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Missbrauch und sexuelle Revolution„68 hat mich gerettet“

Winfried Ponsens wurde in einem katholischen Internat Opfer sexueller Gewalt. Trotz ihrer Widersprüche befreite ihn die 68er-Bewegung. Ein Protokoll.

Sexuelle Revolution in den 60er Jahren; Szene aus dem Film „Pornorama“. Bild: dpa

Wenn 68 nicht gewesen wäre, würde ich heute wahrscheinlich ein anderer sein. Vielleicht jemand ohne Sexualität, vielleicht mit einer, die nicht gesund zu nennen ist. Jemand, der gebrochen wurde durch Willkür, Gewalt, sexuellen Missbrauch. Aber es gab die 68er Bewegung, sie hat mich gerettet.

Als ich zehn Jahre alt war, kam ich ins Internat Collegium Josephinum in Bonn. Das CoJoBo, wie die private katholische Jungenschule mit Internat bis heute genannt wird, war in den 60er Jahren eine Möglichkeit für Söhne nicht vermögender Eltern, Abitur zu machen. Ich war von 1960 bis 1969 dort. Meine Eltern bezahlten 90 Mark im Monat für allumfassende Bildung, Kost und Logis. Alle glaubten, dieses Geld sei gut investiert in die Zukunft des Jungen, der Priester werden wollte. Das Internat war der Ort meiner Kindheit und meiner Jugend, der Ort meiner Sehnsüchte. Und doch so erbärmlich. Später war es die Hölle.

Der Alltag glich dem einer Kaserne und nicht einem fröhlichen Ort für Kinder. Morgens um 6 Uhr schrillte der Weckruf. Wir schliefen in einem Schlafsaal mit 60 Betten. Wir hatten sofort aufzuspringen und ein Gebet zu halten. Pater S. drangsalierte uns alle. Den einen schrie er an, den anderen packte er beim Kragen, der Nächste bekam, kaum dass er wach war, die erste Ohrfeige. Beim Waschen nebeneinander an der Waschrinne hatten wir zu schweigen. Wer spritzte, wurde bestraft: alleine sitzen beim Essen, alleine beten in der Kapelle.

taz-Dossier

Hat die sexuelle Revolution die Kinder auf dem Gewissen? Oder ist die heutige Aufregung über frühere Pädophiliefreundlichkeit hysterisch? Die taz will das Damals nicht nur aus dem Heute verstehen. Und blickt deshalb mit einem Dossier zurück: Auf Wilhelm Reich, Befreiungsdiskurse und Kommunen-Experimente. Und auf das Erbe der Befreiung. Am Donnerstag im Kiosk, ab Donnerstag auch im eKiosk.

Wenn wir im Haus oder auf dem Gelände einem der Patres begegneten, hatten wir mit leichter Verneigung zu grüßen: „Grüß Gott, Hochwürden.“ Mich hatte vor allem Pater S. spielend unter seine Kontrolle gebracht. Sechs Jahre lang war er mein Präfekt, mein Erzieher. Er war der erste Erwachsene, der seine Versprechen hielt, zum Beispiel von meinen Eltern zu verlangen, regelmäßig Briefe zu schreiben. Ich schaute zu ihm auf, ich liebte und verehrte ihn. Er war aber auch der Erste, der mich demütigte, der Erste, der mir meine Würde nahm.

Griff unter die Decke

Eines Nachts kam Pater S. an mein Bett im Gruppenschlafsaal, griff unter meine Decke und machte mir den ersten Samenerguss. Ich lag stocksteif da, atmete kaum und ließ mich vom rauschenden Gefühl des ersten Orgasmus überwältigen. Er flüsterte mir zu, dass ich jetzt ruhigen Gewissens schlafen könne, am nächsten Morgen solle ich noch mal zu ihm kommen. Er sagte mir dann, wenn er das mache, sei das keine Sünde. Und knöpfte mir gleich noch einmal die Hose auf. Danach tat er es immer und immer wieder. Jeden zweiten Tag musste ich zu ihm. Die anderen Jungs auch, manche weniger oft, andere mehr.

Er rief uns einzeln zu sich. Gespräche, Verhöre. Auch Sexualaufklärung, so nannte er das. Wir mussten vor ihm masturbieren, bis kurz vor dem Orgasmus, dann sollten wir aufhören. Wir sollten trainieren, der Versuchung zu widerstehen. Ein Orgasmus war nur „erlaubt“, wenn er ihn uns verschaffte. Untereinander sprachen wir nie darüber, was der Pater mit uns anstellte.

Darüber habe ich 45 Jahre lang geschwiegen. Heute bin ich 64 und pensioniert. Bis vor kurzem leitete ich eine Schule für verhaltensauffällige Kinder. Die meisten von ihnen kommen aus Familien, in denen Gewalt und Missbrauch an der Tagesordnung sind. Als Lehrer und Opfer wollte ich der Retter dieser Kinder sein. Ich war gefangen im Dramadreieck, meine zerstörte Kindheit und Jugend haben mein gesamtes Leben bestimmt.

Um überleben zu können, musste ich den Missbrauch von mir abspalten. Ich verlegte ihn in den hintersten Winkel meiner Seele. Ich wollte meine Beschädigung verbergen und vor allem verbergen, dass ich ständig damit beschäftigt war, sie zu verbergen. Ich wollte gesund sein, attraktiv und lebensfroh, mindestens wollte ich so erscheinen. Ich wollte Frauen haben und lieben, ich wollte Sex haben dürfen. Ich wollte einfach leben.

Im Internat gab es nur das Frommsein, jeden Tag die heilige Messe, beten, schweigen, studieren. Es gab fast nichts zum Spielen, nichts Kindgerechtes. Die einzigen Momente, in denen ich eine Ahnung davon bekam, dass auch ich wichtig war, das waren die sexuellen Kontakte mit dem Täter.

Ja, ich bekenne mich schuldig: Ich wollte Nähe, ich wollte liebevolle Berührung, ich wollte in den Arm genommen werden. Die Küsse, die wollte ich nicht. Aber irgendwann identifizierte ich mich mit den Übergriffen des Paters – geschah doch alles zu „meinem Heil“. Ich machte mich zum Mittäter, indem ich die Verantwortung dafür in mir suchte und nicht im Erwachsenen.

1968 – als die Freiheit begann

Und dann kam 68. Im letzten Jahr im Internat, 1969, bekam ich von dieser neuen gesellschaftlichen Bewegung der Hippies und Studenten nur Bruchstücke mit. Aber die reichten für meinen radikalen Schritt: Sofort nach dem Abitur trat ich aus der Kirche aus und verweigerte den Kriegsdienst.

Mit dem Zivildienst begann meine Freiheit, zum ersten Mal hatte ich ein eigenes Zimmer. Fortan ließ ich das Leben auf mich regnen. Ich schaute diese aufregenden Filme von Oswalt Kolle, dem Sexaufklärer der Nation. Ich las Bücher über die Befreiung der Sexualität, ich hörte die Musik aus Woodstock und steckte mir Blumen in die Locken. Ich hatte die erste Freundin, ich durfte mich trennen und wieder neu verlieben. Ich lebte den kompletten Gegenentwurf zu dem, was vorher war.

Dieses neue Leben hat mich gerettet, 68 hat mich befreit. Vorher war Sexualität etwas Schmutziges, etwas, das nicht sein durfte. Jetzt war Sexualität etwas Schönes, etwas, das man gestalten durfte. Meine Befreiung aus den Klauen der Kirche und aller sonstigen Autoritäten brauchte einen radikalen Gegenentwurf. Den hat 68 geliefert.

Missbrauchsaufruf unter dem Namen der sexuellen Befreiung

Während meines Lehrerstudiums Anfang der 70er Jahre las ich Texte zur sogenannten befreienden Sexualerziehung. Die Bücher stehen heute noch in meinem Regal. Wenn ich jetzt da reinschaue, erschrecke ich. Die Schriften rufen ungeniert zu sexuellen Übergriffen auf. So „übergriffig“ habe ich damals wohl selber gedacht. Und geredet. Aber ich habe es nicht so empfunden. Im Gegenteil: Ich habe diese aneinandergereihten komplizierten und gestelzten Worthülsen wie „Solidarisierung hebt die Vereinzelung auf und ermöglicht die Produktion erotischer Beziehungen gegen die pädagogischen Verhinderer“ gar nicht richtig verstanden. Ich konnte sie nicht übersetzen ins Leben, schon gar nicht in meins.

Mit sexueller Gewalt habe ich diese Texte nicht in Zusammenhang gebracht, eher mit der Rettung der Menschheit und der Zukunft einer schönen neuen Welt. Mir selbst ist massive sexuelle Gewalt angetan worden, ich war hoch sensibilisiert gegenüber Grenzüberschreitungen, vor allem als Lehrer. Aber ich habe nicht verstanden, dass in diesen Texten zum Sex zwischen Kindern und Erwachsenen aufgerufen wurde. Ich selbst bin nie auf die Idee gekommen, das selber zu tun. Aber ich habe zugelassen, dass Kollegen im Sportunterricht Schüler mit Massagespielen belästigten. Absurd.

Vielleicht war es auch einfach so: Die 68er waren „die Guten“, diejenigen, die die Gesellschaft vom Mief der 50er Jahre und vom Autoritarismus befreien wollten, sie waren die Retter. Da passte Missbrauch schlicht nicht rein, zumindest nicht für mich.

Heute erschreckt mich, dass ich damals das Machtgefälle zwischen Erwachsenen und Kindern nicht durchdacht habe. Heute erscheint mir sogar das juristische Schutzalter für Jugendliche von 14 Jahren als zu niedrig.

Heute kann ich reden über das, was mir damals vor fünfzig Jahren angetan wurde, heute erkenne ich Zusammenhänge. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, weil es nicht nur um mich geht, sondern auch um alle anderen, denen so etwas passiert ist. Damals wie heute – ob im Internat, in der Familie, in der Kommune oder sonst wo.

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33 Kommentare

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  • G
    Gastlich

    68hat mich gerettet? Ob das die von grün-pädophilen Kinder auch sagen?

  • Anton Wagner: Kinder unter 14 Jahren haben durchaus Selbstbestimmungsfähigkeit. Das gibt allerdings keinem Älteren das Recht, Erfahrungsgefälle (oh ja, da ist eines) auszubeuten bzw. gegen die Jüngeren abwertend auszuspielen um dann den Wunsch, mithalten zu können, auszubeuten. Diese Verhaltensweisen sind so altbekannt wie der Vorwand, dass Kinder selbst über das Ausmaß und die Form von Kontakt mit Erwachsenen bestimmen könnten. Aus welchem Grund eigentlich lässt man Kinder nicht mal so über das Geld der Erwachsenen bestimmen, wie angeblich über den Kontakt mit ihnen? Da hört das Selbstbestimmen wohl auf einmal sehr schnell auf...

  • Der zitierte Autor, Johannes Beck lebt noch.

    Auf dem Photo hier http://www.jb2.wellershoff.net/vita.html sieht er jedenfalls gesund und munter genug aus, um erläutern zu können, wie er folgenden Satz gemeint hat:

     

    „Solidarisierung hebt die Vereinzelung auf und ermöglicht die Produktion erotischer Beziehungen gegen die pädagogischen Verhinderer“

     

    Vielleicht mag ihn ja mal jemand danach fragen.

     

    MfG,

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

    • @Angelika Oetken:

      und hier die adresse in Bremen

      Johannes Beck

      Professor für Allgemeine Pädagogik

      Universität Bremen

      Institut für Kulturforschung und Bildung

       

      Sonnenstr. 9

      28203 Bremen

       

      webmail@beck-johannes.de

       

      und nun fragen Sie doch bitte selbst.

    • @Angelika Oetken:

      Sie dürfen ja gern ins berliner telefonbuch gucken.

      für hier ist wichtig: der absatz, in welchem dieser satz steht, lautet:

      ""Notwendig ist vielleicht eine «Negative Didaktik» der politischen Erziehung - Sprach- und Sexualerziehung gehören dazu - die von der

      zweckgerichteten Analyse der konkreten Schulsituation ausgeht. Solidarisierung in Lehrer- und Schüler-organisationen gegen die politische Unterdrückung und Vereinzelung ist die gegenwärtig beste Sexualerziehung. Sie hebt Vereinzelung auf und ermöglicht auch erotische Beziehungen

      im Kampf gegen die pädagogischen Verhinderer. Das geht aber nicht isoliert in der Schule, sondern nur gemeinsam mit der großen Mehrheit der

      Jugendlichen, die als Lehrlinge und Arbeiter in den Betrieben vereinzelt verwaltet werden."

      zu finden seite 177 bei http://beck-johannes.de/wp01/wp-content/uploads/2012/12/Beck_Johannes_Klassenschule.pdf

      und steht am ende der seite 169 beginnenden kritischen durchsicht des damaligen (und ich fürchte auch heutigen) sexualkundeunterrichts.

      Beck will die solidarisierung der verwalteten, schülerinnen wie arbeiterinnen (bitte inklusiv lesen). und kann sich vorstellen, dass die solidarisierung der vereinzelten und zu und in und über einzelteile/n unterrichteten wie verwalteten zu erotischen beziehungen unter den erzogenen wie verwalteten führt. statt wie bisher zu weiterer vereinzelung. sexuelle beziehungen von erwachsenen zu kindern kann da nur entdecken, wer noch die kritik der politischen ökonomie und anderen schweinekram gelesen hat.

      • @christine rölke-sommer:

        der letzte satz sollte lauten

        "sexuelle beziehungen von erwachsenen zu kindern kann da nur entdecken, wer noch nie die kritik der politischen ökonomie und anderen schweinekram gelesen hat.

        • @christine rölke-sommer:

          Mir ging es in meinem Interview nicht um Herrn Beck, sondern allein um die Feststellung, dass wir, die wir von der sexuellen Befreiung 68 profitiert haben (und das habe ich als Missbrauchsopfer in einem kirchlichen Internat)uns auch der Verantwortung stellen, wenn bestimmte Überlegungen aus dieser Zeit dazu beigetragen haben, Grenzen zu verwischen und gar Missbrauch wie an der Odenwaldschule zu legitimieren. So gnadenlos ich mit der katholischen Kirche und ihrem Geist umgehe,was den Missbrauch anbetrifft genauso unerbittlich muss ich sein, wenn es um die Aufklärung der eigenen geistigen Mittäterschaft bezüglich der Verunklarung der Körper- und Ichgrenzen bei Kindern allgemein bis hin zum vielfachen "Sündenfall Odenwaldschule" geht. Wir, ob Pädagogen, Eltern, Grüne oder sonstige Gutmenschen, haben uns zu fragen, ob wir immer richtig gedacht und das Gedachte immer richtig ausgedrückt haben. Missbrauch an Kindern, aber auch schon jede Übergriffigkeit muss tabu sein.

          • @Winfried Ponsens:

            Ihr Anliegen geht aus Ihrem Text sehr gut hervor.

             

            Sie ergänzen mit Ihrer persönlichen Sicht andere Zeitzeugen, die sich anläßlich der gegenwärtigen Debatte öffentlich gemeldet haben, z.B. Herrn Birk

            http://www.taz.de/!128801/

             

            ("Der Widerstand war nicht laut genug")

             

            MfG,

            Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

            • @Angelika Oetken:

              Danke für den Hinweis auf das ausgezeichnete Interview, das ich bisher unverständlicherweise übersehen habe.

          • @Winfried Ponsens:

            vielleicht bin ich ja altmodisch, aber... als beleg für eine "geistige Mittäterschaft" taugt ein aus seinem kontext gerissener satz nicht. da bin ich anwältin des textes und sage: das steht nicht drin. aber es war keine einer nicht gehindert, eine legitimation für eigene übergriffigkeit herauszulesen. wie bei jedem anderen, mehr oder weniger autoritativem oder quatschigen text auch.

            und nun frage ich mich: welcher 'geist' wird hier wirklich gejagt? der patriarchale, der sich schon immer den übergriff auf alles gestattete, was ihm kleiner, jünger, schwächer oder sonstwie anders vorkam? oder der, welcher versuchte, diesem geist mit Marx und Freud paroli zu bieten?

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    "Das Schutzalter mit 14 Jahren erscheint zu niedrig". Na klar, dann kann man noch mehr Leute noch härter bestrafen. Willkommen im Taliban-Deutschland! Daß die meisten schon viel früher Sex haben wird ignoriert.

    • @774 (Profil gelöscht):

      Hier Zahlen dazu, wann junge Menschen das erste Mal Sex haben:

      http://www.bzga.de/presse/pressemitteilungen/jugendsexualitaet-heute/

       

      Man kann daran ablesen, dass die Mehrheit der jungen Menschen sich bewusst ist, dass Sex mehr ist als irgendein harmloses Freizeitvergnügen.

       

      Auch wenn es vielleicht Erwachsene gibt, die sich wünschen überforderte Teenager mittels falscher Versprechungen via soziale Netzwerke (unter mit Narkotika-Nachhilfe) ungestraft sexuell ausbeuten zu dürfen.

       

      MfG,

      Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

      • 7G
        774 (Profil gelöscht)
        @Angelika Oetken:

        Zu den Zahlen kann ich nur sagen, daß sie einschlägigen Vereinen ins Konzept passen. Wie die wahren Verhältnisse sind, weiß jeder, der an seine eigene Jugend, bzw. "Kindheit" denkt.

      • 7G
        774 (Profil gelöscht)
        @Angelika Oetken:

        "Jungen Menschen ist bewußt, daß Sex mehr ist, als ein harmloses Freizeitvergnügen". Seid ihr irren Kinderschützer nicht der Meinung, daß man unter 14 Jahren nicht genug Hirn hat, um über Sex entscheiden zu können?

        • @774 (Profil gelöscht):

          Irre Kinderschützer kenne ich nicht. Aber hier treiben sich einige geisteskranke Pädosexuelle rum.

           

          MfG,

          Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

  • Bei allen Fehlern und Irrtümern ist es das Verdienst von 1968, die damals herrschende sexuelle und nichtsexuelle Doppelmoral benannt, hinterfragt und teilweise aufgebrochen zu haben. Dadurch ist die Veränderung unsittlicher Normalzustände möglich geworden. Noch heute höre ich von meiner Mutter Geschichten aus den "anständigen" Fünfzigerjahren. Es muss teilweise ein Horror gewesen sein, in diesen Zeiten Kindheit und Jugend erlebt zu haben.

  • Zitat aus dem Artikel:“ Ich habe diese aneinandergereihten komplizierten und gestelzten Worthülsen wie „Solidarisierung hebt die Vereinzelung auf und ermöglicht die Produktion erotischer Beziehungen gegen die pädagogischen Verhinderer“ gar nicht richtig verstanden. Ich konnte sie nicht übersetzen ins Leben, schon gar nicht in meins.“ Zitat Ende

    Das ist auch so gewollt. Denn es war/und ist es auch heute nicht die Absicht der Erfinder von Worthülsen, dass diese hinterfragt werden. Sie werden eher so gestaltet, dass diese leicht ins eigene Leben übernommen werden können, auch wenn der „Übernehmer“ eine ganz andere (eigene für sich stimmige) Einstellung zum Leben hat. Solange nicht schonungslos sofort bei den „Worthülsenschmiedern“ nach deren Zielen gefragt wird, übernehmen wir (automatisch?) unserem Alter und unserer Erfahrung entsprechend die populäre Propaganda (?) und gehen davon aus, unsere eigenen Ziele wären mit denen der Anderen (Propagandisten) deckungsgleich.

    Ich erkenne Parallelen in der heutigen Zeit beim Thema sexueller (Kindes)Missbrauch. Rechte Strömungen im Lande nutzen dieses Thema für ihre eigenen politischen Zwecke.

    Näheres auch zu erfahren bei der Amadeu Antonio Stiftung.

    JaneO. Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kindheit

  • M
    Macoomba

    Wow.

    Beeindruckender Text und vor allem auch eine großartige Analyse von Machtgefälle.

    Der Autor hat meinen größten Respekt, bei so viel kritischer Selbstreflektion das Ganze einfach nonchalant auf die persönliche und gesellschafliche Ebene zu übersetzen.

  • ich nehme mal an, das zitierte

    "Solidarisierung hebt die Vereinzelung auf und ermöglicht die Produktion erotischer Beziehungen gegen die pädagogischen Verhinderer" ist dem buch "http://beck-johannes.de/wp01/wp-content/uploads/2012/12/Beck_Johannes_Klassenschule.pdf

    entnommen.

    nun sehe ich mich außerstande, in windeseile 226 seiten zu durchsuchen, um den kontext zu finden.

    und da setzt meine kritik an solchen herausgeschnipselten textbeispielen an: man kann den satzteil als ermutigung zu sex mit kindern lesen, man muß aber nicht. damals nicht, heute nicht. denn man kann ihn auch als lob auf die solidarität lesen. die solidarität, die das kind Ponsens weder erfahren noch selbst aufbringen konnte, die ihm ausgetrieben worden war.

     

    ps: ich bitte, solidarität nicht mit gemeinsamer verbrecher-jagd zu verwechseln. auch wenn die letztere heute schwer in mode ist.

    • @christine rölke-sommer:

      Das Zitat ist einem Text von Johannes Beck entnommen zur Enritualisierung der Sexualerziehung in der Zeitschrift "Ästhetik und Kommunikation" von 1971. Er macht schlichtweg überdeutlich, wie verquast die Schreibe und Denke damals daherkam- und wir fanden den kaum verständlichen Text damals irgendwie gut. Dass ich heute angesichts solcher eindeutiger und zugleich uneindeutiger Worte erschrecke,ja das ist so! Und bin doch weit davon entfernt, damit gleich auf Verbrecher- Jagd gehen zu wollen. Die Legitimierung der Untaten von Gerold Becker und anderen an der Odenwaldschule nach innen wie nach außen wird aber erst verständlich, wenn man den in diesen und ähnlichen Texten verborgenen Zeitgeist entschlüsselt. Und es ist wie mit dem katholischen Zeitgeist der 50er wie mit dem Zeitgeist der Nazizeit wie auch mit dem Zeitgeist von 68, der jeweilige Zeitgeist erleichtert Tätern ihr Handwerk. Zur Entschuldigung taugt die nachträgliche Betrachtung des Zeitgeistes nicht, eher dazu, die Prävention weiterer Verbrechen zu verbessern.

      • @Winfried Ponsens:

        aha. nun, dann wird er ihn auch in das buch "lernen in der klassenschule" eingearbeitet haben. ob Sie mir wohl mit einer kapitelüberschrift dienen könnten? das tät mir das auffinden des kontexts sehr erleichtern.

        sicher täten wir heute manches anders schreiben, tun es auch. nur: ob das verquaste immer und überall den aufruf zu sexualisierter gewalt camouflieren sollte - daran habe ich zweifel.

        das andere ist die frage nach der legitimierung. auch da habe ich zweifel, ob die darstellung, es sei der zeitgeist der 68-ger gewesen, welche Becker vor und für sich selbst sein tun legitimiert habe. oder ob es nicht doch eine bis heute wirksame geschlechterordnung war (und ist), welche schwache und als schwache und/oder geschwächte angesehene zu sexuell verfügbaren deklariert.

        denn eines ist ja auch wahr: texte wie die von Johannes Beck wollten diese geschlechterordnung gerade nicht zementieren. das wird heute aber gern - warum und gegen wen eigentlich? - unterschlagen.

        • @christine rölke-sommer:

          In der "Ästhetik und Kommunikation" steht es unter der Text- Überschrift "Ritualisierte Sexualkunde in der Schule" und unter der Abschnittsüberschrift: "Was Lehrer und Schüler tun können,..."

           

          Im übrigen: nicht camouflieren, aber doch: nicht ausschließen, als möglich darstellen. Ich sehe kein Problem darin, in Texten von damals heute ein Problem zu sehen.

          Herr Beck sagt in seinem Text kluge Sachen, die ich jederzeit vertreten würde. Er dreht bezüglich möglicher sexueller Beziehungen von Lehrern zu Schülern seltsame Denkfiguren, die ich selbst damals teilte, die es m.E. aber im Falle des Falles erschweren, jedwede Übergriffigkeit als solche zu identifizieren. Ich denke, dass es in den 70er und 80er Jahren häufiger zu sexuellen Beziehungen von männlichen Lehrern zu jungen Mädchen gekommen ist als in den 50ern und auch als heute. Es war nicht mehr klar, dass im Lehrer- Schülerverhältnis sich immer ein Machtverhältnis abbbildet.

          • @Winfried Ponsens:

            im buch http://beck-johannes.de/wp01/wp-content/uploads/2012/12/Beck_Johannes_Klassenschule.pdf

            isst es seite 177 zu finden. im zusammenhang gelesen, bringt es mich heute nicht auf den gedanken, es doch mal mit sex mit kindern zu versuchen - und hätte es mich damals erst recht nicht gebracht.

            kann aber an mir liegen: als arbeitertochter lag mir der gedanke an sex mit meinem deutsch-physiklehrer ausgesprochen fern!

            deshalb meine these: ich muß es damals wie heute schon so lesen wollen, um es so zu lesen.

            • @christine rölke-sommer:

              Wenn ich also zustimme, dass man es so lesen wollen muss, bleibt die Frage im berüchtigten Raume stehen: was hat der Satz für eine Aussage, wenn man ihn anders liest?

              • @Winfried Ponsens:

                das ergibt sich doch klar und deutlich aus dem kontext, nämlich der kritik am sexualkundeunterricht, wie er praktiziert wurde (und vermutlich noch wird).

                wieso ist der raum berüchtigt? ich denke ja, dass berüchtigt nur wird, wenn ich nicht mehr text lese sondern nach 'stellen' suche. und die findet man bekanntlich auch in der bibel, jede menge sogar.

          • @Winfried Ponsens:

            hier der absatz, in dem der satz vorkommt:

            "Notwendig ist vielleicht eine «Negative Didaktik» der politischen Erziehung - Sprach- und Sexualerziehung gehören dazu - die von der

            zweckgerichteten Analyse der konkreten Schulsituation ausgeht. Solidarisierung in Lehrer- und Schülerorganisationen gegen die politische Unterdrückung und Vereinzelung ist die gegenwärtig beste Sexualerziehung. Sie hebt Vereinzelung auf und ermöglicht auch erotische Beziehungen

            im Kampf gegen die pädagogischen Verhinderer. Das geht aber nicht isoliert in der Schule, sondern nur gemeinsam mit der großen Mehrheit der

            Jugendlichen, die als Lehrlinge und Arbeiter in den Betrieben vereinzelt verwaltet werden." (buch, S.177 - und ab S.169 über sexualkundeunterricht in den schulen zu lesen).

            ob Beck wirklich an mögliche sexuelle (=erotische?)beziehungen zwischen schülerin* und lehrerin* im sinn hatte? auszuschließen ist es nicht. aber: die einzige lesmöglichkeit ist es auch nicht. - schade, dass mein abi schon 72 war. mir scheint, ich habe viele möglichkeiten, körbe zu verteilen, verpaßt. *grinz*

  • Vielen Dank für diesen ehrlichen und wahrhaftigen Text Herr Ponsens.

     

    Ich selbst habe zwar nur die Nachwehen der Geburt der sexuellen Freizügigkeit erlebt. Bin dafür aber genauso wie Sie im Geist des Faschismus erzogen worden. Für die Erwachsenen in meinem Umfeld war es selbstverständlich, Kinder zu demütigen zu schlagen. Sie propagierten es als notwendig und förderlich. In Wirklichkeit reagierten sie sich ab.

    Sexualisierte Übergriffe waren zwar genauso Alltag wie heute, aber es wurde nicht darüber gesprochen. Wenn dann wurde höchstens, um Argumente für die Todesstrafe zu suchen. Missbrauchsopfer dagegen waren niemandem auch nur ein Wort wert.

     

    Die Gegenbewegung habe ich darum um so intensiver wahrgenommen: die "Progressiven" propagierten Haltungen wie Offenheit, Toleranz und Vertrauen. Und damit in gewisser Weise auch Fahrlässigkeit. Siehe Odenwaldschule. Und die Sexualität wurde im Gegensatz zu früher nicht mehr verteufelt, sondern sogar idealisiert.

     

    Das empfand ich als junge Frau eher belastend. Die damalige sexuelle Kultur war nämlich noch sehr vom Althergebrachten bestimmt. Von den Frauen wurde nun nicht mehr erwartet, dass sie ihre Sexualität leugneten, sondern sie hatten Sex grundsätzlich als positiv zu empfinden.

     

    Damals entstanden eben neue Normen. Und neuer sozialer Druck.

     

    Die gegenwärtige Haltung zur Sexualität empfinde ich als vergleichsweise entspannt, tolerant und pragmatisch.

     

    Der größte Fortschritt ist für mich aber, dass unsere Gesellschaft den Mut und die Kompetenz hat, sich mit einem prägenden kulturellen Phänomen auseinanderzusetzen: dem sexuellen Missbrauch.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von über 7 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland die in ihrer Kindheit Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

    • IN
      immer noch selbstverständlich
      @Angelika Oetken:

      "Für die Erwachsenen in meinem Umfeld war es selbstverständlich, Kinder zu demütigen zu schlagen. Sie propagierten es als notwendig und förderlich." Auch in den 80er und 90er Jahren war es in meinem Umfeld noch selbstverständlich und wurde zumindest für Jungen als notwendig und förderlich befunden. Selbst heute ist es - trotz Verbot - in meinem Umfeld auch in der Öffentlichkeit vor allem gegenüber Jungen aber auch sehr kleinen Mädchen gängige Praxis: Kinder zu schlagen. Es bedarf einer umfassenden Aufklärung der werdenden Eltern was Gewalt bei Kindern anrichtet. Z.B. flächendeckende Elternkurse der Krankenkassen; Pilotprojekte gab es etwa bei der TK.

      • @immer noch selbstverständlich:

        @Immer Noch Selbstverständlich,

         

        dann lassen Sie es mich präzisieren: bis etwa zu dem Zeitpunkt als Gewalt als Erziehungsmittel gesetzlich verboten wurde (2000)gab es eine mehr oder minder öffentlich geführte Diskussion darüber. Mein Eindruck ist allerdings, dass die Ablehnung von Gewalt gegenüber Kindern in den 80er und 90er Jahren deutlich zunahm und mittlerweile ja überwiegt.

         

        Während sie vorher von der Mehrheit der Bevölkerung als legitim, ja sogar notwendig angesehen wurde

        http://bussmann2.jura.uni-halle.de/FamG/PM-BMJ_okt05.pdf

         

        Das empfinde ich als sehr erfreulich. Auch wenn Umfrageergebnisse natürlich noch nichts über das tatsächliche Verhalten aussagen.

         

        Das sehen wir ja nur zu gut an einem anderen Misshandlungsphänomen, dem sexuellen Missbrauch.

         

        Jeder achte Erwachsene hat schweren Missbrauch erlebt. Aber Täterinnen und Täter suchen wir meist vergeblich. Keine® will es gewesen sein...

         

        MfG,

        Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

  • G
    Gast

    "Meine Befreiung aus den Klauen der Kirche ..."

    Der gute Mann verwecxhselt da was. Nicht "die Kirche" hat ihm Gewalt angetan. Sondern Pater S. und sonst niemand.

     

    Merkwürdig, dass ausgerechnet jemand, der mitbekommen hat, dass sexualisierte Gewalt vor dem Hintergrund jeder Organisation, jeder Ideologie stattfinden kann, ob katholische Kirche, Reformschule wie die Odenwaldschule, die Grünen der 79er Jahre, - dass ausgerechnet so jemand dennoch nicht in der Lage ist, da zu unterscheiden!

     

    Altersweise ist das nicht. Schon eher stallblind.

    • @Gast:

      @Gast,

       

      Sie haben vollkommen Recht: sexualisierte Gewalt kann überall vorkommen. Keine Institution, mag sie auch noch so gut geführt sein ist davor gefeit.

      Was die Einrichtungen, bei denen bekannt wurde, dass sexueller Missbrauch bei ihnen systemimmanent war von integeren unterscheidet ist, dass die organisierten Übergriffe bei Ersteren eine Funktion hatten. So wie es viele Opfer gab, profitierten auf der anderen Seite genug Menschen vom System der Übergriffigkeit.

       

      Ich bezeichne das Phänomen als "Begleit- und Beschaffungskriminalität". Deren Zweck ist allerdings schon unterschiedlich, wenn man kirchliche mit weltlichen Einrichtungen vergleicht.

       

      Wenn Sie z.B. den Zinsmeister-Bericht zum Aloisiuskolleg und das, was Christian Füller in seinem Buch "Sündenfall" zur Odenwaldschule schreibt lesen, dann fallen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf.

       

      MfG,

      Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

    • @Gast:

      Ich halte es schlicht für ein Verbrechen, 10jährige Jungen in Ordensinternaten aufzunehmen mit der damit verbundenen Verpflichtung des Zehnjährigen, später Priester zu werden, andernfalls sie sofort aus Internat und Schule geworfen wurden. Die dazu notwendige Kopfkorrektur des späteren Opfers macht erst die Taten des einzelnen Paters möglich. Auch in der Odenwaldschule gab es Kopfkorrektur, die die Opfer nicht "merken" ließ. Zeitgeist ist keine Entschuldigung sondern Hinweis auf die abgelaufene Kopfkorrektur und auf die sog.Klauen des Ungeistes.

      • @Winfried Ponsens:

        Hinweise auf den sog. "Katholischen Missbrauch" (Büntrup SJ) finden sich gut zusammengestellt auf der Homepage des Vereins "Missbrauchsopfer Collegium Josephinum Bonn und Redemptoristen:

        http://www.missbrauchsopfer-josephinum-redemptoristen.de

        und in dem lesenswerten Buch, herausgegeben von Rolf Cantzen "Ich bin hinter dir" aus dem ALIBRI- Verlag