Ministerpräsident auf Sommerreise: Lies lächelt tapfer
Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies reiste drei Tage durchs Wohlfühlland – und zeigte dabei sein Talent zum Spagat.

Zum Abschluss der dreitägigen Rundfahrt, mit Stationen von Oldenburg bis Braunschweig, mit Terminen von der Autobahnpolizei bis zur Agrarindustrie, kam Lies am Donnerstag mit seiner Fahrzeugkolonne, Bodyguards inklusive, nach Osnabrück.
Hier stand ein Spagat an: Erst ging es zu den Kids des „Hort Rosenkinder“ des „Vereins zur pädagogischen Arbeit mit Kindern aus Zuwandererfamilien“ (VPAK), dann zu einer Senioren-Musterwohnung des Smart City-Projekts „Selbstbestimmt und sicher wohnen“ der Stadt Osnabrück.
Aber Spagate ist Lies ja gewohnt. In Niedersachsen war er schon Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Minister für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung. Themensprünge fallen ihm also leicht.
Artige Wohlfühlfragen
Bei den Kids hat Lies eine Bilderbuch-Kulisse. Das Gebäude ist ultramodern, seine Ausstattung sieht aus wie frisch aus der Verpackung. Nicht alle Horte Niedersachsens sind so fotogen. Auch die Seniorenwohnung wirkt, als hätten die Innendekorateure sie gerade erst verlassen.
Und Lies hat sich nicht nur schöne Kulissen ausgesucht. Er hat es auch inhaltlich leicht. Ihn erwarten nur artige Wohlfühlfragen. Wenn gescherzt wird, dann harmlos-nett. Oft kann er in brav-höflichem Beifall baden.
Im Hort kann Lies mit Nahbarkeit punkten. Er lässt sich von Kids umringen, führen, Fragen stellen. Ob er auch mal Alkohol trinkt? Kaum, dafür viel Cola Zero. Ob er mal im Ausland gelebt hat? Nicht wirklich. Ob er gern zur Schule gegangen ist? Natürlich! Ob er ein Hassfach hatte? Hatte er nicht. Auch die Fragen zu Migration und Integration sind zahme Vorlagen für Wiedergebrauchsphrasen. Einmal wird vor Lies sogar geknickst.
Mehrfach bekommt Lies zu hören, es sei eine „Ehre“, dass er hier sei. Mehrfach revanciert Lies sich mit überschwänglichem Lob. Lies bekommt von zwei kleinen Mädchen einen Geschenkkorb, verteilt auf dem Schulhof Falt-Frisbees in SPD-Rot, bevor er beim Torwandschießen dreimal scheitert.
Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen. Gruppenfotos, Selfies, Autogramme.
Der Trägerverein des Horts VPAK schwelgt anschließend in Selbstdarstellung. Endlos werden Funktionsträger vorgestellt, die danach keine Rolle mehr spielen. Lies lächelt tapfer.
„Spannend!“ – „Wunderbar!“ – „Absolut!“
Immerhin ist es sonnig, wie es sich für eine Sommerreise gehört. Bis zu dem Satzbildungsspiel, das vor der angrenzenden Rosenplatzschule aufgebaut ist, kommt Lies leider nicht. Hier ist als Beispielsatz zu lesen: „Der Ministerprädident / schläft / in der Turnhalle.“ In der brandneuen Turnhalle, beim VPAK-Eigenlobmarathon, bei seiner sanften, apolitisch-sterilen Befragung, hat Lies nicht geschlafen. Aber vielleicht kurz drauf im A8, auf dem Weg zur Smart City?
Da wird es dann übrigens wirklich skurril. Lies bekommt einen Fensterputz-Roboter vorgeführt, mit Kabelaufrollhilfe, eine Steckdose mit Steckerauswurf und einen Becher mit akustischem Füllstandsmelder. Lies testet eine Aufstehhilfe. Ins Bett legen soll er sich auch. Lies lächelt tapfer. Immerhin liegen Mandelhörnchen, Erdnusskekse und Weintrauben bereit. Lies wirft einem seiner Bodyguards eine Tüte erbeuteter Süßigkeiten zu.
Einen großen Wortschatz braucht Lies weder bei den Kids noch bei den Senioren. Wer für jedes „Großartig!“, „Sehr gut!“, „Okay!“, „Genau!“, „Absolut!“, „Gut!“, „Spannend!“, „Wunderbar!“, „Ja!“ und „Sehr schön!“, das Lies an diesem Nachmittag sagt, einen Euro bekäme, wäre nach ein paar Viertelstunden so reich wie Musk und Bezos zusammen.
Wer mitzählen will, wie oft Lies zwischendrin nickt, eilfertig und automatisiert, oft schon bevor das, was er bekräftigt, überhaupt zu Ende ausgesprochen ist, hat es schwer.
„Gute Bildung für alle hat für uns in Niedersachsen Priorität“, hat Lies in seiner Amtsantritts-Regierungserklärung Ende Mai gesagt. Die Rosenkinder sollten ihn beim Wort nehmen. In ihrem Hort können sie auf einem Magnet-Whiteboard zur Frage Stellung nehmen: „Wie war die Woche?“ Ob der Lies-Besuch ihre Votings beeinflusst, ist nicht überliefert.
Lies war also in Osnabrück. Mit einem Team, gepolt auf gute Laune. Optimist sei er, sagt Lies. Es brauche Positivität. Gut und schön. Aber in Hannover wartet sein eigentlicher Regierungsjob auf ihn. Und der wird ihm und anderen manch Härte bescheren.
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