piwik no script img

Mini-Flüchtlingsgipfel in BrüsselGuantanamo Bay für Migranten?

Die EU-Kommission hat einen eigenen „Masterplan“ für die Flüchtlingspolitik vorgelegt. Er kommt Seehofer weit entgegen und schottet Europa noch härter ab.

Junckers Pläne stehen dem „Masterplan“ Seehofers in nichts nach Foto: reuters

Brüssel taz | Kurz vor dem Minigipfel, den die EU-Kommission auf Drängen von Kanzlerin Angela Merkel am Sonntag in Brüssel veranstaltet, zeichnet sich eine neue harte Wende in der europäischen Flüchtlingspolitik ab. Migranten sollen künftig schon „nahe an den Binnengrenzen“ abgewiesen werden, fast so, wie es Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) fordert. Zudem sind Aufnahmezentren für Bootsflüchtlinge geplant – außerhalb der EU.

„Ich bin gegen ein Guantanamo Bay für Migranten“, betonte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopolous am Donnerstag. Das sei mit den Aufnahmezentren auch nicht gemeint. Dennoch sollen die Auffanglager, die auch EU-Ratspräsident Donald Tusk für den regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag empfohlen hat, der Abschreckung und Abschottung dienen. „Wer es in ein Boot schafft, darf deshalb keine freie Fahrt in die EU haben“, so Avramopolous.

Zu Details dieser neuen Pläne wollte sich Avramopolous nicht äußern. Er betonte jedoch, dass Zurückweisungen von „illegalen“ Flüchtlingen künftig schon an den EU-Außengrenzen rund um das Mittelmeer möglich werden sollen. Die EU-Kommission will dazu eine „echte EU-Grenzpolizei“ schaffen und die Grenzschutzbehörde Frontex massiv aufrüsten. Außerdem sollen die umstrittenen Abschiebungen besser koordiniert und beschleunigt werden.

Mit all dem kommt die EU-Kommission den Hardlinern in Ungarn, Italien und Österreich entgegen. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz übernimmt am 1. Juli den halbjährlichen EU-Ratsvorsitz. Der konservative Politiker, der zusammen mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert, hat bereits den „Schutz“ der Außengrenzen zur absoluten Priorität erklärt.

Seehofer kann zufrieden sein

Die EU-Behörde macht auch einen großen Schritt auf Seehofer und seinen umstrittenen „Masterplan“ für Migration zu. In der Tischvorlage für den Sondergipfel am Sonntag, die der taz vorliegt, empfiehlt sie „einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen“. Dies würde die Abweisung von bereits registrierten oder abgelehnten Asylbewerbern an der österreichisch-bayerischen Grenze erleichtern. Seehofer kann zufrieden sein.

Migranten sollen künftig auch an Flughäfen, Bahnhöfen und Busbahnhöfen kontrolliert werden. Auch das würde den Grenzübertritt erschweren. Allerdings bleibt in dem Papier unklar, wie Flüchtlinge in andere EU-Staaten abgeschoben beziehungsweise „zurückgenommen“ werden sollen. In dem Entwurf ist vage von „flexiblen gemeinsamen Rücknahme-Mechanismen“ die Rede. Bisher existieren diese Prozeduren jedoch nicht – oder es kommt ständig zu Reibereien.

So hatte Deutschland zeitweise Beschränkungen für Flugreisende aus Griechenland eingeführt, um mutmaßliche „illegale“ Flüchtlinge abzufangen. Dies führte jedoch zu einem Streit mit der Regierung in Athen, bei der die EU-Kommission vermitteln musste. Derzeit kommt der Widerstand vor allem aus Italien. So ging der neue, rechtspopulistische Innenminister Matteo Salvini auf Gegenkurs.

Sollte Italiens Regierungschef Giuseppe Conte am Sonntag nach Brüssel fahren, um einen Entwurf zu unterschreiben, der von Deutschland und Frankreich vorbereitet wurde, „tut der Premier gut daran, die Reisekosten zu sparen“, twitterte der Chef der fremdenfeindlichen Lega in der Nacht zu Donnerstag. Salvini fordert mehr Solidarität von den Europäern, die Asylbewerber aus Italien übernehmen sollen, weigert sich jedoch, seinerseits Migranten etwa aus Deutschland zurückzunehmen.

Plan könnte zu Domino-Effekt führen

Doch dies ist nicht das einzige Problem, an dem der Minigipfel am Sonntag scheitern könnte. Die Vorlage von Kommissionschef Jean-Claude Juncker könnte nämlich genau wie Seehofers „Masterplan“ zu einem Domino-Effekt führen. Wenn Deutschland Flüchtlinge an der Grenze zurückweist, werde Österreich dasselbe tun, kündigte Kanzler Kurz an. Ähnlich äußerte sich der österreichische Europaabgeordnete Heinz Becker. „Ich glaube, wir werden dann einen entsprechender Domino-Effekt erzeugen müssen“, sagte der ÖVP-Politiker.

Genau diesen Domino-Effekt hat Merkel jedoch ins Feld geführt, um sich gegen Seehofers Pläne zu wehren und einen Sondergipfel zu fordern. Sie wirbt für eine „europäische Lösung“. Doch mit der Vorlage der EU-Kommission zeichnet sich diese nicht ab. Bestenfalls sind bilaterale Absprachen und neue Versuche zu erwarten, die Asylpolitik aus der EU auszulagern, etwa nach Ägypten oder Tunesien. Merkels Türkei-Deal könnte dabei als Vorbild dienen.

Von einer echten europäischen Lösung hingegen, die auch eine faire Lastenteilung zwischen allen EU-Ländern enthalten müsste, ist kaum noch die Rede. Er hoffe auf eine Einigung bis Ende dieses Jahres, sagte Avramopoulos. Ursprünglich sollte die Einigung aber schon beim regulären EU-Gipfel am kommenden Donnerstag auf dem Tisch liegen.

Merkels „informeller“ Minigipfel am Sonntag weist jedoch in eine ganz andere Richtung: Die Abschottung wird forciert, die Solidarität auf die lange Bank geschoben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Zu Kommentatör Sven Günthers Hinweis unten („pazifische Lösung“):

     

    Was das hieße (und die von der EU mitfinanzierten Lager in Libyen sind schon Skandal genug!) haben die geleakten Reports zu den Off-Shore Lagern (Link!) auf der Pazifikinsel Naura belegt (immerhin ein angeblich souveräner Staat). Dort praktiziert Australien dieses menschenverachtende Modell, dessen Nachfolger das neue, alte „Achsenmächte“-Innenminister-Trio-Infernale (Lega Salvini+FPÖ Kickl+Seehofer) gerade gedanklich & medial vorbereiten.

     

    Der Vollhorst hat ja daheim im Hobbykeller schon die rote Schirmmütze, Pfeife und Kelle sowieso.

    „Vorsicht an der Bahnsteigkante!“ … oder ist´s schon bald ….eher eine … Rampe!?

    https://www.theguardian.com/australia-news/2016/aug/10/the-nauru-files-2000-leaked-reports-reveal-scale-of-abuse-of-children-in-australian-offshore-detention

     

    Wie krass der derzeitige Rechtsrutsch in der BRD und in der EU ist, sieht man an der Rezeption solcher Vorschläge im aktuellen politischen Diskurs und in den Medien.

     

    Was vor vielleicht anderthalb Jahren ein mit Igitt-Geruch versehener Vorschlag der randständigen extremen Rechten war

    https://www.focus.de/politik/deutschland/migration-afd-will-alle-neuen-asylbewerber-nach-afrika-schicken_id_7495805.html

     

    oder von Sellners identitärem Pleiten-Pech-&-Pannen-Seelenverkäufer mit eigenem Sklavenbootspersonal im Mittelmehr propagiert wurde,

     

    wird heute von „Konservativen“ wie dem Bubenkanzler aus Wien & dem Kreuzritter aus der Münchner Staatskanzlei rausposaunt.

     

    Ach ja, ich nehme immer noch Wetten an zum Personal der CDU/CSU …

     

    „Einer muss den Franz von Papen machen!

     

    Wer wird´s sein? Linnemann, von Stetten .. Spahns Buddies organisieren derweil in der CDU-Fraktion die Dolche und die Gewänder. Beim Abservieren von Führungspersonal (siehe Lübke, Erhard, Barzel), wenn die den quasi-Staatspartei-Anspruch gefährden, handelt die CDU schon immer menschlich betrachtet besonders fies.

     

    Da wird auch bei Damen keine Ausnahme gemacht werden.

  • Der Bamf-Skandal hat gezeigt, dass die Merkel-Regierung schlechte Arbeit macht. Als Alternative zur schlechten Arbeit gelten jetzt eigentlich indiskutable Auffanglager. Das Gegenteil von schlechter Arbeit sind aber nicht Auffanglager, sondern gute Arbeit! Würde Deutschland bei der Integration bessere Arbeit leisten und bei der sozialen Absicherung nicht Migranten und Deutsche gegeneinander ausspielen, würden die Wähler die Zuwanderung, die Deutschland aus demographischen Gründen eigentlich bräuchte, womöglich akzeptieren. Leider spricht darüber gar keiner. Dass man auch gute Arbeit machen kann, kommt in Deutschland offenbar nicht vor!

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...endlich können die ganzen rechten Typen, wie Junker, Seehofer, Söder, Spahn, Merkel etc. die sog. Sau rauslassen.

    Nachdem die Internierungslager in Deutschland nicht so gut ankommen, kommt jetzt 'Guantanamo' auf dem afrikanischen Kontinent, abgesegnet von der EU.

  • Was für Heuchler sind wir denn als Deutsche, wenn wir uns über die Behandlung von Lateinamerikanischen Kindern durch die US-Regierung Donald TRUMP unendlich aufregen und Gleichzeit die von Horst Seehofer (CSU) geforderten Internierungslager für Flüchtlinge glutheißen? Was soll das?

    Weniger Heuchelei, würde uns Deutschen gut tun!

    • @Nico Frank:

      War das gerade der Hinweis, dass die Deutschen um keine Heuchler zu sein, mexikanische Familien aufnehmen sollten?

      Ich glaub dafür würden sich sogar Mehrheiten in Deutschland finden lassen.

  • Aus dem Versuch, eine Werte Gemeinschaft zu gründen, wird wohl nichts werden?

    Eine Verfassung für Europa scheiterte bereits am Versuch 2005 (ISBN 92-824-3098-7)

    Zur Aktion Europa (work in process) hat es der "Vertrag von Lissabon 2010 geschafft. Selbst die dort "handelnden Kommission" wurde vom Volk nicht gewählt, sondern von Interessengruppen "ausgewählt"!

    Der "Kampf um Europa" (s. Peter Lenk) ist eine gelungene Darstellung worum es geht: "Europa, in der Antike eine phönizische Prinzessin wird von Zeus in Gestalt eines Stieres geraubt.

    Peter Lenk hat dieses unser Schicksal treffend dargestellt.

    Der Stier der Antike, der mächtigste Gott Zeus, ist heute im weltweiten Finanzbereich das Symbol für die Spekulation auf steigende Kurse.

     

    Asfa-Wossen Asserate formuliert es so:

    Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten! Seit über 60 Jahren rettet für uns ein "Entwicklungshilfe Minister" durch Exporte von deutschen "Produkten" die Quellen für Flüchtlinge? Guten Morgen Abendland ist ein frommer Wunsch.

  • „Ich glaube, wir werden dann einen entsprechender Domino-Effekt erzeugen müssen“

    Und der letzte Stein fällt dann in Italien und Griechenland aber ... egal, Hauptsache nicht bei uns.

  • Das klingt doch alles schon mal wie ein Schritt in die richtige Richtung. Selbst bei noch so viel Hilfe für Afrika (Fluchtursachen bekämpfen) wird der Wohlstandsunterschied zwischen Afrika und Europa noch zumindest Jahrzehnte gewaltig sein. Dazu kommt die demographische Entwicklung in Afrika. Ohne einen funktionierenden Außengrenzenschutz wird dieses Problem nicht in den Griff zu bekommen sein.

    • @Minga:

      Sie gehen also davon aus, dass solange ein Wohlstandsunterschied zwischen Gebieten entsteht auch Fluchtursachen bestehen. Ich denke, dass Sie dieses Argument nochmal überdenken sollten.

       

      Oder anders gefragt: Warum sind Sie nicht längts im Staat mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt, nämlich Katar "geflüchtet"? Fluchtursache deutsche Armut sozusagen oder wo immer Sie sich aufhalten.

       

      Geflüchtet wird nur dann (eben, Sie sind ja auch nicht Katar!), wenn nach Abwägung aller Bleibe- und Fluchtargumenten die Fluchtargumente eindeutig überwiegen.

      Daher bin ich der Meinung, dass ggf. auch nur kleine Veränderungen vor Ort Flüchtlingsströme verhindern können.

      Darüber lohnt es sich zu diskutieren und ggf. Geld bereit zu stellen.

      • @Tom Farmer:

        Das sind aber nicht die Leute die zu uns kommen.

         

        Wenn man mal die Herkunftsländer der Menschen anschaut, die aus Afrika nach Deutschland kamen um Asyl zu beantragen.Für 2017 waren das auf Platz 4 Eritrea, Platz 7 Nigeria und Platz 8 Somalia.

         

        Eritrea ist neh brutale Diktatur, auf die die Europäer minimalen Einfluss haben. In Nigeria herrschen sowohl ethnische Konflikte wie auch Terror durch Boko Haram und Gegenterror des Militärs und Somalia ist eigentlich schon kein Land mehr sondern verschiedene Bürgerkriegsgebiete.

        • @Sven Günther:

          Ich bin ja Ihrer Meinung!

          Ich habe ja auch nur auf den Kommentar von Minga reagiert. Ggf. wollten Sie auf den antworten?

  • Vielleicht ist es kein Guantanamo Bay, aber es hört sich sehr danach an, als ob man sich Australiens "Pazifische Lösung" zum Vorbild genommen hat. Also die Leute nicht ins Land zu lassen, sondern andere Staaten für die Internierung zu bezahlen.

  • Seit Monaten hören wir, dass es wichtig sei die Fluchtursachen "vor Ort" zu bekämpfen. Wie das gemeint war das wissen wird jetz klarer.

    Von wegen Armutsbekämpfung und fairer Handel mit vor allem afrikanischen Staaten. Es geht darum Geld dorthinzuschicken, damit Zäune gebaut werden sollen um Auffanglager und die "Fluchtursache altes Fischerboot" per Zertrümmern zu eleminieren.

     

    Man kann auf die eigenen Leute in Politik und Verwaltung mal wieder nur stolz sein so unerwartet innovativ gewesen zu sein. Geile Jungs und Mädels halt in den Schaltzentralen der Macht.

    • @Tom Farmer:

      Tja, wenn die Linke in Europa für den Wähler keine Alternative bieten kann kommt es eben zu solchen Auswüchsen. Fluchtursachen bekämpfen ist zwar schön und gut, dauert aber.

      Die Leute wollen aber jetzt, am besten sofort weniger Flüchtlinge (ob man das jetzt versteht oder nicht ist erstmal egal). Da hilft nur Abschottung. Man kann es natürlich auch anders machen, darf sich dann aber später nicht wundern wenn die AfD bei 25% steht. Will halt niemand verantwortlich sein.