Militärausgaben steigen laut Studie weltweit: Berlin rüstet mit
Das Wettrüsten erreicht neue Dimensionen. Die Rüstungsausgaben belaufen sich weltweit auf über 1 Billion Dollar - angeführt von den USA. Friedensforscher hoffen nun auf McCain oder Obama.
Mit beträchtlichem Optimismus stellte der neue Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts, Bates Gill, am Montag das "Sipri Jahrbuch 2008" vor. Die kommenden ein bis zwei Jahre böten "neue Chancen und Öffnungen" für die Wiederbelebung der internationalen Rüstungskontrolle, sagte Gill in Stockholm. Das Sipri - kurz für Stockholm International Peace Research Institute - erhebt seit 1969 Daten zu Militärausgaben, Waffenhandel, Krieg und Frieden.
Gill verwies auf neue beziehungsweise kommende politische Führungen in den USA und Russland, aber auch in Frankreich und Deutschland, die einen Schwenk in der seit Jahren stagnierenden oder sogar zerfallenden weltweiten Rüstungskontrolle herbeiführen könnten. Zur taz sagte Gill, dass die Reden der US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain sowie die jüngste nukleare Abrüstungsinitiative der ehemaligen US-Realpolitiker Henry Kissinger, George Schultz u. a. "Fortschritte in der politischen Atmosphäre" verhießen. "Ich bin aber nicht so naiv, zu glauben, dass das ein leichter Prozess wird", fügte Gill hinzu.
Im Jahrbuch selbst wird Gills Botschaft vor allem mit Soll-Aussagen unterfüttert. Demnach "sollten" Schritte unternommen werden, der in den vergangenen zehn Jahren gewaltig gewachsenen Rüstung Einhalt zu gebieten.
Denn die weltweiten Militärausgaben sind laut Sipri seit 1998 inflationsbereinigt um 45 Prozent auf 1.339 Milliarden US-Dollar im Jahr 2007 angestiegen. Davon entfielen allein 547 Milliarden Dollar oder 45 Prozent auf die USA. Seit 2001 stiegen Washingtons Militärausgaben inflationsbereinigt um 59 Prozent und erreichten damit den höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die US-Militärausgaben betragen im Vergleich zu denen der auf der Rangliste folgenden Länder Großbritannien, China und Frankreich jeweils gut das Zehnfache. Dann kommt Japan, und auf Rang sechs liegt Deutschland mit einem Militärbudget von 36,9 Milliarden Dollar.
Die Region mit dem höchsten Anstieg, nämlich 162 Prozent, war im untersuchten Zeitraum Osteuropa. Der größte Anteil davon ging auf russisches Konto. Russland verzeichnete allein im Jahr 2007 einen Zuwachs an Militärausgaben um 13 Prozent.
Bei den Rüstungsexporten führen ebenfalls USA und Russland an, gefolgt von Deutschland, das allein für 10 Prozent der Ausfuhr an konventionellen Waffen sorgt. Deutschlands Abnehmer sind vor allem die Türkei, Griechenland, Südafrika und Australien. Der größte Importeur weltweit ist China, das sich zu einem beträchtlichen Teil in Russland eindeckt.
"Die Zahl der Länder, die ihre Militärausgaben erhöhten, war im Jahr 2007 höher als zuvor", schreiben die Sipri-Gutachter. Grund dafür seien neben typischer militärischer Außenpolitik auch multilaterale Friedensmissionen und ökonomischer Wohlstand.
Andreas Heinemann-Grüder vom Bonner Friedensforschungsinstitut "Bonn International Center for Conversion" (BICC) konnte die Hoffnungen von Sipri-Chef Bates Gill kaum nachvollziehen. "Die Stockholmer haben sich wegtragen lassen von der Vorfreude auf die US-Wahlen", sagte Heinemann-Grüder der taz. Erst vor wenigen Tagen hat das BICC mit vier weiteren deutschen Friedensforschungsinstituten im "Friedensgutachten 2008" ganz ähnliche Zahlen präsentiert wie nun das Sipri.
Es "wäre nicht das erste Mal, dass im US-Wahlkampf etwas ganz anderes versprochen wird, als dann kommt", erklärte Heinemann-Grüder. Sicherlich müsse Westeuropa nun die Situation nutzen, dass die USA durch die Kriege im Irak und in Afghanistan "mit dem Rücken zur Wand" stünden und sich möglicherweise neuen Abrüstungsverhandlungen öffneten. Aber der bisherige Stand der UN-Abrüstungskonferenz in Genf oder des Nichtweiterverbreitungsvertrags für Atomwaffen stimmten ihn eher skeptisch. "We shall see", sagte er.
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