Migrationspolitik in Europa: Wer darf Italiener werden?
Die neue Koalition von Partito Democratico und Fünf-Sterne liegt im Streit. Sie zofft sich um die Einbürgerung von Immigrantenkindern.
Es geht um nicht weniger als die einschneidende Reform des italienischen Staatsbürgerrechts: In Zukunft sollen, wenn es nach Zingaretti und der PD geht, die Kinder von Migranten, die in Italien geboren oder dort aufgewachsen sind, die italienische Staatsbürgerschaft erhalten.
Von immerhin einer Million minderjähriger junger Menschen ist da die Rede: von den Töchtern und Söhnen der in den letzten Jahrzehnten gekommenen Einwanderer. Bisher können sie den italienischen Pass erst beantragen, wenn sie den 18. Geburtstag hinter sich haben.
Zingaretti dagegen will, dass sie schon als Minderjährige die Staatsbürgerschaft erwerben können, wenn sie in Italien geboren sind und wenigstens einer die beiden Eltern einen festen Aufenthaltsstatus im Land hat (Ius soli) oder wenn sie in Italien einen fünfjährigen schulischen Zyklus – die Grund- oder auch die Oberschule – abgeschlossen haben (Ius culturae).
Salvini verspricht „Barrikaden im Parlament“
Zingaretti lanciert seinen Vorschlag in einem Land, in dem die populistische Rechte mit großem Erfolg gegen Migranten trommelt, in dem Matteo Salvinis Lega mit ihrer „Italiener zuerst!“-Rhetorik in den Meinungsumfragen mittlerweile bei 32 Prozent liegt und die ebenfalls rüde ausländerfeindlichen, postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI – Brüder Italiens) auf 10 Prozent aufgestiegen sind.
Salvini ließ sich denn auch umgehend in einem Video-Post vernehmen, in dem er grinsend erklärte, die Italiener wüssten jetzt, „was sie bei der PD bekommen“. Was die Kinder der Migranten bei Salvini bekommen, ist hinlänglich bekannt: Immer wieder verkündet er, die Staatsbürgerschaft sei „kein Ticket für den Vergnügungspark“, und auch jetzt wieder verspricht er „Barrikaden im Parlament“, sobald die PD dort ihr Reformvorhaben auf die Tagesordnung setzen werde.
Da mag Giorgia Meloni, die Vorsitzende der FdI, nicht zurückstehen. Die PD habe jetzt „die Maske fallen lassen“, erklärte sie, Zingaretti benutze die Minderjährigen „als menschliche Schutzschilde“, in Wirklichkeit nämlich gehe es ihm gar nicht bloß um die nachwachsenden Generationen aus Migrantenfamilien, sondern darum, „allen die Staatsbürgerschaft automatisch zu schenken“. Auch Meloni will sich am Barrikadenbau beteiligen, nicht bloß im Parlament, sondern auch „im Land“.
So weit, so vorhersehbar. Weniger vorhersehbar war, dass Luigi Di Maio, Chef des Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung) und Außenminister, seine Koalitionspartner von der PD völlig undiplomatisch abblitzen ließ. Den Aufhänger seiner kühnen Argumentation fand er in der Tatsache, dass am letzten Sonntag – als Zingaretti auf dem PD-Kongress sprach – gerade Venedig von einer Jahrhundertflut heimgesucht wurde.
Fünf-Sterne-Bewegung geht auf Distanz
„Das halbe Land steht unter Wasser“, erregte sich Di Maio, „und er denkt an das Ius soli, ich bin fassungslos!“ Allzu offenkundig treibt den M5S-Chef die Angst, er könne Salvini eine weitere offene Flanke bieten und so den Aderlass von Wählern der Fünf Sterne Richtung Lega weiter verstärken.
Auf Distanz ging aber auch Stefano Bonaccini, der Gouverneur der Emilia-Romagna aus den Reihen von Zingarettis PD. Auch er glaubt, das Land habe „andere Prioritäten“. Am 26. Januar 2020 stehen in der Region Wahlen an, und Bonaccini will seine Wiederwahl nicht durch heikle Themen wie die Staatsbürgerschaftsfrage gefährden.
Dabei hätte ihm ein Blick in die Meinungsumfragen helfen können. Stolze 67% der Italiener begrüßen die von Zingaretti vorgeschlagene Reform des Staatsbürgerrechts. Bei den PD-Wählern sind es gar 93% – unter den Lega-Anhängern aber immerhin noch 46%.
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