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Militärische Stärke der TerrormilizWas ist das Geheimnis des IS?

Der „Islamische Staat“ erscheint heute stärker als vor Beginn der internationalen Militärschläge im Sommer 2014. Was sind die Gründe dafür?

Zerfallserscheinungen: Weil die irakische Armee den IS nicht aufhalten kann, sollen es nun schiitische Milizen richten. Foto: dpa

BERLIN taz | Zwei wichtige Siege innerhalb weniger Tage. Am 18. Mai eroberten die Kämpfer des „Islamischen Staats“ die Stadt Ramadi im Irak, am 20. Mai die Stadt Palmyra in Syrien. Beide Siege sind von erheblicher Bedeutung. Die jeweiligen Regierungsarmeen verloren beim Abzug zahlreiche Kämpfer. Beide Städte liegen an den Hauptstraßen aus dem IS-Wüstengebiet nach Bagdad beziehungsweise Damaskus und bringen den IS diesen beiden Hauptstädten einen bedeutenden Schritt näher.

Ramadi liegt im Herzen des sunnitischen Kernlands des Iraks. Palmyra gilt als das Zentrum der Erdgas- und Phosphatindustrie Syriens. In Syrien setzen die radikalen Islamisten offenbar ihren Vormarsch fort und stehen nur noch 70 Kilometer von Damaskus entfernt. Im Irak hat die Regierungsarmee eine Gegenoffensive zur Rückeroberung Ramadis gestartet, aber noch ohne Ergebnisse.

Eine erhöhte Beweglichkeit, eine eindeutigere Strategie. Überschattet vom Fall Ramadis und Palmyras, aber mindestens genauso bedeutsam ist die Übernahme sämtlicher Grenzposten zwischen Syrien und Irak auf beiden Seiten durch den IS, die am vergangenen Wochenende erfolgreich abgeschlossen wurde. Der IS verfügt nun über komplette Bewegungsfreiheit und kann flexibler als vorher Kämpfer dort einsetzen, wo sie gerade gebraucht werden.

Er hat auch, unter maßgeblicher Anleitung führender Kräfte des früheren Saddam-Hussein-Regimes im Irak, die Versuche des vergangenen Jahres aufgegeben, gegen die irakischen und syrischen Kurden vorzustoßen, und zielt direkt auf den Fall der irakischen und syrischen Regierungen.

Ein unzulänglicher Luftkrieg des US-geführten Bündnisses. Seit Beginn der Luftangriffe im August 2014 wurden nach US-Angaben rund 2.500 separate Angriffe geflogen, die meisten mit mehreren Schlägen. Es sollen knapp 1.700 Militärfahrzeuge zerstört, 1.800 Gebäude sowie 1.500 Kampfpositionen wie Bunker oder Schützengräben getroffen worden sein. Angesichts einer Stärke von mehreren zehntausend Kämpfern stellt dies keine signifikante Schwächung des IS dar.

Eine nicht funktionierende Armee im Irak. Die irakischen Regierungstruppen gelten als demoralisiert und schlecht organisiert. Von den offiziell 125.000 Soldaten existieren mindestens ein Fünftel nur auf dem Papier. Die neuen US-Ausbildungsprogramme ziehen kurzfristig erst einmal Soldaten von der Front ab. Spezialkämpfer fühlen sich alleingelassen. Fliehende Einheiten hinterlassen ihr gesamtes Material dem Feind. Auf lokaler Ebene verlässt sich die Regierung lieber auf schiitische Milizen und Soldaten aus dem Iran, was viele Sunniten regelrecht in die Arme des IS treibt.

Ein zerfallendes Regime in Syrien. Das syrische Assad-Regime hat in den vergangenen vier Jahren Krieg über 200.000 Menschen getötet, die Hälfte der 22 Millionen Syrer in die Flucht getrieben und das Land komplett verwüstet. Keine demokratischen Kräfte in Syrien werden sich dem IS im Namen des Assad-Regimes entgegenstellen. Ein IS-Durchbruch in Richtung der seit Jahren vom Regime ausgehungerten Vorstädte von Damaskus in der Ghouta-Ebene erscheint nur eine Frage der Zeit. Derweil rüstet Saudi-Arabien massiv andere islamistische Rebellen auf, um die Nach-Assad-Ära nicht dem IS allein zu überlassen.

Ein fortbestehender globaler Anspruch. Trotz aller Horrormeldungen über Gräueltaten des IS scheint die Attraktivität der Gruppe im Ausland ungebrochen. Zu Beginn der Luftschläge zählte der IS rund 11.000 ausländische Kämpfer; bis Ende 2014 war die Zahl auf 18.000 angestiegen. Islamistische Kämpfer in Ägypten, Jemen, Libyen, Nigeria und Usbekistan haben dem IS Treue geschworen.

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6 Kommentare

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  • Herrn Johnsons Analyse stimme ich zu. Sie müßte nur erweitert werden:

    1. Ohne den Angriffskrieg der USA gegen den Irak würde es den IS vermutlich nicht geben. Mittlerweile wurde eine Pentagon-Analyse von 2012 (teilweise) bekannt, aus der hervorgeht, daß das Entstehen eines Kalifats als Gegengewicht gegen Assad vorausgesehen und einkalkuliert wurde: http://www.focus.de/politik/ausland/krise-in-der-arabischen-welt/politik-der-instabilitaet-geheimes-pentagon-papier-hat-die-us-regierung-die-terrormiliz-is-geschaffen_id_4707070.html

    2. Für eine große Zahl junger Leute in Nahost erscheint der IS irrtümlicherweise als Alternative zum westlichen Kolonialismus/Neokolonialismus - ebenso wie für manche junge Europäer, die sich deklassiert, von der Mehrheitsgesellschaft gedemütigt fühlen.

    3. Waffen werden fortlaufend produziert, ausreichender Abverkauf muß permanent organisiert werden, dafür braucht es Kriege.

    4. Für ein Imperium im Stadium der USA ist es wichtig, daß immer Krieg herrscht. Das ist das Entscheidende, das bringt Kontrolle über Rohstoffgebiete, generiert fortwährend Extraprofite, zeigt der Welt, wer hier der Hegemon ist und hilft, die eigene Bevölkerung trotz wachsender sozialer Spannungen in Schach zu halten. (Ausbau von Überwachung und Repression gegen "Terrorismus".)

    • @Albrecht Pohlmann:

      Junge Europäer, die sich deklassiert, von der Mehrheitsgesellschaft gedemütigt fühlen - so wie Kevin und Mark aus Castrop-Rauxel? Oder Denis C, das Mutter aller Opfer?

  • Schöne Zusammenfassung. Allerdings wurde noch etwas vergessen.

     

    Die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten zeigen offenbar nur sehr wenig Wirkung. Wobei ich den leisen Verdacht habe, dass die Zahlen noch übertrieben sind und sich unter den zerstörten Militärfahrzeugen auch ein paar „Kriegseselskarren“ befinden.

     

    Die geringe Wirkung liegt vor allem an dem fehlenden Willen, sich auf den Kampf gegen den IS zu konzentrieren. Die Amerikaner wollen immer noch die Kontrolle über etwas ausüben, dass sie schon lange nicht mehr kontrollieren können. Sie versuchen gleichzeitig den IS einzudämmen, ohne dass dabei die einzigen bedeutenden Kräfte am Boden, der Iran mit den schiitischen Irakern, die Kurden und auch Assad, zu mächtig werden. Das kann aber nicht funktionieren. Gleichzeitig wird die Nusra-Front, die sich kaum vom IS unterscheidet und praktisch mit ihm zusammen arbeitet, gar nicht bekämpft. Dies erschwert auch die Bekämpfung des IS in Syrien.

     

    So lange also die USA neben der Bekämpfung von IS und Nusra noch alle möglichen anderen Spielchen treiben, wird es kaum vorwärts gehen. Es sei denn, jemand anderes springt ein.

  • Leider hat der Autor vergessen darauf hinzuweisen, dass genau dies vor drei Jahren bereits in einem Strategiepapier von Pentagon und CIA zu lesen war.

  • Gute Zusammenfassung. Ein wichtiger Punkt fehlt allerdings. Der IS bezieht seine Stärke mit aus der Tatsache, dass das Assad-Regime durch die Handlungen des Westens und seiner Golfbündnisstaaten einen quasi-vogelfreien Status hat. Die Alawiten werden den Niedergang des Regimes nicht überleben, die Internationale Gemeinschaft wird zusehen, nichts zu deren Schutz unternehmen und sich heimlich darüber freuen, dass man mit "friedlichen" Mitteln den Untergang Assads und das Ausscheiden Syriens aus dem Bündnis mit Iran herbeigeführt hat. Der IS ist also umgeben von "Feinden", von denen zuviele seine Handlungen aufgrund ähnlicher Interessen gutheißen. Wirklichen Gegenwind muss der IS also erst fürchten, wenn seine Schuld getan ist, d.h. die schiitischen Gruppen Alawiten in Syrien, die Schiitische Regierung im Irak und die Hisbollah im Libanon besiegt sind.

    • @abul_dogisdösfeined:

      Um sich solch eine tolle Strategie auszudenken und zu realisieren sind die Führer der westlichen Staaten doch allesamt zu dumm (und auch nicht mächtig genug). Wäre ja schon wenn das so geplant wäre aber wirkliche Hinweise dazu gibt es ja nicht.