putsch in sudan
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Sudans alte Garde schlägt zu

Putsch in Khartum: General Burhan, bisher faktisch Staatspräsident, lässt seine zivilen Koalitionspartner verhaften und löst Sudans Übergangsinstitutionen auf. Der Weg zur Demokratie ist gestoppt. Proteste auf den Straßen

Lässt sich so Sudans Militärputsch aufhalten? Straßen­sperren mit Protestie­renden in Khartum, Montagfrüh Foto: Mohamed Nuredlin Abdallah/reuters

Von Ilona Eveleens
, Karim El-Gawhary
und Dominic Johnson

Das Experiment eines Übergangs zu einer zivilen Demokratie in Sudan liegt vorerst auf Eis. General Abdelfattah Burhan, seit 2019 der Vorsitzende des „Souveränitätsrats“ in Sudans Übergangsregierung und damit faktisch Staatschef, hat am Montag die Übergangsinstitutionen des Landes für aufgelöst erklärt und über ganz Sudan den Ausnahmezustand verhängt. Das Informationsministerium sprach von einem „Putsch“.

Zunächst hatte sich das Ganze am Montagmorgen noch etwas nebulös angekündigt. Soldaten nahmen in der Hauptstadt Khartum eine Reihe von Ministern und zivilen Politikern fest, darunter auch Premierminister Abdalla Hamdok. Dann, am Mittag, wurde der Militärputsch ganz offiziell verkündet: Soldaten besetzten das Staatsfernsehen, dann wurde die Rede von General Burhan ausgestrahlt, in der er den Ausnahmezustand erklärte und die Institutionen auflöste. Streitigkeiten unter den Politikern und deren Ambitionen hätten ihn gezwungen, die Nation zu retten, erklärte er in der üblichen Putsch-Rhetorik und behauptete, er werde jetzt eine Regierung aus kompetenten Leuten bilden.

Hamdok wurde Berichten zufolge von den in sein Haus eingedrungenen Soldaten gedrängt, den Militärputsch zu unterstützen. Er lehnte dies jedoch ab und forderte stattdessen über soziale Medien die Bevölkerung dazu auf, mit friedlichen Protesten fortzufahren, um „die Revolution zu verteidigen“. Daraufhin wurde er festgenommen und mit seiner Frau an einen unbekannten Ort gebracht, ebenso weitere Minister.

Die Protestbewegung, die 2019 mit Massenprotesten den Rücktritt des Langzeitdiktators Omar Hassan al-Bashir erzwungen hatte, nimmt das nicht kampflos hin. Während am Montag die Armee wichtige Zugangsstraßen und Brücken in der Hauptstadt Khartum abriegelte, strömten protestierende Menschen auf die Straßen. Ein Blutbad ist zu befürchten.

Das Internet ist blockiert und der Flughafen geschlossen, aber trotzdem kommen Bilder von Demonstranten, die Barrikaden bauen, in Wohnvierteln von Khartum wie auch in Omdurman, die Zwillingsstadt auf der anderen Seite des Nils. Sie stecken Autoreifen in Brand und skandieren: „Die Leute sind stärker, stärker!“ und „Rückzug ist keine Option!“ Die Kommunistische Partei rief zu Streiks und Protesten auf. Auch in anderen Städten im Land wie El Obeid, Port Sudan und Atbara wird protestiert gegen den Putsch. Vor dem weiträumig abgesperrten Militärhauptquartier mitten in Khartum fielen mittags Schüsse; ein Ärzteverband meldete zwölf Verletzte.

Die Protestierenden sind dieselben Bürger, die ab Dezember 2018 massenhaft auf die Straßen gingen, bis der seit 1989 regierende Bashir abgesetzt wurde. Unter nationalem und internationalem Druck vereinbarten damals nach schwierigen Verhandlungen Militärs und Zivilisten, eine gemeinsame Regierung zu gründen.

Doch schon damals war klar, dass es eine Heirat ohne Liebe sein würde. Denn das Machtteilungsabkommen war einzigartig in der arabischen Welt: Erstmals, so stand es dort geschrieben, sollte ein Militär tatsächlich freiwillig die Macht abgeben. In einer dreijährigen Übergangszeit sollte aber erst ein aus Zivilisten und Militärs bestehender Souveränitätsrat, ähnlich dem Amt eines Präsidenten, die großen Weichenstellungen machen, während eine zivile Regierung unter Premier Abdalla Hamdok das politische Tagesgeschäft übernahm. Ein Konstrukt, das bis Ende nächsten Jahres Gültigkeit haben sollte, bevor die Militärs sich dann endgültig zurückziehen. Schon 2022 allerdings sollte die Leitung des Souveränitätsrats von General Burhan an einen Zivilisten übergehen.

Leider kam der Putsch also wenig überraschend. Seit Monaten torpedieren die Militärs die zivile Regierung. Dieses Jahr gab es einen Anschlag auf Premierminister Hamdok und einen gescheiterten Putsch im September. Vorige Woche begann dann ein Sitzstreik von Anhängern einer erneuten Militärherrschaft vor dem Präsidentenpalast, sozusagen als Vorbote des jetzigen Putsches. Sie forderten, die Macht wieder ganz in die Hände des Militärs zu geben. Es war so etwas wie die Choreografie der Konterrevolution, bekannt aus dem benachbarten Ägypten.

Die Putschisten in Khartum dürften sich der Unterstützung aus Ägypten sowie den autokratischen Golfstaaten sicher sein, denen das sudanesischen Experiment im Übergang zu einer Demokratie von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen ist. International dürfte es für Sudans Militär aber nicht ganz so einfach sein. Washington beispielsweise erklärt sich „zutiefst alarmiert“ und forderte die Wiedereinsetzung der Regierung. EU-Chefdiplomat Josep Borrell twitterte seine „äußerste Besorgnis“. Auch die Afrikanische Union (AU) kritisiert den Putsch, das Nachbarland Äthiopien fordert „Deeskalation“ – in Äthiopien sind viele überzeugt, dass Sudans Militär die Tigray-Rebellen unterstützt, die zu Bashirs Zeiten Äthiopien regierten. Das wäre ein Druckmittel gegen Äthiopien im Streit um den Nil, an dem ein großer äthiopischer Staudamm kurz vor der Vollendung steht, zum Leidwesen Ägyptens.

Sudans Militär hätte viel zu verlieren in einer Demokratie. Die Militärs unter General Burhan waren schon Teil des Bashir-Regimes. Burhan und der Vizevorsitzende des Rates, General Daglo Hametti, spielten eine wichtige Rolle in Darfur, wo nach Schätzungen in den Jahren ab 2003 eine halbe Million Menschen ums Leben kamen. Der Internationale Strafgerichtshof ICC sucht Bashir deswegen per Haftbefehl wegen Völkermordes. Im August unterzeichnete der neue Chefankläger des Strafgerichtshofs, Karim Khan, in Khartum eine Vereinbarung mit Sudans Regierung, in der diese zusagte, sämtliche vom ICC gesuchten Sudanesen nach Den Haag auszuliefern – wenige Tage, bevor der Internationale Währungsfonds Sudan eine Milliardenhilfe überwies, um die Regierung zahlungsfähig zu halten.

Geld gegen Bashir? Das konnte den Generälen nicht gefallen. Würden sie der Auslieferung des Exdiktators tatenlos zusehen, könnte der sich rächen: In Den Haag könnte Bashir aussagen, wofür die Generäle Burhan und Hametti ebenfalls verantwortlich gewesen sind in Darfur. Das könnte zu einer Anklage gegen beide führen. So kommandierte Hametti die gefürchtete Reitermiliz Janjaweed, der Massenmorde in Darfur vorgeworfen werden.

Generäle wie Burhan und Hametti übten unter Bashir nicht nur die bewaffnete Macht aus, sie hatten auch riesige wirtschaftliche Interessen, zu denen Bashir ihnen Zugang gewährte. Unternehmen im Besitz der Armee dominieren bis heute die Wirtschaft. Bezeichnenderweise gehört zu den Putschmaßnahmen, die Burhan am Montag verkündete, die sofortige Auflösung der 2019 eingesetzten Antikorruptionsbehörde. Sudanesischen Berichten zufolge soll die herausgefunden haben, dass Burhan zusammen mit einer russischen Firma sudanesisches Gold außer Landes schmuggelt – die Rede ist von 24 Flügen aus der Hafenstadt Port Sudan nach Latakia in Syrien. Burhan soll persönlich interveniert haben, um weitere Ermittlungen zu stoppen.

Die desaströse Lage der Wirtschaft war Auslöser der Proteste gegen Bashir gewesen, aber nach seinem Sturz wurde sie zum Feind der Revolution. Premierminister Hamdok hat Sudan aus seinem Paria-Status unter Bashir herausgeholt: Das Land wurde 2020 von der staatlichen Terrorunterstützerliste der USA gestrichen, was die Tür für dringend benötigte Kredite und Investitionen öffnete. Aber die Wirtschaft hat nun auch mit Reformen zu kämpfen, die von internationalen Kreditinstituten gefordert wurden, etwa der Wegfall von Benzinpreissubventionen.

Ein sudanesischer Geschäftsmann, der 2019 an den Barrikaden gegen Bashir stand, erzählte Ende vorigen Jahres, dass er Kontakt aufgenommen habe mit den Militärs. „Die helfen uns Geschäftsleuten. Ich kann in einer Zusammenarbeit mit ihnen Geld verdienen. Das schaffte ich nicht mit den Zivilisten.“

Obwohl die wirtschaftliche Lage der Sudanesen sehr schwierig bleibt, mit hohen und rasch steigenden Preisen für Nahrungsmittel und Benzin aber ohne Gehaltserhöhungen, haben die Aktivisten von 2019 noch genügend Kraft, um weiterzukämpfen. Nach der großen Protestdemonstration zur Unterstützung der zivilen Regierung vorige Woche hatte der junge Aktivist Abdelmonim Ali der taz auf Whatsapp geschrieben: „Wir haben Freunde verloren während der Revolutionen vor beinahe drei Jahren, das soll nicht umsonst gewesen sein. Wir müssen weiter friedlich protestieren und hoffen, dass unsere massenhaften Demonstrationen die Militärs zurückdrängen in die Kasernen.“

Die Militärs haben die Waffen, aber die Protestbewegung hat einen politischen Vorteil: Der Putsch schließt ihre Ränge, während sie zuvor im Tagesgeschäft oft zerstritten war. Und je bestimmter und einheitlicher die Protestbewegung auftritt, umso schneller könnten sich auch wieder Risse innerhalb des Militärs auftun, das ja auch kein einheitlicher Block ist.

Das sudanesische Experiment, den Militärs friedlich die Macht abzuringen, steht in jedem Fall auf seinem bisher heftigsten Prüfstand. Für alle, die in der weiteren arabischen Welt auf eine nachhaltige Veränderung zum Guten hoffen, steht viel auf dem Spiel. Seit Monaten bröselt vor ihren Augen das demokratische Experiment Tunesien, dessen Präsident Kais Saied die Gewaltenteilung aufgehoben hat. Mit Sudan droht nun der zweite arabische Hoffnungsträger verlorenzugehen.

Chronik: Einmal Revolution und zurück

Putschist: General Abdelfattah Burhan Foto: Sudan TV via ap

30. Juni 1989: Oberst Omar Hassan al-Bashir ergreift die Macht in Sudan an der Spitze einer Militärjunta.

Ab 2003: Aufstände in Darfur werden durch einen Militärfeldzug niedergeschlagen, den Kritiker als Völkermord bezeichnen. 2008 und 2009 erlässt der Internationale Strafgerichtshof deswegen Haftbefehl gegen Bashir.

2011: Südsudan, das seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit kämpft, wird nach einem Friedensvertrag und einer Volksabstimmung ein eigener Staat.

19. Dezember 2018: In mehreren Städten Sudans beginnen Demonstrationen gegen hohe Brotpreise. Daraus werden Massenproteste.

11. April 2019: Sudans hohe Generäle setzen Bashir ab und gründen einen Übergangsrat, der Verhandlungen mit der Protestbewegung aufnimmt. Am 3. Juni werden erneut mindestens 118 Demonstranten massakriert.

5. Juli 2019: Militär und Protestbewegung einigen sich auf eine Übergangszeit von 39 Monaten bis zu freien Wahlen. Am 20. und 21. August nehmen der Souveränitätsrat unter General Burhan und die Übergangsregierung unter Premier Hamdok ihre Ämter auf. Bashir kommt vor Gericht.

3. Oktober 2020: Die Übergangsregierung schließt Frieden mit den verbleibenden Rebellen, unter anderem in Darfur.

15. Juli 2021: Der Pariser Club gewährt Sudan einen umfassenden Schuldenerlass. Zuvor hat Sudan Beziehungen mit Israel aufgenommen und die USA haben Sudan von ihrer Terrorliste gestrichen.

12. August 2021: Sudan sagt dem Internationalen Strafgerichtshof die Auslieferung Bashirs zu.

Verhaftet: Premierminister Abdalla Hamdok Foto: Abdallah/reuters

22. September 2021: Die Armee will einen Putschversuch vereitelt haben. Danach beginnen Demonstrationen für eine Militärherrschaft.

21. Oktober 2021: Hunderttausende demonstrieren landesweit, um „die Revolution zu retten“. Die ehemalige Protestbewegung warnt kurz darauf vor einem „schleichenden Staatsstreich“.

25. Oktober 2021: Putsch. (D.J.)