Migranten mit Pfoten: Ausländische Tiere raus?
Die EU hat Angst vor Einwanderern – wie dem Waschbären und der Schwarzkopf-Ruderente. Dahinter scheint mehr als die Furcht vor Schäden zu liegen.
Er wütet in Vorgärten, klaut Singvögeln die Eier und scheint bei seinen Übergriffen Gesichtsmasken zu tragen. So sieht er wenigstens aus. Der Procyon Lotor zu deutsch Waschbär zählt zur Ordnung der Raubtiere. Er ernährt sich von Fischen, Fröschen, Krebsen, aber auch aus reich gefüllten Mülleimern der Großstädter, was dem reinlichen Waschbären den Ruf einbrachte, Krankheiten einzuschleppen.
Das Image des Räubers mit dem schwarzen Zorro-Streifen im Gesicht ist alles andere als gut. Nun soll einer in der Uckermark sogar einen Hund ertränkt haben – nach minutenlagem Kampf. Woraufhin der Landesjagdverband Brandenburg alarmiert reagierte. Die Tieren stellten eine Gefahr dar. Flora, die ertrunkene Hündin, sei nicht das einzige Opfer eines Waschbärenangriffs, wird in der Fachzeitung Welt berichtet. Im vergangenen Jahr hätte der Kleinbär in Brandenburg vier Jagdhunde tot gebissen.
Tierschützer relativieren dies allerdings und werfen dem Verein vor, nach einem Vorwand zu suchen, um das Tier zu jagen. Waschbären seien keine Mörder und würden niemals direkt angreifen, nur, wenn sie sich verteidigen müssten.
Außer Zweifel scheint tatsächlich zu stehen, dass Flora zuerst angriff. Sie haben den Waschbären gewürgt, berichtet ihr 74 Jahre alter Jäger in ebenjener Welt.
Deutschland den Wölfen? Warum Waschbären sterben müssen und Menschen graue Eichhörnchen fürchten, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 7./8. Februar 2015. Außerdem: Ulrich Seidl hat Österreichern in die Keller geschaut. Ein Gespräch über Abgründe. Und: Wer „Promotion“ englisch ausspricht, macht aus dem Doktortitel eine Verkaufsaktion. Aus dem Leben einer arbeitslosen Akademikerin. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Unruhe in „befriedeten Gebieten“
Geschätzte 600.000 bis 800.000 Waschbären leben derzeit in Deutschland. Ökologen und Naturschützer sehen in dem Tier eine echte Bedrohung für das heimische Ökosystem. Der Waschbär ist, das nehmen sie ihm offenbar besonders übel: ein Einwanderer. Von Natur aus stammt der Kleinbär – indianisch Racoon, „der mit den Händen kratzt“ - aus Nordamerika. Er ist ein Migrant der Natur, eine sogenannte „invasive Art“, wie Biologen ihn nennen.
Nicht nur, dass er keinen angestammten Platz in Deutschland hat. Er verdränge heimische Arten und schade Landwirtschaft und Natur, so die Schützer. Außerdem bringt er mit seinen nächtlichen Beutezügen Unruhe in sogenannte „befriedete Gebiete“. So bezeichnet die Stadt Berlin Wohnsiedlungen und Grünanlagen in einer Anleitung zum Umgang mit Waschbären. Außerhalb dieses befriedeten Gebiets darf der Waschbär erschossen werden.
Unerwünscht, bisweilen sogar potentiell gefährlich
Wie dem Waschbären geht es vielen „invasiven Tierarten“, die die Grenzen zur Mehrheitsgesellschaft übertreten. Sie werden als Eindringlinge empfunden. Fremde, die das hiesige Ökosystem nicht hervorgebracht hat. Tiere mit familiärer Zuwanderungsgeschichte. Unerwünscht, bisweilen sogar potentiell gefährlich. Das EU-Parlament hat 2014 sogar eine eigene Verordnung gegen schädliche Tiere und Pflanzen beschlossen - zur Eindämmung und Bekämpfung invasiver Arten. Die EU-Kommission fertigt dafür gerade eine Liste solcher Fremdlinge. Warum differenziert sie aber nicht beispielsweise zwischen nützlich und schädlich, statt zwischen fremd und heimisch?
Auch wenn vielleicht noch nie jemand einen Waschbären gesehen hat, geht von ihm eine irrationale Angst aus. Der Einwanderer ist eine Last, mehr noch. Da er sich von dem ernährt, was er findet, gilt er landläufig als Schmarotzer. Ein Taugenichts. Keine Willkommenskultur bereitet ihn darauf vor, wie er sich nach deutschem Brauchtum einzugliedern hat. Er gehört einfach nicht hierher und ist dem Abschuss frei gegeben. Bei anderen Tierarten kommen ganz andere Sorgen hinzu: Was passiert, wenn sich Schwarzkopf-Ruderente mit Weißkopf-Ruderente paart?
Woher die Angst?
Warum das fremde Tier dem Menschen so viel Angst macht, fragt sich taz-Autorin Maria Rossbauer in der Titelgeschichte „Ausländer raus!“ der taz.am wochenende vom 7./8. Februar 2015. In ihrer Reportage begleitet sie einen Jäger auf die Waschbärenjagd, beschreibt das Verhalten der Artenschützer, spricht ihre Kritiker und zieht Verbindungen zur grundsätzlichen Angst mancher Menschen gegen Überfremdung.
Der Ökologe Josef Reichholf hält es für Unsinn, Tiere und Pflanzen nach den Kategorien heimisch und fremd einzuteilen. Viele heimische Arten sind schließlich ebenso schädlich für das Ökosystem wie zugezogene. Das Wildschwein etwa trampelt Wiesen platt, der Fuchs trägt den für den Menschen gefährlichen Bandwurm mit sich herum. „In der Natur gibt es keine festen, keine richtigen Zustände“, sagt Reichholf und warnt vor dem Jargon mancher Naturschützer, der mitunter in Fremdenfeindlichkeit abgleite. „Nur allzu leicht lässt sich die 'Ökologie' vorschieben und dazu missbrauchen, scheinbar natürliche Begründungen für die Ablehnung der Fremden zu liefern“, argumentiert Reichholf.
Woher kommt diese Angst vor dem Fremden? Was heißt heimisch – bei Tieren, Pflanzen und überhaupt?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Ausländer raus!“ lesen sich in der taz.am wochenende vom 7./8. Februar 2015.
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