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Missbrauch in KinderheimenMinisterium widerspricht Haasenburg

Das Brandenburger Bildungsministerium bestätigt einen taz-Bericht, nachdem sich ein Heimbewohner bei einem Fenstersturz 2006 schwer verletzte.

Das Kind sei aus dem Fenster geklettert und habe sich nur leicht verletzt, dementierte die Haasenburg GmbH den taz-Bericht. Bild: dpa

HAMBURG taz | Ein Sprecher der Haasenburg GmbH hat einen Bericht in der gestrigen Ausgabe der taz zurückgewiesen, wonach 2006 ein Junge aus dem oberen Stockwerk einer Einrichtung der Haasenburg GmbH in Jessern gestürzt sei.

Es habe in dem Jahr lediglich einen Fall gegeben, bei dem ein Junge aus dem Fenster geklettert sei. Das Kind habe sich dabei leicht an der Hand verletzt und sei dann ins Heim zurückgekehrt, zitiert die Nachrichtenagentur dpa den Sprecher. Zuvor habe der Junge allerdings einen Stuhl durch die Fensterscheibe geschleudert.

Der taz sagte ein Zeuge, der heute 20 Jahre alt ist und sich zu der besagten Zeit ebenfalls in der Einrichtung der Haasenburg GmbH befand, etwas anderes. Demnach habe er beobachtet, wie der Junge auch an der Dachrinne gehangen habe und dann zu Boden gestürzt sei. Der Jugendliche sei daraufhin mit einem Hubschrauber abgeholt und fortgeflogen worden.

Entgegen der Darstellung der Haasenburg GmbH sei das Kind nicht ins Heim zurückgekehrt. Die Mitbewohner hätten nicht erfahren, was weiter mit dem Jungen geschehen sei.

Der Sprecher des Brandenburger Bildungsministeriums, Stephan Breiding, bestätigte den Sturz. „Der Junge ist auf dem Boden aufgekommen. Und er ist verletzt worden. Nicht ohne Grund wurde ein Rettungshubschrauber gerufen.“ Auch der Heimbetreiber habe den Vorgang damals ordnungsgemäß gemeldet. Der Junge habe Glück gehabt und „nach ärztlicher Diagnose keine gefährlichen Verletzungen“ davongetragen, so der Ministeriumssprecher.

Der 20-jährige Zeuge bleibt bei seiner Darstellung und erwägt nun, eine Aussage bei der Staatsanwaltschaft zu machen.

Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt

Gegen den Heimbetreiber, der laut Ministerium 56 geschlossene Plätze für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche anbietet, werden seit Längerem Misshandlungsvorwürfe erhoben. Mittlerweile ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Cottbus.

Die Landesregierung lässt die Vorwürfe nun durch eine Expertenkommission prüfen. Die Kommission soll auch zwei Todesfälle untersuchen, die sich in der Haasenburg GmbH in den Jahren 2005 und 2008 ereignet haben. Die Staatsanwaltschaft hatte damals „keine Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden oder Pflichtverletzungen durch Erzieher“ gefunden.

Bis Ende des Jahres soll die Kommission einen Bericht erstellen, der mit darüber entscheiden wird, ob das Heim weiterbetrieben werden kann. Am Donnerstag wird sich auch der Familienausschuss im Brandenburgischen Landtag in einer Sondersitzung mit der Haasenburg GmbH befassen.

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8 Kommentare

 / 
  • A
    Arne

    @Steffen:

    Was relativiert sich???

    Dass jemand, der offenbar aufgrund seiner körperlichen Erscheinung in ein Klischee gepreßt wird, nur nach diesem Klischee behandelt wird?

    Ich habe in 1:1-Maßnahmen in meiner Wohnung schon von den Maßen her mit wohl ähnlichen Jungen als sozialpädagogische Lebensgemeinschaft gelebt. Dabei kommt es anfangs evtl. auch zu körperlichen Auseinandersetzungen, die aber keine Fixierung rechtfertigen, sondern beweisen, dass man das Gespräch suchen muss. Es sollte einem Jugendamt klar sein, dass z.B. eine weibliche Betreuerin unter diesen Prämissen erstmal ungeeignet ist, sondern man sollte selber in der Lage sein, Autorität auszustrahlen. Dass es bei mangelnder Affektkontrolle auch zu Übergriffen kommen kann, die man aber mit geringstmöglicher eigener körperlichen Anwendung abwehren kann, weiß jeder, der mal den ein oder anderen Selbstverteidigungskurs besucht hat. Fixierungen sind wohl kaum die geringste körperliche Beeinträchtigung in diesem Moment.

     

    Mitarbeitern im pädagogischen Bereich ist es zuzumuten, sich auf das zu betreuende Klientel einzulassen und sich ggf. fortzubilden. Das ist wohl das Mindeste, was man verlangen kann, wenn man jemanden dazu bringen will, dass er selber Änderungen an seinem Verhalten vornimmt. Wenn ich ihm nicht mal das Lernen am Modell ermögliche, dann sollte ich als Erzieher den Job wechseln.

  • C
    cantile

    "MISSBRAUCH IN KINDERHEIMEN"

     

    Na, das hättet Ihr wohl gerne. Bislang gibt es dafür nicht den geringsten Beweis und so ist diese Behauptung eine reine Diffamierung. Es sind übrigens in diesem geschlossenen Erziehungsheim nicht nur verhaltenauffällige Kinder untergebracht, sondern die Mehrheit ist nach Straftaten von Gerichten eingewiesen worden.

  • S
    Steffen

    Stimme Marc zu: Für viele der dort befindlichen oder gewesenen Jugendlichen ist die Haasenburg die einzige Alternative zu einer Knastkarriere, zum Leben auf der Straße - für die bisher betroffene Umwelt (u.a. Mitschüler) die Rettung, und für die Eltern, für die Schule, das Jugendamt die einzige Hoffnung.

    Einer der ehemaligen Bewohner wurde hier (mit seienem richtigen Namen)zitiert, er sei als Kind dort von mehreren Betreuern fixiert worden. Das relativiert sich, wenn man weiß: Er war mit 14 Jahren schon 1,85 groß und ca. 90kg schwer und sehr aggressiv - das erzählte mir ein ehemaliger Mitbewohner damals. Von den Angriffen auf Betreuer (Verletzung mit Messer am Hals) las man vor einiger Zeit auch schon.

    Ich finde auch, die taz begibt sich hier auf dünnes Eis und stellt die kriminellen jugendlichen als unschuldige Opfer dar.

  • A
    Arne

    Sehr gute und fachkundige Fragen von @Angelika Oetken, die auch verraten, dass sich da jemand mit dem Problem auseinandergesetzt hat und auf die Antworten bin ich auch gespannt.

    Die grundsätzliche Frage wird aber auch kein Mitarbeiter der Haasenburg GmbH beantworten können. Warum gibt es solche Heime? Die Erfolgsbilanz der Haasenburg GmbH ist eher mickrig, wenn man öffentlichen Berichten glauben darf, dass auch nach einem Aufenthalt dort immer wieder Kinder straffällig oder Psychiatriepateinten werden. An dem Geld kann es nicht liegen. Der Tagessatz überschreitet den der meisten individualpädagogischen Maßnahmen bei weiten.

     

    Ich würde auch der TAZ jetzt mal dringend anempfehlen, die Recherchen auf die Konzepte von geschlossenen Heimen insgesamt auszudehnen und die Alternativen (Sozialpädagogische Lebensgeeminschaften in einer 1:1-Betreuung z.B.) darzustellen. Was ist erfolgsversprechende3r? Gibt es überhaupt eine einheitliche Lösung für jeden Jugendlichen? Es gibt auch einen Teil von Menschen, denen man besser in einem größeren Wohnheim helfen kann, aber viele der geschilderten Fälle aus der Haasenburg hören sich nicht so an, als dass dort genau untersucht wurde, wer überhaupt in ein Heim gehört.

    Das ist btw auch nicht Aufgabe einer kapitalistischen Gesellschaft wie der Haasenburg GmbH, sondern Aufgabe der Jugendämter.

    Also: Welche Jugendämter schicken Kinder und Jugendliche dorthin? Unfd warum? Gibt es in Brandenburg zu wenig andere Träger für die Jugendhilfe mit anderen Konzepten? Sind die Träger zu sehr gegängelt von Vorschriften des Landesjugendamtes, das vielleicht alles in eine ISO-Norm packen will?

    Diese Fragen sollten auch eindlich recherchiert werden, damit ein Diskurs diesbezüglich mal auf einer etwas fachkundigen Ebene mal beginnen kann.

  • AO
    Angelika Oetken

    @Marc:

     

    Sie scheinen ja über Insiderwissen zu verfügen, deshalb können Sie mir vielleicht zwei Fragen beantworten.

     

    a) "Haasenburg-GmbH": wer sind die Gesellschafter und was haben die vor "Haasenburg" gemacht?

     

    b) Das Betreuungspersonal:

    straffällig hin oder her.. auf jeden Fall sind die einsitzenden Kinder und Jugendlichen psychisch stark auffällig. Und wer mit solchem Klientel arbeitet weiß, dass das so gut wie immer eine Folge schwerer Traumatisierung in frühester Kindheit ist.

    Insofern: wie arbeitet das Haasenburg-Personal seine eigenen Primärtraumatisierungen auf? Das ist nämlich notwendig, sonst landet man im Projektionskreislauf. Und der heißt: Wiederholung. Von Missbrauch und Gewalt. Und Suchtverhalten.

     

    Also noch eine Frage:

    wie viele suchtkranke Mitarbeiter gibt es in den Haasenburg-Einrichtungen bzw. wie oft kommt es zu Entlassungen oder Dauerkrankschreibungen wegen Suchterkrankungen?

     

    Vorab schon mal Danke fürs Antworten,

     

    mit freundlichen Grüßen,

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick

  • M
    Marc

    Wirklich kluge Fragen, die Joachim da stellt. Nur die Antworten wird die taz wohl kaum geben, weil sie nicht in die verkaufsfördernde Skandalisierung der Geschichte passt.

     

    Zu 1) Es holt die Kinder niemand aus der Haasenburg, weil es nicht so ist, wie die taz beschreibt.

    Für die Jugendlichen ist die Haasenburg eine echte Chance.

     

    zu 2)Dass die taz keine Namen nennt, ist bester Beleg dafür, dass niemand die Geschichte so bestätigen kann, wie die taz sie erzählt.

     

    zu 3) Es gibt kein Guantanamo in der Mark. Joachim, macht Dir die Mühe und fahr nach Brandenburg und schau Dir selbst alles an. Du wirst überrascht sein, ehrlich.

     

    Marietta hat Recht: Es braucht eine ehrliche und transparente Auseinandersetzung mit dem Thema. Dazu gehört auch, uns allen einzugestehen, dass wir wirksame Angebot für straffällig gewordene Jugendliche brauchen. Sie "rausholen" und sich selbst überlassen, das funktioniert nicht.

     

    Leider hat sich die taz längst verzettelt und ist weit weg von ihrem sonst so guten und professionellen Journalismus.

    Es macht mich traurig, dass nun auch die tageszeitung unsachlich skandalisiert, um augenscheinlich mehr mehr Blätter zu verkaufen.

    Echt schade, taz !

  • M
    Marietta

    Bisher habe ich alle Berichte der taz zum Thema Haasenburg mit großem Interesse verfolgt. Die AutorInnen verdienen meinen Respekt.

    Aber diesen Artikel hier finde ich zu kleinkariert. Soooo groß sind ja die Unterschiede in der Darstellung der Haasenburg und des Ministeriums auch wieder nicht, dass man das so breit tragen müsste.

    Nicht verzetteln, nicht noch mehr Einzelfälle aus der Vergangenheit, sondern beim wesentlichen bleiben, bitte: Fragt mal, warum keiner das Ding zu macht? Drohen da Schadensersatzansprüche? Woher will die Ministerin wissen, dass heute alles tuttipaletti ist dort Das kann sich doch kein normaler Mensch vorstellen, dass aus Mittelalterpädagogen plötzlich aufgeklärte Menschen werden sollen. Welche Strukturen tragen dazu bei, die Wahrheit zu verbergen?

    Bitte dranbleiben am Thema, aber nicht verzetteln.

  • JA
    Joachim A

    Der Skandal im Skandal: Jetzt wird eine Kommission gebildet, untersucht, ermittelt, gelabert, Papier beschrieben - bis Ende des Jahres. Am Ende dann Sozialtantengeschwafel und Psychoklamauk und die Feststellung das das ja alles vorbei ist und nu wird alles besser...

     

    1. Wieso holt keiner die Jugendlichen - was immer sie auch auf dem Kerbholz haben - endlich daraus. Zeitnah, sofort. Also mindestens innerhalb vor zwei oder drei Tagen?

     

    2. Warum nennt die TAZ nicht endlich Ross und Reiter beim Namen. Eine GmbH ist sozusagen straf unmündig, den "Erzieher" X kann man vor den Kadi zerren.

     

    3. Wieso haben wir überhaupt ein Guantanamo in der Mark Brandenburg? Wer hat das genehmigt?

     

    JO