn sie etwa als akut suizidgefährdet gelten oder gewalttätig sind. Nach einer Recherche von Frag den Staat und Deutschlandfunk Kultur kamen Gefangene im vergangenen Jahr in ganz Deutschland mindestens 7.275 Mal in besonders gesicherte Hafträume. Die jeweilige Dauer geht aus den Zahlen nicht hervor.

Eigentlich sollen die Gefangenen ein paar Stunden, höchstens ein bis zwei Tage isoliert werden. Doch in ihrem Jahresbericht 2023 schreibt die Nationale Stelle zur Prävention von Folter, sie habe solche sogenannten Absonderungen von mehreren Wochen bis Monaten festgestellt. „Derart lange Absonderungen ohne verstärkte Bemühungen, diese zu vermeiden, sind menschenrechtlich nicht vertretbar“, heißt es im Bericht. Die Vereinten Nationen sprechen in ihren Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen bei einer Einzelhaft von mehr als 15 aufeinanderfolgenden Tagen von Folter.

Dass die Räume karg eingerichtet sind, soll dem Schutz der Gefangenen dienen. So darf es keine Möbel mit scharfen Kanten geben. Daher gibt es meist lediglich eine Matratze am Boden und Papierkleidung. „Eine Matratze muss mindestens vorhanden sein“, sagt Pascal Décarpes der taz, Mitarbeiter der Nationalen Stelle. Auch Kissen und Decke müssen sein. Außerdem ein Sitzmöbel, zum Beispiel aus Schaumstoff, auf jeden Fall in üblicher Sitzhöhe. „Wir heben positiv hervor, wenn es darüber hinaus andere Möbel gibt: einen Schreibtisch, ein Bett“, sagt Décarpes. Beides ohne scharfe Kanten, beispielsweise aus Hartplastik und im Boden verankert.

Streit um Verpixelung der Kameraaufnahmen

Das bekommen die Mitglieder der Nationalen Stelle vor Ort allerdings eher selten zu sehen. Meist gibt es immerhin eine Matratze, selten ein Sitzmöbel – mehr fast nie. Im Jahresbericht 2023 schreiben sie, dass die Gefangenen in den besonders gesicherten Hafträumen in mehreren JVAen nicht einmal Kissen und Decke hatten. Als Toilette dient in der Regel ein Loch im Boden. Besonders gesicherte Hafträume sind in der Regel kameraüberwacht. Vor allem in Nordrhein-Westfalen wird der Toilettenbereich noch immer nicht verpixelt. Das Justizministerium begründete das gegenüber der Nationalen Stelle mit Sicherheitsaspekten. Da die meisten anderen Bundesländer indes keine Sicherheitsprobleme sehen und verpixeln, sei die Begründung NRWs „nicht nachvollziehbar“, heißt es im Jahresbericht.

„Das ist eine Verletzung des Schamgefühls“, sagt Décarpes. „Und es ist unnötig.“ Die Verpixelung könne ganz punktuell erfolgen. Sollte sich ein Gefangener beim Toilettengang etwas antun, dann könne man das beispielsweise an Armen oder Beinen sehen, die ja weiterhin unverpixelt seien.

Einen großen Unterschied sieht die Nationale Stelle zur Prävention von Folter zwischen Justiz- und Gesundheitsministerien. In den Justizbehörden stehe die Sicherheit im Vordergrund. In den Gesundheitsbehörden würden Sicherheit und Würde der Pa­ti­en­t*in­nen mehr miteinander abgewogen. Die Gesundheitsministerien sind für den sogenannten Maßregelvollzug zuständig. Dort werden psychisch kranke Straftäter untergebracht, die nicht schuldfähig sind, aber von Gerichten als gefährlich eingestuft wurden. Insgesamt kämen Pa­ti­en­t*in­nen im Maßregelvollzug häufiger und vor allem länger in Isolationsräume als Insassen in regulären Haftanstalten, mutmaßlich, weil sie psychisch kränker sind, sagt Décarpes. Doch im Maßregelvollzug seien die Räume auch besser ausgestattet.

Ein leicht positives Fazit zieht Décarpes gegenüber der taz: Die meisten JVAen reagierten auf die Besuchsberichte der Nationalen Stelle, indem sie Praktiken änderten oder Änderungen ankündigten. „Es geht langsam vorwärts.“

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4 Kommentare

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  • Interessanter Bericht. Vermutlich werden nicht nur nicht alle taz-Leser, sondern auch nicht alle Vollzugsbediensteten etwas von dieser "Stelle" wissen. Denn der Stellenwert zeigt sich ja bei der Ausstattung. Eine staatliche Aufgabe mehr, die man auf die Bevölkerung abgewälzt hat. Und dann noch die Begrenzung auf zehn - nicht etwa Jahre, binnen derer statistisch jede Einrichtung einmal aufgesucht werden könnte, obwohl das deren Betriebsabläufe nun wirklich nicht über Gebühr stören würde. So liegen wir bei über zwanzig. Da ist mancher Beamte längst wieder aus dem Justizvollzugsdienst ausgeschieden, bevor die Ehrenamtler der Stelle vorbeischauen können.

    Dabei geht es beileibe nicht nur um Haftanstalten: Weil ddie Aufzählung die 1.200 Zeichen sprengt, bitte hier

    www.nationale-stel...3%A4nderkommission.

    selbst nachlesen, für welche Einrichtungen welcher Teil der Stelle alles zuständig ist.

    • @dtx:

      Nachtrag zur Lektüre des Links mit den Zuständigkeiten oben (Klick auf "Mitglieder").







      Aus dem Artikel könnte man den Eindruck gewinnen, die genannten zehn Ehrenamtler seien allesamt und ausschließlich für Besuche der in der Länderverantwortung stehenden Justizvollzugsanstalten zuständig. Dieser Eindruck wäre falsch.

      Die Länderkommission hat nur acht Mitglieder. Deren Zuständigkeit erstreckt sich auf

      Zitat: "... die zahlreichen Einrichtungen der Länder: Justizvollzugsanstalten, Jugendstraf- und Arrestanstalten, Polizeidienststellen, Psychiatrien, Abschiebungshaftanstalten, gerichtliche Vorführzellen, geschlossene Einrichtungen der Kinder-und Jugendhilfe, Alten- und Pflegeheime."

      Die Bundesstelle hat zwei (!) Mitglieder. Diese sind

      Zitat: "... für alle Einrichtungen des Bundes, d.h. Hafteinrichtungen bei der Bundespolizei, der Bundeswehr und dem Zoll, Transitzonen internationaler Flughäfen sowie die Begleitung von Rückführungsflügen zuständig."

      Besuche alle zwei Jahre wären also nicht nur schlichtweg "ungewöhnlich", sondern müssen schon zwangsläufig besonders krasse Mißstände zum Anlaß haben.

      • @dtx:

        Zweiter Nachtrag:

        Unter "Publikationen" finden sich die Jahresberichte (seit 2009/2010). Und im Jahresbericht für 2023, unter "I. aktuelle Mißstände", einleitend:

        Zitat: "Angesichts der Preis- und Tarifsteigerungen verfügte die Nationale Stelle in der ersten Hälfte des Jahres 2024 nicht über die ausreichenden finanziellen Mittel, um ihr Mandat entsprechend der völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszuüben. Sie musste ihre Besuche zwischenzeitlich aussetzen.

        Erst im Rahmen der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister (5./6. Juni 2024) wurde beschlossen, dass ein zusätzlicher Betrag von 60.000 Euro für das laufende Jahr 2024 zur Verfügung gestellt werden soll, und mit diesem Ziel die Haushaltskommission der Länder und ggf. die Konferenz der Finanzministerinnen und Finanzminister zu bitten, den für die Budgeterhöhung erforderlichen Beschluss herbeizuführen. Nur durch die Bereitstellung dieses zusätzlichen Betrags von 60.000 Euro wird die Nationale Stelle in der Lage sein, ihre Besuchstätigkeit vollumfänglich wiederaufzunehmen."

        • @dtx:

          Danke für Ihre zusätzlichen Informationen. Immerhin ist es erfreulich, dass es solch eine Stelle überhaupt gibt. Es war vor 15 Jahren schwer genug, diese Stelle überhaupt per Gesetz durchzusetzen und einzurichten. Und es ist immer wieder ein Problem, die nötige Finanzierung zu gewährleisten.