Missbrauchsgesetz liegt vor: Meilenstein im Kampf gegen sexualisierten Kindesmissbrauch
15 Jahre nach dem Bekanntwerden der massenhaften Missbrauchsfälle in der Kirche liegt jetzt ein Gesetz vor, das sexuelle Gewalt bekämpfen soll.

M anchmal gibt es so etwas wie kleine Wunder. Da verhärten sich gerade die Fronten in der Migrationsfrage aufs Schärfste, im Bundestag fliegen seit Tagen die Fetzen – und dann passiert ein Gesetz fast unauffällig den Bundestag: das sogenannte UBSKM-Gesetz, dessen sperriger Name sich von der Stelle der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexualisierten Kindesmissbrauchs (UBSKM) ableitet. Am Freitagabend und 15 Jahre nach Bekanntwerden des massenhaften sexualisierten Missbrauchs am Berliner Canisius-Kolleg und anderen kirchlichen Einrichtungen einigten sich die Regierungsparteien mit der Union auf einen größeren Schutz vor Missbrauch und für mehr Rechte von Missbrauchsopfern.
Das ist insofern bemerkenswert, weil das Gesetz infolge von Kriegen, Krisen, Klimadramen nicht nur nicht ganz oben auf der politischen Agenda stand, sondern im parlamentarischen Procedere immer wieder mit Rückschlägen zu kämpfen hatte. Sei es, dass der ursprüngliche Referentenentwurf recht lange mit Missachtung gestraft und der Gesetzentwurf von Ex-Finanzminister Christian Lindner blockiert wurde. Oder dass im vergangenen Frühjahr ein Termin im Bundeskabinett, bei dem das Gesetz beschlossen werden sollte, kurzfristig verschoben wurde.
Dann brach auch noch die Ampel auseinander – und Grüne und SPD, denen das Gesetz besonders am Herzen lag, setzten andere Prioritäten. Auch inhaltlich war lange über den Gesetzesinhalt verhandelt worden, denn manchen gingen die Forderungen der Missbrauchsbeauftragten Kerstin Claus, darunter eine regelmäßige Berichtspflicht der Missbrauchsbeauftragten gegenüber Bundestag, -rat und -regierung, schlicht zu weit.
Das erste weitreichende Gesetz
Das ist jetzt alles vom Tisch und das erste auch international weitreichende Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt an Kindern liegt vor – und darf als Meilenstein im Kampf gegen sexuelle Gewalt bezeichnet werden. Denn jetzt ist der Kampf gegen Missbrauch in Deutschland Regierungspflicht, egal in welcher Konstellation sich die nächste Koalition aufstellt.
So muss sich die nächste Regierung ernsthaft etwas einfallen lassen, um unter anderem die massiv gestiegene sexualisierte Gewalt im Netz einzudämmen und stärkere Präventionsarbeit zu leisten. Sie muss die Aufklärungskooperation zwischen Bund und Ländern stärken und diese auf die europäische Ebene ausweiten. Wie gut Prävention, Aufarbeitung und Aufklärung hierzulande laufen, erfährt die Öffentlichkeit fortan mindestens einmal jährlich, wenn die sogenannte Missbrauchsbeauftragte dem Parlament berichtet – und Forderungen stellt.
Noch immer erleben jeden Tag etwa 50 Kinder und Jugendliche in unserem Land sexualisierte Gewalt von ihren eigenen Eltern, Verwandten oder anderen Menschen, die ihnen nahe stehen, darunter in Sportvereinen, kirchlichen und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen. Deshalb ist es wichtig, dass neben dem Amt der Missbrauchsbeauftragten auch der Betroffenenrat als politisch beratendes Gremium dauerhaft installiert wird.
15 Jahre nach dem Bekanntwerden der massenhaften Missbrauchsfälle in gesellschaftlichen Organisationen ist das Gesetz ein klares Bekenntnis zum Kinderschutz. Und eine eindeutige Verpflichtung.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart