Miniermotten-Schäden in Berlin: Die Hoffnung welkt zuletzt
Dieses Jahr sehen die Berliner Kastanien besonders traurig aus. Das liegt an besonderen Umweltbedigungen für die gefräßige Miniermotte.
Besonders dramatisch sieht es dort aus, wo ganze Straßen von Kastanien gesäumt sind. Auf dem Mittelstreifen der Levetzowstraße in Moabit etwa scheint die Sonne durch Dutzende braune, halb kahle Baumkronen, während Ahorne oder Linden noch dicht und grün danebenstehen. Ähnlich sieht es am Landwehrkanal in Tiergarten oder in der Pankower Heinrich-Mann-Straße aus. Die wenigen stacheligen Früchte, die in den Zweigen hängen, sind nicht prall und grün, sondern kümmerlich und gelb.
Wer daran schuld ist, hat sich längst herumgesprochen: die Rosskastanien-Miniermotte, ein winziger, kurzlebiger Schmetterling, dessen Larven sich in die Blätter fressen und den Wassertransport in deren Adern unterbrechen. Seit Ende der neunziger Jahre breitet sich der Schädling in Berlin aus – eine Kastanie, die nicht befallen wäre, hat schon lange niemand mehr zu Gesicht bekommen. Nur: Dieses Jahr scheinen die Schäden besonders heftig zu sein. Wieso ist das so? Hat sich die Mottenpopulation noch einmal vervielfacht?
Der Stadtnatur-Experte der Senatsverwaltung für Umwelt, Derk Ehlert, bestätigt die Beobachtung: „Es sieht wirklich schlimm aus dieses Jahr.“ Dass das an einem erhöhten Aufkommen von Cameraria ohridella liegt, kann er aber ausschließen. Das Berliner Pflanzenschutzamt, das das Aufkommen der Miniermotte routinemäßig untersucht, habe in seinen Fallen nicht mehr Exemplare als sonst gefangen. Es habe auch keine zusätzliche Generation gegeben. Die Miniermotten schaffen es unter Berliner Bedingungen, zwei- bis dreimal pro Jahr den Zyklus vom Schlüpfen der Motten bis zur Eiablage zu durchlaufen – daran hat sich nichts geändert.
Drei Wochen früher als sonst
„Der Unterschied liegt darin, dass die Motten dieses Jahr früher angefangen haben, sich zu vermehren“, erklärt Ehlert. „Dadurch, dass es schon Ende März und Anfang April sehr warm war, konnten sie drei Wochen früher loslegen als sonst.“ Entsprechend früher seien die Schäden aufgetreten und hätten schon Ende August für ein vollständiges Schadbild gesorgt. Der Kontrast zu anderen Baumarten ist dadurch diesmal besonders augenfällig.
Eine zusätzliche Mottengeneration könne es sowieso nur geben, wenn das Nahrungsangebot größer sei, sagt Ehlert. Das kann aber nicht eintreten, weil die Bäume schon mit der dritten Generation beginnen, ihre stark geschädigten Blätter abzuwerfen. Mit ihnen fallen die Cameraria-Puppen zu Boden, die dort überwintern, und aus denen im folgenden Frühjahr die ersten Falter schlüpfen. Die Kastanien überleben den Befall, sind aber in ihrem Wachstum eingeschränkt und dadurch auch anfälliger für andere äußere Einflüsse wie Trockenheit und Pilze oder Bakterien.
Rund 23.000 weißblühende Rosskastanien stehen in Berlin an Straßen, in Grünanlagen oder auf städtischen Friedhöfen, hinzu kommt eine nicht erfasste Anzahl von Bäumen auf privaten Grundstücken, in den Forsten sowie in Parks oder Friedhöfen, die nicht vom Land Berlin betrieben werden. Der Anteil an der Gesamtheit der Stadtbäume ist klein – von denen, die gezählt werden, beträgt er weniger als 3 Prozent –, aber immerhin handelt es sich um einen beliebten und auffälligen Schmuckbaum, der längst zu Berlin gehört.
Tatsächlich gibt es Rosskastanien in Mitteleuropa erst seit dem 16. Jahrhundert, vorher wuchsen sie ausschließlich in kleinen Verbreitungsgebieten im Balkan. Dort, am Ohridsee auf der Grenze zwischen Nordmazedonien und Albanien, wurde in den 1980er Jahren auch erstmals ein Massenbefall durch Cameraria ohridella dokumentiert – der Ort ist im wissenschaftlichen Namen der Art verewigt. Es dürfte mit den Veränderungen des Klimas zu tun haben, dass der Schädling sich seit den Neunzigern rasant in Europa ausbreitet: Denn Wärme tut den Motten gut.
Die Senatsumweltverwaltung, das Berlin Pflanzenschutzamt und andere Stellen empfehlen seit Jahren, zur Eindämmung des Miniermottenbefalls das abgefallene Laub unter den Bäumen zu entfernen, um den Fortpflanzungszyklus der Insekten zumindest stellenweise zu unterbrechen. Das funktioniere auch, sagt Derk Ehlert, besonders gut sehe man es an Bäumen an isolierten Standorten, etwa in Hinterhöfen: „Wenn dort das Laub gründlich beseitigt wird, können wir bei diesen Exemplaren einen mittleren Schadzustand beobachten, wenn die anderen Kastanien schon zu 80 Prozent geschädigt sind.“
Praktisch nicht auszurotten
Aber nur rein theoretisch, quasi „unter Laborbedingungen“ so Ehlert, ließe sich das Schlüpfen der ersten Generation weitgehend verhindern. Dazu müsste man aber stadtweit nicht nur das Altlaub entfernen, sondern auch den Boden rund um die Bäume austauschen – und selbst dann könnten einzelne Larven in den Knospen oder der Rinde überwintern. Das das nicht funktioniert, liegt auf der Hand. Mehr als Krisenmanagement ist also nicht drin.
Aktuell empfiehlt das Pflanzenschutzamt die Neupflanzung „nur in Ausnahmefällen“, und viele Bezirke setzen mittlerweile nur noch auf die rotblühende Rosskastanie, die von der Miniermotte in Ruhe gelassen wird. Ehlert will aber keinesfalls auf die prächtigen weißblühenden Kastanien verzichten: „Das ist eine ganz tolle Kulturpflanze.“
Tatsächlich gibt es auch Hoffnung. Denn es ist nicht so, dass die Miniermotte keinerlei natürliche Feinde hätte, wie oft behauptet wird. Ehlert zufolge werden die gefräßigen Miniaturschmetterlinge durchaus von anderen Tieren verspeist, zum Beispiel von einigen Wildbienenarten oder Blau- und Kohlmeisen. Lasse man mehr Natur in der Stadt zu und verbiete den Einsatz von Bioziden, hätten diese Arten bessere Chancen und könnten die Motten dezimieren.
Es gibt auch noch kleinere Lebewesen als die Miniermotte, die ihr auf Dauer das Leben schwer machen können, Parasiten wie Schlupfwespen etwa. Aber auch die müssen sich erst auf neue Wirtstiere einstellen, die – in evolutionären Zeiträumen gedacht – erst vor einem Wimpernschlag ein neues Verbreitungsgebiet erobert haben. Für Berlin verloren ist die weißblühende Rosskastanie also noch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut