Minister Albrecht über seinen neuen Job: „Wichtig, gut, hervorragend“
Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht wechselt in den Vorstand der Böll-Stiftung. Ein Gespräch darüber, was alles toll läuft.
taz: Herr Albrecht, fühlen Sie sich eigentlich so alt, wie Sie sind?
Jan Philipp Albrecht: Weder bin ich alt noch fühle ich mich alt. Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, bei den Debatten über die Aufgaben der Zukunft jüngere Menschen einzubeziehen. Und dazu gehört auch, in einem jüngeren Alter Verantwortung zu übernehmen.
Dröseln wir das mal auf: Sie sind 38 Jahre alt, haben bisher eine steile Karriere hingelegt – Bundessprecher der Grünen Jugend, EU-Abgeordneter, parallel einen Doppel-Master in Hannover und Oslo in IT-Recht gemacht, Jura-Staatsexamen abgelegt. Seit 2018 sind Sie Umwelt- und Energieminister in Schleswig-Holstein. Und nun wechseln Sie in den Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, deren Stipendiat Sie einst waren. So ein Amt gilt normalerweise als Abklingbecken am Ende einer politischen Karriere. Kein Bock mehr auf Macht?
Ganz und gar nicht, im Gegenteil! Für mich ist dieses Vorstandsamt eine zentrale Aufgabe, die in ganz Deutschland und Europa ausstrahlt. Die Böll-Stiftung ist eine stark vernetzte, einflussreiche Organisation, die auch in vergangenen Jahren schon auf jüngere Vorstände gesetzt hat. Die Stiftung leistet eine wichtige und gute Arbeit, mit der sie sich einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat.
Nicht immer unumstritten. Ihre Vorgängerin Ellen Ueberschär wurde kritisiert, weil sie sich zu Jahresanfang für eine nukleare Teilhabe Deutschlands ausgesprochen hat. Wie stehen Sie zu dem Thema?
Die Heinrich-Böll-Stiftung hat, beginnend mit Heinrich Böll selbst, eine lange Geschichte, die geprägt ist von der Diskussion um Friedenspolitik. Die Bemühungen um Abrüstung werden wir nicht aufgeben; entsprechende Aussagen finden sich auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung und im Programm der Grünen. Doch dazu gehört auch, sich Gedanken zu machen, was es braucht, um den Frieden zu sichern.
38, studierte in Bremen, Brüssel, Hannover und Oslo und zog 2009 mit 26 Jahren für die Grünen ins EU-Parlament ein. Seit 2018 ist der Jurist und IT-Experte Minister für Energiewende, Umweltschutz, Landwirtschaft und Digitalisierung in Schleswig-Holstein. Albrecht ist verheiratet und Vater zweier Söhne.
Das war ein „sowohl als auch“ – wie denn nun?
Es ist klar, dass wir Abrüstung und gerade auch nukleare Abrüstung brauchen. Entsprechend setzen wir uns als Grüne dafür ein, dass die Voraussetzungen für einen Beitritts Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag geschaffen werden. Aber man muss sich bewusst sein, dass das einen langen Atem braucht und die offenen Sicherheitsfragen damit längst nicht beantwortet sind.
Kritik gab es 2020 auch am Umgang mit ausländischen Mitarbeiter*innen der Stiftung – können, werden Sie dort etwas ändern?
Der im kommenden Jahr scheidende Vorstand hat sich der Thematik angenommen, als die Kritik aufkam. Es sind einige strukturelle Veränderungen auf den Weg gebracht worden. Es gibt auch Länder, nehmen wir zum Beispiel Russland oder China, in denen die Situation in den Auslandsbüros schwierig werden kann. Das zeigt, dass es stete Aufmerksamkeit braucht.
Nach Schleswig-Holstein kamen Sie, nachdem die Landes-Grünen ihren Frontmann Robert Habeck an die Bundespartei abgegeben hatten. Viele, ehrlich gesagt ich auch, hatten erwartet, dass Sie im anstehenden Landtagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Wann und wie fiel die Entscheidung für die Böll-Stiftung?
Dieser Gedanke ist in den vergangenen Monaten gewachsen und durch zahlreiche Gespräche gereift. Das geschah unabhängig von der Entscheidung in Schleswig-Holstein, mit welchen Personen wir in den Wahlkampf ziehen wollen. Dort haben wir uns in der Spitze verständigt, dass wir mit Monika Heinold und Aminata Touré das bestmögliche Angebot an die Wählerschaft machen.
Trotzdem: Bei der Vorstellung der künftigen weiblichen Doppelspitze fehlten Sie – lief es doch nicht so einvernehmlich?
Beim Pressetermin war ich nicht dabei, weil ich an dem Tag in Berlin im Verhandlungsteam eingebunden war. Unstimmigkeiten gibt es nicht. Ich halte es für absolut richtig, dass die beiden den Wahlkampf anführen sollen. Und ganz unabhängig davon ist es für mich der richtige Schritt, in die Spitze der Heinrich-Böll-Stiftung zu wechseln. Ich empfinde es als große Ehre, dass ich in den Vorstand gewählt wurde. Bis zu meinem Amtsantritt werde ich aber voll und ganz in Schleswig-Holstein sein und auch für ein starkes grünes Ergebnis streiten.
Gibt es neben der Ehre auch private Gründe? Ist Kiel langweiliger als Berlin?
Nein, ich wirke gern in Schleswig-Holstein. Kiel ist ein wunderbarer Ort zum Leben und Gestalten. Aber die neue Aufgabe reizt mich. Und ja, ich würde sie nicht annehmen, wenn es nicht auch familiär passen würde.
Sie waren im EU-Parlament, gelten als Vater der Datenschutzgrundverordnung – und dann mussten Sie sich im Minister-Job mit Düngemittelverordnungen und Grünstreifen herumschlagen. Nerven die Mühen der Ebene?
Nein, keineswegs! Natürlich lässt sich eine solche Aufgabe nicht von Anfang an locker-flockig erledigen. Ich musste mich einarbeiten. Aber mein Eindruck ist, dass ich eine anerkannte Arbeit geleistet habe, sei es in Debatten mit Landwirten und dem Naturschutz, sei es mit den Akteuren im Bereich Digitalisierung. Wir haben vieles auf den Weg gebracht.
Ein großes Vorhaben war die Reform des Klimaschutzgesetzes – haben Sie alles rausgeholt, was ging, oder sind Sie an den Jamaika-Partnern gescheitert?
Wir sind überzeugt, dass dieses Gesetz eines der besten bundesweit ist. Wir liegen beim Ausbau der Windenergie auf Platz eins, ebenso bei der Zulassung von E-Autos. Wir machen große Schritte voran bei der kommunalen Wärmeplanung. Mich würde also schon interessieren, wo wir hinter andere zurückfallen, wie es auch in der taz stand.
Die Kritik stammt von den Umweltschutzverbänden, die sich deutlich mehr gewünscht hätten.
Dass man als Politik immer mehr tun kann, ist klar, und ebenso klar ist, dass wir künftig mehr werden tun müssen, um die Klimaziele zu erreichen. Aber Schritte nicht zu gehen, weil sie größer ausfallen könnten, bringt uns gewiss nicht voran. Statt zu kritisieren, was wir noch nicht tun, sollte man schauen, was wir tun, und das ist eine Menge. Wir bringen jetzt Maßnahmen auf den Weg und in den kommenden Jahren folgen weitere. Es ist ein dynamischer Prozess, entsprechend müssen die Gesetze fortgeschrieben werden. Froh bin ich darüber, dass die neue Bundesregierung viele der Maßnahmen aufgegriffen hat, die wir auf den Weg gebracht haben.
Bis zum Ende der Legislaturperiode bleiben Sie Minister – welche Themen werden Sie noch bearbeiten?
Wir werden viel Arbeit leisten müssen, um das Klimaschutzgesetz in der Fläche umzusetzen. Es geht um Punkte wie den weiteren Ausbau von Wind- und Solarkraft, die kommunalen Wärmepläne, die Biodiversität. Hinzu kommt ein Digitalisierungsgesetz, mit dem Schleswig-Holstein zum Vorreiter bei der Digitalisierung der Verwaltung und der Verwendung offener Standards wird.
Welche Themen wollen Sie sich in der Böll-Stiftung vornehmen?
Imme Scholz und ich werden uns in der Rolle als neu gewählte Vorstände finden müssen. Dann werden wir mit dem Team der Stiftung schauen, welche Impulse wir liefern können. Sicher wird es sehr viel um Transformation gehen – beim ökologischen Umbau, bei der Digitalisierung. Diese Prozesse müssen moderiert werden, und dabei wird die Stiftung eine zentrale Rolle spielen.
Dürfen Sie als Vorstand noch Ringelpulli tragen?
Ich durfte es bislang immer und erwarte auch weiterhin nicht, dass es mir jemand verbieten möchte. Vielleicht trage ich dann dazu Baskenmütze wie Heinrich Böll.
Gibt es von der Stiftung einen Weg zurück in die aktive Politik – oder in die Wirtschaft?
Um zu wissen, was alles noch kommen könnte, bin ich wirklich noch zu jung. Zunächst werde ich meine jetzige Aufgabe gut abschließen und mich dann auf die neue konzentrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs