Migration aus Haiti: Afghanische Zustände
Politisches Chaos, Gewalt und Not warten auf die Menschen, die die USA nach Haiti zurückschicken. Sie sind Opfer eines Kriegs gegen die Armen.
I nnerhalb weniger Wochen hat die Regierung von US-Präsident Joe Biden Tausende haitianische Geflüchtete deportieren lassen – ohne Prüfung ihrer Asylgründe. Die meisten sind haitianischer Herkunft, lebten aber zum Teil schon jahrelang in Südamerika. Noch immer sind 50.000 Menschen auf dem gefährlichen Weg Richtung Norden. Frauen, Männer, Kinder, die wie im Kinderkreuzzug von Brecht auf der Suche nach einem besseren, friedlichen Leben sind. Sie sind die ersten Opfer der sozialen Verwerfungen infolge der Covid-19-Krise.
Opfer des Krieges gegen die Armen. Haiti zeigt wie unter einem Brennglas die globalen Probleme. Denn die gewaltsame Rückführung der Haitianer:innen aus den USA in ein Land, in dem ein Maß an Gewalt herrscht, die jede:n in seiner körperlichen Unversehrtheit bedroht, ist völkerrechtlich fragwürdig.
Daniel Foote, der frühere US-Botschafter in Afghanistan und bis vor Kurzem Bidens Sonderbeauftragter für Haiti, verglich die Situation mit Afghanistan, trat zurück und mahnte, man dürfe niemandem einer solchen Lage aussetzen. Foote wandte sich vor dem US-Kongress auch gegen die Unterstützung von Ministerpräsident Ariel Henry, der in Haiti keinerlei Legitimation genieße.
Die überbordende Gang-Gewalt in Haiti dient – willentlich oder nicht – dazu, die massive Opposition gegen Henry zu einem Bündnis mit der Regierungspartei zu zwingen. Soziale Bewegungen, Zivilgesellschaft und Parteien, die einen Vorschlag zur Neugründung des Staates und für eine „haitianische Lösung“ erarbeitet haben, sollen kapitulieren. Und das nennt sich dann „Stabilisierung“.
Dieser Wahnsinn spielt sich vor unseren Augen ab und ist eben keine haitianische Besonderheit, sondern Ausdruck der Machtverhältnisse in No-go-Zonen, die mit der Covid- und der Klimakrise ein Pfeiler der neuen Weltordnung ohne Hegemon sind. Sie einfach hinzunehmen und noch dazu die Fluchtwege zu verbauen ist eine Schande für alle Politiker:innen aus privilegierten Zonen der Erde. Noch dazu, wenn sie sich ihrer augenscheinlichen Menschen- und Bürgerrechte rühmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau