Missbrauch in der katholischen Kirche: Der Herr vertröste dich
Teilnehmerinnen einer Tagung zu Gewalt gegen Frauen in der Kirche sprechen von einem „historischen Moment“. Die Bischöfe spielen weiter auf Zeit.
Acht Wochen später, am 23. November, veröffentlicht die Bischofskonferenz eine Pressemitteilung zum Thema, in der von dieser Aufbruchstimmung dann nicht mehr allzu viel zu spüren ist. Zwar enthält sie Stellungnahmen von drei Bischöfen, in denen sie die Kirche dazu aufrufen, sich dem Thema Missbrauch von erwachsenen Frauen (und Männern) innerhalb kirchlicher Strukturen mehr zuzuwenden.
Diesem Appell kommt die DBK selbst dann aber nicht nach. Denn ob und welche konkreten Handlungsschritte die Bischofskonferenz nun tun wird, bleibt unklar – die Sache wird wieder einmal weiter nach hinten verschoben: Ein „‚Wort der deutschen Bischöfe‘, das im Herbst 2020 erscheinen soll“, wird angekündigt, das dann Kriterien enthalten soll, wie Erwachsene konkret in der kirchlichen Seelsorge vor Missbrauch geschützt werden können.
Alle anderen Maßnahmen, die in der Pressemitteilung aufgeführt werden, sind keine Schritte der Bischofskonferenz selbst, sondern wurden angeregt von Teilnehmerinnen der Fachtagung und deren Organisationen selbst. Dass etwa im Jahr 2020 ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der Uni Regensburg starten soll, hatte die Professorin des Lehrstuhls, Ute Leimgruber, bereits auf der Frauentagung im September angekündigt.
Materialien für die Predigt
Für Oktober 2020 verspricht Katharina Kluitmann, Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), dann eine weitere Studientagung zum Thema „Missbrauch und Gelübde“. Und die katholische Frauengemeinschaft Deutschland (kfd) hat auf ihrer Homepage Materialien zur Verfügung gestellt, mit denen man strukturelle Gewalt und Ausgrenzung, die Frauen in der Kirche erfahren, in Gottesdiensten thematisieren kann.
Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) schließlich lädt zur Beteiligung an einem Buchprojekt ein, in dem von Gewalt betroffene Frauen zu Wort kommen. Der Frauenbund KDFB und die Frauengemeinschaft kfd plädierten am 22. November in einer eigenen Pressemeldung zusammen mit dem Sozialdienst Katholischer Frauen für die Einrichtung einer Kontaktstelle seitens der Deutschen Bischofskonferenz als eine erste mögliche Handlung. Auch diese Forderung war bereits auf der Tagung aufgestellt worden.
Die gut hundert Frauen aus ganz Deutschland, die im September auf dem Michaelsberg in Siegburg zusammenkamen, waren von Mitte 20 bis ins Rentenalter, Frauen aus Ordensgemeinschaften, manche von ihnen in Habit – der entsprechenden Ordensbekleidung –, Theologinnen, Mitglieder von katholischen Frauenverbänden, angestellte Frauen der katholischen Kirche, Aktivistinnen der Protestaktion Maria 2.0. Und eben Frauen, die innerhalb kirchlicher Gemeinschaften, Orden oder Strukturen Missbrauch erlebt haben. Um sie sollte es gehen und um ihre Erfahrungen, ihre Wünsche, Bedürfnisse und Forderungen. Sie sollten eine Stimme bekommen und daraufhin sollte entsprechend gehandelt werden. „Die Tagung versteht sich als Teil eines Prozesses, in dem Raum für Erfahrungen, Zeugnisse und Expertisen eröffnet und erste Perspektiven für Aufarbeitung, Ahndung und Prävention entwickelt werden sollen“, hieß es im Vorfeld.
Doris Reisinger, die während ihrer Mitgliedschaft in einer katholischen Gemeinschaft vor über zehn Jahren selbst Missbrauch erfahren hat, äußerte sich im Gespräch mit der taz enttäuscht, aber nicht überrascht von der jetzt veröffentlichten Position der DBK: „Bei einer Nachbesprechung der Tagung wurde schon deutlich, dass die Bischofskonferenz zum Beispiel die Kontaktstelle für betroffene Frauen nicht einrichten wird.“
„Ich fühle mich so müde“
Auf Twitter schrieb Reisinger: „Wie schade. Anstatt schnell, konkret und weitreichend zu handeln, lässt sich die DBK lieber in gewohnter Manier ein kleinstes verbales Zugeständnis nach dem anderen mühsam und nur mit öffentlichem Druck abringen. Danach jedenfalls sieht das aus. Fühle mich gerade so müde …“
Empfohlener externer Inhalt
Diese Müdigkeit ist deprimierend nach der Aufbruchstimmung, die auf der Tagung so deutlich zu spüren war – und zu der Reisinger auch selbst mit inhaltlich starken Impulsreferaten (pdf) beigetragen hatte. Darin ging sie etwa darauf ein, dass nach wie vor keine fundierten Zahlen vorliegen, wie viele betroffene Frauen es überhaupt gibt, weil bislang keine erhoben wurden – was ein Forschungsprojekt wie das von Ute Leimgruber unbedingt notwendig macht.
Einige der Frauen haben in Siegburg zum ersten Mal über ihre eigenen Missbrauchserfahrungen gesprochen – entweder vor allen Anwesenden am Mikrofon, in kleinen Gruppen oder in persönlichen Gesprächen am Rande des Tagungsprogramms. Dabei wurde deutlich, dass diese Frauen sich bislang hilflos, verzweifelt und alleingelassen gefühlt haben.
Direkt vor Ort fanden sie Verständnis, Solidarität und auch Hilfe bei der eigenen Aufarbeitung des Erlebten durch die anwesenden Seelsorgerinnen – einen solchen Vorgang mitzuerleben, wie sich Frauen als Betroffene von Missbrauch „outen“, direkt Hilfe bekommen und so starke Solidarität erfahren, dass sie gestärkt die Tagung verlassen, das war wohl für alle Anwesenden eine außergewöhnliche Erfahrung.
Gehorsam und Kontrolle
Dieses aktive Zu- und Anhören der Betroffen ist eben das, was in der katholischen Kirche bisher viel zu kurz kommt. Eine der wenigen Ausnahmen ist da der Wiener Kardinal und Erzbischof Christoph Schönborn, der sich Anfang Februar dieses Jahres mit Doris Reisinger zu einem TV-Gespräch im Bayerischen Rundfunk traf, ohne Moderation und ohne Publikum.
Doris Reisinger hat in zwei Büchern und mehreren Interviews von ihren eigenen Missbrauchserfahrungen durch zwei Priester in der katholischen Gemeinschaft Das Werk erzählt. Das Gespräch mit Schönborn, das mehrere Stunden dauerte, wurde noch im Februar gekürzt ausgestrahlt und ist im Oktober in voller Länge als Buch erschienen.
Mehrfach und auf unterschiedlichen Wegen hatte Reisinger in der Vergangenheit versucht, die Priester, die sie des Missbrauchs beschuldigt, rechtlich zu belangen, ist damit aber bis heute gescheitert.
Es geht ihr dabei nicht nur um ihren persönlichen Fall, auch nicht ausschließlich um den sexuellen Missbrauch in kirchlichen Strukturen, sondern um das generelle Machtungleichgewicht in der Institution Kirche und den daraus resultierenden Machtmissbrauch, der sich in manchen Ordensgemeinschaften etwa auch in sektenähnlichen Regeln niederschlägt: Leseverbot, Kontrolle der Post, Forderung nach absolutem Gehorsam – Dinge, die auf der Frauentagung in Siegburg auch von ehemaligen Mitgliedern anderer katholischen Ordensgemeinschaften berichtet wurden.
Die großen Fenster des Tagungshauses auf dem Michaelsberg in Siegburg boten den Teilnehmerinnen der Tagung eine beeindruckende Aussicht mitten im farbenfrohen Herbstbeginn. Die Frauen, die hier zusammengekommen waren, dachten, sie hätten auch in ihrer Kirche endlich gute Aussichten.
Das hat die Deutsche Bischofskonferenz jetzt einmal mehr nicht erfüllt und macht stattdessen den Eindruck, das Thema weiterhin kleinhalten zu wollen. „Das geht jetzt aber nicht mehr. Spätestens seit der Tagung in Siegburg vernetzen sich betroffene Frauen untereinander“, sagte Reisinger der taz. Ob mit oder ohne aktive Unterstützung der Bischofskonferenz, meint sie: „Das Thema ist da und es verschwindet nicht mehr.“
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